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# taz.de -- Projekte im Verein „Dissens“: Nicht mehr gefördert
> Der Verein „Dissens“ spricht an Schulen über die Gefahren toxischer
> Männlichkeit und bildet Lehrer*innen fort. Einige Projekte muss er nun
> einstellen.
Bild: Einige Bildungsprojekte des Vereins „Dissens“ können im Januar nicht…
Berlin taz | Als Stephan B. am 9. Oktober in Halle [1][vor einer Synagoge
und in einem Dönerladen um sich schoss], hörte er einen Song mit der
folgenden Zeile: „Hoes suck my dick while I run over pedestrians“, auf
Deutsch: „Nutten lutschen meinen Schwanz, während ich Fußgänger überfahre…
Die Worte sagen viel über den Attentäter aus: Er dürfte nicht nur über eine
antisemitische und antimuslimische Gesinnung verfügen, sondern auch eine
abgrundtiefe Frauenverachtung in sich tragen.
Die Schweizer Soziologin Franziska Schutzbach beispielsweise beobachtet
seit Jahren, wie in ihrer Männlichkeit verunsicherte Männer den Anschluss
an rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen suchen. Vor allem
sogenannte Pick-up-Artists predigen ein dominantes Herrschaftsbild und
möchten Frauen unterwerfen.
Ein Verein, der sich intensiv mit Männlichkeitsbildern, deren Entstehung
und Folgen für die Gesellschaft beschäftigt, ist „Dissens“ in Berlin. Das
Institut für Bildung und Forschung, wie sich Dissens selbst bezeichnet,
entwickelt seit 30 Jahren Schulprojekte und Broschüren für Lehrkräfte.
„Ziel unserer Arbeit ist die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern“,
sagt Geschäftsführer Bernard Könnicke. Dazu gehört auch, über die Gefahren
von toxischer Männlichkeit aufzuklären, wie sie sich bei Stephan B. in
Halle zeigte.
## „Eine existenzielle Krise“
Damit könnte jedoch bald Schluss sein. Denn Dissens gehört zu jenen
Vereinen, die über [2][das Bundesprogramm „Demokratie leben“] gefördert
werden, dessen Etat für das Bildungsprogramm gegen Extremismus und für
Demokratie im kommenden Jahr auf dem aktuellen Niveau von rund 115
Millionen Euro bleibt.
Das sei fatal, kritisierten zahlreiche Vereine und Organisationen, darunter
neben Dissens die Amadeu Antonio Stiftung, die Arbeiterwohlfahrt, die
Diakonie, Flüchtlingsräte. Werde der Etat nicht erhöht, könnten von den 400
bisherigen Modellprojekten nur noch 100 gefördert werden, heißt es in einem
Protestbrief der Verbände.
Für Dissens heißt das, dass einige Bildungsprojekte ab Januar nicht
fortgeführt werden können; im Verein fallen von elf Stellen fünf weg. „Das
ist für uns eine existenzielle Krise“, sagt Könnecke: „Die Bildungsarbeit
bricht de facto zusammen.“ Konkret heißt das: Pädagogische Materialien
werden nicht mehr produziert, Vor-Ort-Arbeit in Schulen und Gesprächsrunden
in Jugendgruppen fallen flach. Ebenso wird es keine Fortbildungsseminare
für Lehrkräfte mehr geben.
„Und das in einer Zeit, in der sich rechte Angriffe massiv gegen
Gleichstellungspolitik, Feminist*innen und Selbstbestimmungsrechte von
Frauen und Mädchen richten“, sagt Könnecke: „Gerade der Vorfall in Halle
zeigt, dass Aufklärung über rechte Gewalt und toxische Männlichkeit wichtig
ist.“
Darauf weist seit Jahren auch Esther Lehnert hin, Expertin für Männlichkeit
und Rechtsextremismus. So hätten die Rechtsterroristen der Attentate im
neuseeländischen Christchurch im März 2019 sowie auf Utøya in Norwegen im
Juli 2011 wirkmächtige Narrative wie „Umvolkung“ genutzt, an der
Feminist*innen „schuld“ seien.
Familienministerin Franziska Giffey verteidigt ihr Vorgehen. Das Programm
sei „Opfer seines eigenen Erfolges geworden“, sagt die SPD-Politikerin
kürzlich der Süddeutschen Zeitung. Für die Förderung ab dem Jahr 2020
hätten sich etwa 1.000 Projekte beworben – so viele wie noch nie.
Unterstützen werde das Ministerium rund 150 Projekte, diese bekämen nun
jeweils 200.000 Euro im Jahr statt wie bislang 130.000. Für Giffey ist das
[3][„weniger Gießkanne, mehr gezielte Wirkung“.]
8 Jan 2020
## LINKS
[1] /Antisemitismus-nach-dem-Halle-Anschlag/!5642816
[2] /Programm-Demokratie-leben/!5642359
[3] /Bundesprogramm-Demokratie-leben/!5637044
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Förderung
Politische Bildung
Toxische Männlichkeit
Misogynie
FLINTA*
Feminismus
Schwerpunkt Coronavirus
Gleichstellung
Feminismus
30 Jahre friedliche Revolution
Zivilgesellschaft
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