# taz.de -- Sexistische Start-ups: Bio-Tampons, aber kein Betriebsrat | |
> Eine Start-up-Chefin belästigte Angestellte. Dabei hatte sich die | |
> „SHE-EO“ als Feministin dargestellt. Warum ähnliche Fälle auch in | |
> Deutschland drohen. | |
Bild: Die Höschen von Thinx sind natürlich schöner. Im Gegensatz zur Atmosph… | |
Berlin taz | Die Tangas bleiben dicht, die Tampons sind bio und die Firma | |
ist weiblich: Es hätte alles so schön sein können bei Thinx. Das Start-up | |
stellt Menstruationsunterhosen und biologisch abbaubare Tampons her. | |
Gegründet hat es Miki Agrawal. Sie positionierte Thinx als feministisches | |
Unternehmen, das Tabus rund um die Menstruation abbaut und | |
selbstverständlich von Frauen geführt wird. | |
Die Period Panties gibt es in sechs Varianten, die alle sexy geschnitten | |
sind und in die nicht sichtbar eine Art Binde integriert ist. Die saugt | |
entweder als Ersatz für Tampons und Menstruationstassen das Blut auf. Oder | |
sie ergänzt die herkömmlichen Methoden, um die „Was, wenn was | |
danebengeht“-Paranoia zu beenden. | |
Die Slips kosten zwischen 24 und 39 Euro. Auch, um das sympathische | |
Start-up zu unterstützen, zahlen viele Frauen diesen doch recht hohen | |
Preis. Thinx ist seit der Gründung 2015 rasant gewachsen; Miki Agrawal | |
selbst gibt sich überrascht. Eine „wahre Achterbahn“ sei die | |
Erfolgsgeschichte gewesen. | |
Jetzt werfen Angestellte Agrawal sexuelle Belästigung vor. Sie soll | |
regelmäßig vor den Augen ihrer Kolleginnen neue Produkte „anprobiert“ | |
haben. In Videokonferenzen schaltete sie sich mal auf der Toilette sitzend | |
ein, mal nackt im Bett liegend. Sie soll Beschäftigte genötigt haben, über | |
ihre sexuellen Präferenzen zu sprechen. Ihr eigenes Sexleben scheint sie im | |
Büro detailreich geschildert zu haben. Laut einer ehemaligen Mitarbeiterin | |
soll sie dieser mehrmals an die Brust gegriffen haben. | |
## Im Tal der Frauenfeinde | |
Agrawal feuerte diese Mitarbeiterin, kurz bevor der Jahresbonus ausgezahlt | |
werden sollte. Die Ex-Angestellte sagt, Agrawal habe ihr das Geld trotzdem | |
angeboten, aber nur wenn sie unterschreibe, niemals Rechtsmittel gegen | |
Thinx einzulegen. | |
Stattdessen hat sie nun Beschwerde bei der New Yorker | |
Menschenrechtskommisssion eingereicht. Andere Thinx-Angestellte aller | |
Ebenen beteiligten sich mit ihren Schilderungen an der Beschwerde. Gegen | |
Agrawal wird wohl ermittelt werden. Der Journalistin Noreen Malone sagte | |
Agrawal, die Vorwürfe seien „gegenstandslos“ und „absolut unbegründet�… | |
Der Fall Agrawal ist extravagant, aber nicht ungewöhnlich. Der Guardian hat | |
die Vergehen diverser Firmen [1][zusammengetragen] und zitiert eine Studie, | |
laut der 60 Prozent der Frauen in der amerikanischen Technologie-Branche | |
schon „ungewollte sexuelle Annäherung“ am Arbeitsplatz erlebt haben. Das | |
Silicon Valley gilt als Tal der Frauenfeinde. Doch auch in Start-ups | |
anderer Branchen werden Angestellte überproportional häufig belästigt. | |
## Elon Musk bietet Joghurt-Maschinen an | |
Momentan ist Uber in den Schlagzeilen, weil Ex-Mitarbeiterin Susan Fowler | |
detailliert über die sexuelle Belästigung im Konzern geschrieben hat. Diese | |
Woche zeigte laut [2][Buzzfeed] ein Mitarbeiter das Unternehmen Tesla an, | |
weil er bei der Arbeit sexuell belästigt worden sei. | |
Das Problem vieler Start-ups ist, dass sie sich keine Abteilung für „Human | |
