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# taz.de -- Buch „Über Ehe und Trennung“: Wenn es vorbei ist
> Wer ist man in der Ehe, wer danach? Rachel Cusk wirft einen
> schonungslosen Blick auf die Lügen und Schwächen in den modernen
> Rollenbildern.
Bild: Rachel Cusk, fotografiert von ihrem neuen Mann Siemon Scamell-Katz
Dass man betroffen ist, wenn eine völlig fremde, persönlich nicht bekannte
Person das Ende ihrer Beziehung öffentlich macht, das kommt selten vor.
Umso bemerkenswerter also, dass Rachel Cusks „Danach“ in der Rezensentin so
etwas wie „Betroffenheit“ auslöste.
Der literarische Essay beschreibt das Auseinanderdriften eines Paares und
das, was danach übrig bleibt. Kinder beispielsweise. Zum Ausgangspunkt des
Textes wird eine Krise in der Krise: Cusk besteht nach der Trennung darauf,
dass die Kinder bei ihr bleiben, obwohl der Vater seine Karriere aufgab, um
für sie zu sorgen. Damit hintergeht sie ihre feministischen Vorstellungen
von Gleichberechtigung und Mutterschaft.
Diesem Thema widmete die in Kanada geborene, seit Jahrzehnten in England
lebende Autorin bereits ein eigenes Buch, „Lebenswerk“. Darin beschreibt
sie das von ihr und ihrem Mann gewählte Familienmodell: Sie verdient das
Geld, er sorgt für die Kinder. Eine eindeutige Rollenverteilung, mit
vertauschten Vorzeichen. „Lebenswerk“ traf mit seiner Schonungslosigkeit
einen Nerv, auch über „Danach“ muss man das sagen.
## Karriere und Kinder
Aber während „Lebenswerk“ die Ambivalenz der Mutterrolle reflektierte,
spitzt „Danach“ jede Mehrdeutigkeit auf eine schmerzhafte Eindeutigkeit zu:
Was bleibt Cusk nach der Trennung, wenn sie nicht die Rolle der Mutter
ausfüllen kann? Sie erlebt sich nicht mehr als Frau, die alles haben kann –
Karriere und Kinder. Sie empfindet sich vielmehr als moderne „unterteilte“
Frau.
Sie beschreibt den Rollentausch als eine Art Travestie, die eine
„Unterteilung“ der Rollen aufrechterhält. „Und so wirkten die Spannungen
der alten Orthodoxie unter der Oberfläche der umgestalteten Oberfläche der
Dinge weiter.“ Cusk wirft – man spürt hier Bitterkeit – die Frage auf:
„Warum musste er [ihr Mann] sich nicht unterteilen?“ Der Rollentausch
erscheint aus ihrer Perspektive als Zugewinn für den Mann, während für die
Frau, sie, nur der Verlust bleibt. Vor allem der Prestigeverlust. „Jenes
Prestige, mit dem die Mutter dafür belohnt wird, dass sie ihren Nachwuchs
erträgt.“
„Danach“ darf als die traurige Einsicht gelesen werden, dass es
Gleichberechtigung für eine Mutter nicht geben kann. Weil ihr, sobald sie
die Rolle der Mutter teilt, nicht das halbe Prestige bleibt, sondern gar
keines? Weil eine Frau nicht ganz Mutter werden und ganz Subjekt bleiben
kann, weil sie einen Teil von sich abgeben muss? Cusk ist nicht die Frau,
die alles hat. Sie starrt in ein klaffendes Nichts.
Im Text überblendet sie die eigenen ambivalenten Gefühle mit Figuren aus
der griechischen Mythologie. In Figuren wie der männermordenden
Klytaimnestra findet sie die gnadenlose Eindeutigkeit, an der es ihr
mangelt.
## Emotionale Gratwanderung
Cusks Text ist eine Gratwanderung, psychologisch und emotional. Manche
Szenen wirken pathetisch. Ist das Geschehen emotional zu frisch, um es
beschreiben zu können? Handelt es sich überhaupt um einen Essay? Muss man
von einem erzählenden Ich sprechen, trotz der autobiografischen Dimension
des Textes?
Im letzten Teil wechselt Cusk die Perspektive vom Ich zur auktorialen
Erzählerin, die über eine junge Frau namens Sonia spricht. Sie ist das
Au-pair-Mädchen eines Paares mit zwei Töchtern und wird zur Zeugin der
Trennung der beiden. In diesem Prozess wird das Mädchen, das depressiv und
tablettenabhängig ist, zur tätigen Hilfe im Haushalt. Während die Frau des
Hauses zusehends abmagert, als vollziehe der Körper den Rollenverlust nach,
entwickelt Sonia Resilienz in der Krise.
Diese erzählerische Distanz in der Schilderung der Trennung bekommt dem
Text gut. Zugleich deutet die Form an, dass jede Geschichte so oder auch
ganz anders erzählt werden kann. In der Figur des Au-pairs Sonia werden
eine Reihe unerwähnter Voraussetzungen der Frau, „die alles haben kann“,
deutlich: beispielsweise unterbezahlte Angestellte, die Care-Arbeit
übernehmen.
„Danach“, so ahnt man, wird wütenden Protest ernten. Vor allem von Mütter…
die den verzerrenden Schleier lieber nicht von ihrer Wirklichkeit nehmen
lassen wollen.
9 Jun 2020
## AUTOREN
Marlen Hobrack
## TAGS
Englische Literatur
Ehe
Beziehungskrise
Kinder
taz.gazete
USA
Roman
Schwerpunkt Rassismus
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Kinder
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