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# taz.de -- Genderexpertin über „Männerwelten“: „Das ist nicht die Welt…
> Das Duo Joko und Klaas hat vieles richtig gemacht. Nun befassen sich mehr
> Menschen mit dem Thema Gewalt an Frauen, sagt die Politologin Regina
> Frey.
Bild: Standbild aus der digitalen Ausstellung „Männerwelten“ mit Palina Ro…
taz: Frau Frey, das Moderatoren-Duo Joko & Klaas hat mit der [1][virtuellen
Ausstellung „Männerwelten“] über Gewalt an Frauen viel Aufsehen erregt.
Wundert Sie das angesichts der Tatsache, dass Gewalt an Frauen schon länger
auch ein öffentliches Thema ist?
Regina Frey: Mich wundert die enorme Reichweite des Videos, über 3
Millionen Klicks erreichen nicht viele Arbeiten zu einem so unbequemen
Thema. Andererseits bin ich nicht wirklich erstaunt darüber.
Warum?
Im Clip ist das Thema recht skandalisierend aufbereitet – zu Recht, weil
[2][Gewalt an Frauen ein Skandal ist]. Diese Skandalisierung im Video führt
dazu, dass sich mit dem Thema jetzt auch Menschen befassen, die bisher
nicht wirklich darüber nachgedacht haben.
Dann haben Joko & Klaas alles richtig gemacht?
Was die Reichweite angeht – ja. Die Niedrigschwelligkeit des Abrufs, die
Drastik der Darstellung tragen dazu bei, dass Gewalt an Frauen jetzt
verstärkt außerhalb der feministischen Bubble debattiert wird, das ist erst
einmal positiv.
Wie finden Sie den Titel „Männerwelten“?
Gut. Obwohl er eine Vereinfachung darstellt.
Nicht wenige Männer fühlen sich durch den Titel pauschal als Täter
verurteilt.
Das kann ich nicht teilen. Der Titel heißt ja [3][„Männerwelten“ und nicht
„die Welt des Mannes“]. Der Titel ist vereinfachend, ja, aber der doppelte
Plural in „Männerwelten“ besagt nicht: DER Mann an sich ist so oder so. Er
verdeutlicht eher: Es geht [4][um bestimmte Männer, um diejenigen, die
Gewalt ausüben], die meinen, sie hätten das Recht, Frauen zu erniedrigen.
Ist es also übertrieben, wenn sich profeministische Männer mit
„Männerwelten“ diskreditiert fühlen?
Natürlich ist es berechtigt, dass profeministische Männer auf diese
Vereinfachung reagieren. Diejenigen, die sich seit Jahren reflektieren und
gegen Sexismus wenden, wollen einen differenzierten Blick auf das Thema.
Aber angestoßen durch den Clip, verschaffen auch sie sich Gehör, ihre
wichtigen Positionen werden bekannter. Die gewählte Form setzt nun mal auf
Zuspitzung und Vereinfachung, wodurch nicht jeder kritische Blick auf
Gewalt aufgegriffen werden kann. Dafür bräuchte man ein anderes
Sendeformat.
Ebenso wurde kritisiert, dass der Clip Transgenderpersonen, Women of Color
und behinderte Frauen ausklammert. Ist der Vorwurf berechtigt?
Diese Kritik teile ich, in dem Clip kommen vor allem prominente, weiße
Frauen vor. Joko & Klaas hätten die Gesellschaft realistischer abbilden
können, also so divers, wie sie nun mal ist. Aber eine andere Frage ist
doch: Welche Kritik kann man an welche Formate herantragen? Und das
gewählte Format verträgt sich schlecht mit einen elaborierten Diskurs über
soziale Differenzierung und Intersektionalität.
Sie arbeiten gerade an einer Studie zu digitaler Gewalt. Digitale Gewalt
nimmt in „Männerwelten“ einen breiten Raum ein. So erzählt die
TV-Moderatorin Palina Rojinski von Dickpics, die sie ungefragt geschickt
bekommt. Wie verbreitet ist sowas?
Die genauen [5][Ausmaße und die Mittel digitaler Gewalt] sind nicht
bekannt, es gibt bislang keine ausreichende quantitative Forschung dazu.
Auch meine Studie wird das kaum leisten können, das ist keine breit
angelegt empirische Untersuchung. Literatur und Expert*innen gehen aber
klar in die Richtung: Wir brauchen dringend aktuelle Zahlen und Befunde aus
repräsentativen Dunkelfeldstudien.
Es gibt doch aber Studien zu Gewalt, die auch digitale Gewalt untersucht
haben.