Resources“ leisten, bei der Angestellte sich über schlechte Behandlung | |
beschweren könnten. Betriebsräte sind selbst in großen US-Unternehmen nicht | |
so üblich wie bei uns, weil in den USA ein anderes Verständnis von | |
Arbeitnehmervertretung herrscht. | |
Tesla-Gründer Elon Musk soll eine Rundmail an seine Angestellten | |
geschrieben haben, dass sie bitte aufhören sollen, einen Betriebsrat zu | |
planen. Dafür werde er Frozen-Yoghurt-Maschinen in der Fabrik aufstellen. | |
Miki Agrawal war als CEO zurückgetreten, bevor die Vorwürfe gegen sie | |
aufkamen. Grund war schlechte Personalpolitik, mangelnde | |
Krankenversicherung für die Beschäftigten und die Abwesenheit einer | |
Human-Resources-Abteilung. | |
## SHE-E-Oje | |
Agrawal versuchte zunächst, ihren Rücktritt herunterzuspielen. „Es passiert | |
nichts Dramatisches, ich bin immer noch SHE-EO und Mitgründerin von Thinx“, | |
erklärte sie, und wie in jedem Unternehmen gebe es anfangs den einen oder | |
anderen personellen Wechsel. | |
Einige Wochen nach dem Rücktritt schrieb SHE-EO Agrawal eine Art | |
[3][Erfahrungs-Rechtfertigungs-Bericht], in dem sie sich als überfordert | |
vom schnellen Wachstum des Unternehmens darstellt. „Aus heiterem Himmel | |
kamen Fragen nach Krankenversicherung, Urlaubstage, Prämien und | |
Mutterschutz“, schreibt sie. SHE-E-Oje. Mit ähnlichen Fällen ist in | |
Deutschland zu rechnen. Denn die chaotische Unternehmensführung schwappt | |
mit der New-Economy-Kultur zu uns herüber. | |
Gründer*innen berufen sich gern auf Gedankenlosigkeit oder | |
Ressourcenknappheit. Das Beispiel eines Hamburger Spieleentwicklers stellt | |
sich anders dar. Ihm wurde 2015 vorgeworfen, Beschäftigte gefeuert zu | |
haben, weil sie einen Betriebsrat bilden wollten. | |
## Was tun, wenn Angestellte schlecht behandelt werden? | |
Die Berliner Redaktion des Online-Magazins Vice hat bei ihrem letzten | |
Monatsfrühstück über einen Betriebsrat gesprochen. Die 150 | |
Mitarbeiter*innen beschlossen, eine Vertretung zu forcieren, sobald eine | |
„Schwellengröße“ überschritten sei. Aber bislang verstehe man sich ja | |
ausgezeichnet. Chefredakteurin Laura Himmelreich stellt jeden Monat neue | |
Mitarbeiter*innen ein, die ihr Gehalt selbst verhandeln müssen, weil es | |
keinen Tariflohn gibt. | |
Der Anteil an Betriebsräten sinkt, je kleiner die Firmen sind. Weniger als | |
ein Zehntel der Beschäftigten kleiner Unternehmen in Deutschland ist von | |
einem Betriebsrat vertreten, so das [4][Institut für Arbeitsmarkt- und | |
Betriebsforschung]. Bei einer [5][privaten Studie] von | |
Wirtschaftsvertretern gab nur jedes vierte Start-up an, einen Betriebsrat | |
zu haben. | |
Wenn Angestellte schlecht behandelt werden, müssen sie auf Verständnis bei | |
ihren Chef*innen hoffen. Und die wiederum müssen für ihr Image hoffen, dass | |
die Betroffenen, naja, dicht halten. | |
28 Mar 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.theguardian.com/technology/2016/jan/12/silicon-valley-women-har… | |
[2] https://www.buzzfeed.com/carolineodonovan/a-new-lawsuit-alleges-racism-and-… | |
[3] https://medium.com/@mikiagrawal/my-thinx-ride-141a738993ee#.jrt6qpqxc | |
[4] http://www.iab.de/de/erhebungen/iab-betriebspanel.aspx/ | |
[5] http://www.ingenieur.de/Arbeit-Beruf/Gruenderlounge/Existenzgruendung/Start… | |
## AUTOREN | |
Jana Anzlinger | |
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