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# taz.de -- Corona und häusliche Gewalt: Tipps gegen Aggressionen
> Er ist so geladen, aber er will nicht ausrasten. Was tun? Das Bundesforum
> Männer hat ein „Survival-Kit für Männer unter Druck“ ins Netz gestellt.
Bild: Kann Stress abbauen: Musik auf die Ohren
Berlin taz | Schon die zweite Woche am Schreibtisch im Homeoffice, eine
Zoom-Konferenz nach der anderen, im Nebenzimmer schreien sich die Kinder
an. Die Frau will wissen, wann er Feierabend macht. Mann ey, das wisse er
doch auch nicht, keift er seine Frau an und macht eine Bewegung, als wolle
[1][er ihr eine runterhauen]. Es sei eben alles anders in Zeiten von
Corona. Dabei sitzt er schon seit 7 Uhr morgens am Schreibtisch, die letzte
Mail wird er sicher erst gegen 21 Uhr schreiben. Und am Wochenende sollte
er auch zur Verfügung stehen – für alle Fälle. Da können einem schon mal
die Sicherungen durchbrennen.
Die Szene ist zwar fiktiv, aber sie steht symbolhaft für das, was gerade in
nicht wenigen Wohnungen passiert: Familien hocken aufeinander, gehen sich
auf die Nerven, viele Eltern müssen trotz der Alltagseinschränkungen
arbeiten. [2][Im Homeoffice] können die Grenzen von Job, Privatleben und
Haushaltsaufgaben schnell verschwimmen, mitunter bis zur Unkenntlichkeit –
für Frauen wie Männer. Das stresst und sorgt für Frust, Überlastung,
Unzufriedenheit. Und für Aggressionen. Mit denen [3][viele Männer schwerer
umgehen können] als Frauen, manche rasten daher häufiger aus.
„Da ist einer schon mal kurz vor Rot“, drückt Dag Schölper es aus,
Geschäftsführer des [4][Bundesforum Männer], einem Interessenverband für
Jungen, Männer und Väter. Das Bundesforum ist das (männliche) Pendant zum
Deutschen Frauenrat, einem Dachverband für 59 Frauenorganisationen und
-vereine in Deutschland.
Jetzt hat das Bundesforum ein [5][„Survival-Kit für Männer unter Druck“]
herausgegeben, eine Art Bedienungsanleitung im Netz gegen Gewalt. Das
Survival-Kit richtet sich vor allem an jene, die „voller Aggression sind,
aber nicht ausrasten wollen“, sagt Schölper. Denn „in einer Krisensituation
steigt das Risiko, die Kontrolle zu verlieren und gewalttätig zu werden“,
heißt es im Merkblatt, das man kostenlos herunterladen kann. Derzeit gibt
es das Merkblatt in 18 Sprachen, darunter Englisch, Serbokroatisch,
Tigrinya, Niederländisch, Italienisch.
## Hilfe für Männer, die nicht ausrasten wollen
Das Angebot, das in Zusammenarbeit mit Antigewalt- und
gleichstellungsorientierten Männergruppen in der Schweiz und Österreich
entstanden ist, ist ein wichtiger Teil der Antigewaltarbeit. In diesen
Wochen nehmen häusliche und Partnerschaftsgewalt zu, vor allem durch
beengtes und dauerhaftes Zusammensein, insbesondere in kleinen Wohnungen.
Mancherorts steigt die Gewaltrate derzeit um 100 Prozent, so wie im
Polizeibezirk Essen.
Ausgangsbeschränkungen, geschlossene Schulen und Kitas, Homeoffice,
wachsende Arbeits- und damit Perspektivlosigkeit seien der „perfekte
Nährboden“ für [6][häusliche Gewalt], hatte Marlène Schiappa, französisc…
Staatssekretärin für Geschlechtergleichstellung, bereits vor den massiven
Einschränkungen im öffentlichen Leben in Frankreich gewarnt. Von
Partnerschaftsgewalt sind vor allem Frauen betroffen, jede vierte Frau in
Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt vom aktuellen oder
Expartner erfahren.
## Musik hören und lesen als Tipp
Jetzt wird es [7][für die Opfer noch schwerer als sonst], sich zu wehren
und die Gewaltspirale zu verlassen oder zu verringern. Marija Pejcinovic
Buric, Generalsekretärin des Europarats, zufolge können Frauen jetzt weder
eine Beratungsstelle aufsuchen noch in ein Frauenhaus fliehen. Frauenhäuser
und Beratungsstellen in Deutschland haben ihr [8][Angebot der Situation
angepass]t und leisten jetzt vor allem telefonische Hilfe und sind per Mail
ansprechbar, teilten die [9][Bundeskoordinierung der Frauenhäuser] und
-beratungsstellen mit.