Die letzte repräsentative [6][Prävalenzstudie zu Gewalt gegen Frauen] ist
über 15 Jahre alt. Eine europäisch vergleichende Studie der
Grundrechteagentur FRA behandelt digitale Formen geschlechtsbezogener
Gewalt nur am Rande. Andere Studien haben allgemein Hass im Netz zwar
untersucht, methodisch finde ich das in Bezug auf Geschlecht aber wenig
überzeugend.
Was ist mit den Befragungen der Beratungsstellen zu Gewalt?
Das sind keine Erhebungen, die eindeutige Aussagen treffen können über das
Ausmaß an digitaler Gewalt. Die Befragungen geben aber durchaus wichtige
Hinweise auf die verschiedenen Formen der Gewalt und zu Schritten, die
unternommen werden könnten, um dem Einhalt zu gebieten.
Aber wie digitale Gewalt aussieht, ist doch bekannt.
Das ja, es reicht von Beleidigung und Schmähung zu Identitätsklau,
Verbreitung von Bildmaterial gegen den Willen der Betroffenen, Stalking
mithilfe von Tracking-Apps, Verfolgen per E-Mail und SMS, das
Veröffentlichen der Privatadresse, solche Übergriffe. Gewalt an Frauen im
sozialen Nahfeld wird durch die Digitalisierung dynamisiert, weil Täter
durch technische Hilfsmittel mehr Möglichkeiten haben. Aber wie groß das
Ausmaß genau ist, muss eine Studie herausfinden. Die Untersuchung soll auch
erkunden, ob prominente Frauen und Feministinnen stärker von digitaler
Gewalt betroffen sind als Frauen, die nicht im Licht der Öffentlichkeit
stehen keine Beratungsstelle aufsuchen und man deshalb von der Gewalt gegen
sie erst gar nichts erfährt.
Sind Mechanismen digitaler Gewalt bekannt?
In den unterschiedlichen Sphären läuft das verschieden ab: Ein Shitstorm
gegen eine öffentliche Person kann nicht verglichen werden mit Stalking in
einer Trennungssituation. Bei einem Shitstorm läuft es in der Regel so:
Eine Bloggerin oder eine Feministin äußert etwas in den sozialen
Netzwerken. Wenn zum Beispiel ein Autor mit vielen Follower*innen darauf
reagiert, ist schnell seine digitale Gefolgschaft da und stürzt sich dann
auf die Frau – teilweise mit extrem sexistischen Kommentaren..
Was steckt dahinter?
Da geht es natürlich um [7][Aufmerksamkeit von antifeministisch
eingestellten Personen,] das können auch Frauen sein. Bestimmte Medien
betreiben damit platten Aufreger-Journalismus. Sie geben solchen giftenden
Bloggern ein Forum, um viele Klicks zu generieren. Bei der Welt läuft das
offensichtlich so. Die Stänkerei und der Hass, der daraus folgt, werden
einfach in Kauf genommen.
Wer macht so was?
Wir wissen zu wenig über diejenigen, die Hass und Gewalt ausüben, wir
wissen auch zu wenig über ihre Motive. Eine These wäre: Anhänger dieser
digitalen Gefolgschaft merken, dass sie mit ihrer überkommenen Vorstellung
von Männlichkeit nicht mehr punkten und reagieren sich digital ab – gerne
auch anonym. Aber auch darüber sollte eine Studie mehr herausfinden.
Die Grünen-Politikerin Renate Künast wurde mit „Drecksfotze“ beschimpft. …
hat lange gedauert, bis ein Gericht das als strafbar eingestuft hat. Ist
die Sensibilität der Justiz gegenüber digitaler Gewalt unzureichend
ausgeprägt?
Die Sensibilität im Netz ist größer geworden, es gibt inzwischen auch gute
Beratungsangebote, Initiativen und Hilfsprojekte. Die Institutionen der
Rechtsdurchsetzung hinken aber den aktuellen Entwicklungen hinterher. Die
[8][Strafverfolgungsbehörden stoßen an Grenzen] sowohl personell als auch
technisch, weiterhin berichten Frauen, dass sie auflaufen, wenn sie die
Gewalt aus dem digitalen Raum anzeigen wollen – absurderweise wird diese
Form der Gewalt oft als nicht „real“ eingeschätzt.
Die Behörden klagen zudem über zu wenig Personal.
Das kommt dazu. Auch nicht jede Frau geht zur Polizei und zeigt einen
sexuellen Übergriff an. Täte das jedes Opfer, könnte sich die Polizei wohl
auf eine wahre Anzeigenflut einstellen. Denn was wir durchaus wissen: Das,
was wir wahrnehmen, ist nur die Spitze des Eisberges, das Dunkelfeld ist um
einiges größer.
20 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Simone Schmollack
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