Und wie kann das Survival-Kit unter Druck stehenden Männern helfen? In den
zehn von Psychologen und Gewaltexperten entworfenen Ratschlägen heißt es
unter anderem: „Höre Musik. Treib Sport. Tausch dich mit Freunden aus.“
Oder: „Achte auf deine Grenzen: Sag Stopp, wenn du dich bedrängt, beengt,
genervt fühlst.“ Können solche Tipps tatsächlich Gewalt verhindern? Können
sie Frauen schützen und Männer vor kriminellen Handlungen bewahren? „Wir
machen uns da nichts vor“, sagt Schölper vom Bundesforum Männer: „Das
Angebot richtet sich vor allem an Männer, die sonst nicht gewalttätig, aber
mit der aktuellen Situation völlig überfordert sind.“
Männer also, die gewöhnlich Dauerpräsenz im Büro zeigen und mit familiärer
Opulenz nicht umgehen können. Die nicht wissen, in welchen Küchenschrank zu
Hause die Teller gehören und dass man Jeans nicht zusammen mit weißen
Unterhosen in die Waschmaschine schmeißt. Kurz: Die das (für sie neue)
Leben zu Hause über Maßen stresst. Schölper sagt: „Männer, die Gewalt als
Macht- und Kontrollverhalten definieren und gar nicht darüber nachdenken,
dass sie ihrer Partnerin Unrecht tun, wenn sie sie schlagen, erreichen wir
vermutlich nicht.“
Das Bundesforum setzt aber darauf, dass das Survivel-Kit – neben den
„bewussten Männern“ – auch von Nachbarn oder Mitarbeitenden von
Pflegediensten wahrgenommen und empfohlen wird, wenn sie in einem Haushalt
Übergriffe vermuten.
## Zu wenig Programme für Männer als Täter
Die öffentliche Sensibilität gegenüber häuslicher und Partnerschaftsgewalt
hat durchaus zugenommen – und mit ihr die Zahl der Präventionsangebote und
Projekte der Arbeit mit Tätern. In der Europäischen Union gibt es rund 200
Täterprogramme, in Deutschland findet man Beratungs- und Anlaufstellen für
Gewalttäter vor allem in Großstädten wie Berlin, München, Hamburg,
Düsseldorf.
Einige Männer gehen freiwillig zu Antigewalttrainings, das sind die
sogenannten „Selbstmelder“, jene, die sich jetzt durch das Survival-Kit
angesprochen fühlen könnten. Andere schicken Polizei und Jugendämter, als
verpflichtende Auflage, weil sie bereits gewalttätig waren. Verweigern sie
das Antigewalttraining, dürfen sie möglicherweise eine Zeitlang ihre Kinder
nicht sehen.
Manche dieser Männern rufen bei Gerhard Hafner in der
[10][Männerberatungsstelle gegen Gewalt der Volkssolidarität] in Berlin an.
Und sagen häufig nur einen Satz ins Telefon: „Ich möchte einen Termin.“
Mitunter sei gar nicht sicher, sagt Hafner, ob die Beratungsstelle die
richtige Anlaufstelle für ihr Problem sei: „Aber Männer tun sich schwerer
damit, am Telefon über sich, ihre Bedürfnisse und Notlagen zu reden.“ Eher
strebten sie eine persönliche Beratung an.
Weil das gerade nicht ginge, sei das Survival-Kit „wichtig und sinnvoll“,
sagt Hafner. Das Ganze hat aber einen echten Haken: Wem die Ratschläge
nicht weiterhelfen, kann keine bundesweite Hotline für Männer anrufen – so
wie das Frauen beim [11][Hilfetelefon] machen können. Regional bieten die
Opferschutzorganisation wie der [12][Weiße Ring] Telefonberatung an,
andererorts helfen die Kirchen und einige wenige Männerberatungsstellen.
2 Apr 2020
## LINKS
[1] /Gewalt-in-der-Partnerschaft/!5402268
[2] /Corona-Tagebuch-der-Hauptstadt/!5671055
[3] /Haeusliche-Gewalt-in-Deutschland/!5356380
[4] https://bundesforum-maenner.de/
[5] https://bundesforum-maenner.de/2020/03/25/corona-krise-survival-kit-fuer-ma…
[6] http://3417076,
[7] /Gewalt-gegen-aeltere-Frauen/!5551109
[8] /Debatte-Gewalt-in-Partnerschaften/!5418290
[9] https://www.bundeskoordinierung.de/
[10] https://www.volkssolidaritaet.de/berliner-volkssolidaritaet/beratung-hilfe…
[11] https://www.hilfetelefon.de/
[12] https://weisser-ring.de/
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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