# taz.de -- „Tabuthema“ Menstruation: Nie wieder Erdbeerwoche | |
> Viele Frauen setzen sich dafür ein, die blutenden Tage öffentlich sicht- | |
> und sagbar zu machen. Wir sollten uns nicht schämen, darüber zu sprechen. | |
Bild: Ja, und? | |
Erdbeerwoche. Besuch der roten Tante. Alarmstufe Rot: Frauen | |
menstruieren. Das ist eine simple und unbestreitbare Tatsache, und sie | |
betrifft etwa die Hälfte der Menschheit. Doch statt des Worts | |
„Menstruation“ bemühen wir gerne ein breites Repertoire an Euphemismen. | |
Über die weibliche Regelblutung offen zu sprechen, ist nicht | |
selbstverständlich. | |
Stattdessen werden Tampons unter dem Tisch weitergereicht wie Mittel zur | |
Pilzbekämpfung, begleitet von verlegenem Flüstern und schamvoll gesenkten | |
Blicken. Beworben werden sie mit klarer blauer Flüssigkeit, so steril, dass | |
man den Chlorgeruch förmlich in der Nase hat. Die Blutung soll möglichst | |
unsichtbar sein. | |
Schon in den 70ern und 80ern versuchten Feministinnen, das Tabu zu brechen. | |
Judy Chicago wurde 1971 als eine der ersten „Menstruationskünstlerinnen“ | |
bekannt. Ihre Fotolithografie „Red Flag“ zeigt in Großaufnahme die Hand | |
einer Frau, die gerade einen blutigen Tampon aus ihrer Vagina zieht. | |
1972 fügte Carolee Schneeman mehrere Taschentücher mit getrocknetem | |
Menstruationsblut zu dem Kunstwerk „Blood Work Diary“ zusammen – inspirie… | |
durch die entsetzte Reaktion eines früheren Liebhabers, als dieser beim Sex | |
ihr Blut sah. 1981 erschien in den USA das Buch „Frauenkörper neu gesehen“, | |
herausgegeben von der Föderation der feministischen | |
Frauengesundheitszentren. | |
## Luxusartikel Binden und Tampons | |
Auch in Deutschland wurde es bald zum Klassiker unter Feministinnen. Es | |
erklärte die weibliche Anatomie und den Zyklus und zeigte Fotos von Vulva | |
und Muttermund, denn um selbstbestimmt Entscheidungen über ihren Körper zu | |
treffen, muss frau ihn kennen. | |
Diese Kunstwerke und Bücher galten als radikalfeministisch und riefen | |
heftige Kontroversen hervor, auch unter Feministinnen. Während die einen | |
den Tabubruch feierten, kritisierten die anderen, dass die Biologie stärker | |
im Vordergrund stünde als gesellschaftliche Stigmatisierung. | |
Seitdem hat sich einiges getan. Im April 2015 lief die Amerikanerin Kiran | |
Gandhi den London Marathon mit Periode. Das Blut lief ihr die Beine | |
hinunter. Sie wollte während des Marathons keine Zeit mit Tamponwechsel | |
verlieren, und sie wollte ein Zeichen setzen: „Ich lief, um zu sagen: Sie | |
existiert und wir leben jeden Tag damit.“ | |
Während in Deutschland Tampons und Binden immer noch als Luxusartikel mit | |
19 Prozent besteuert werden (anders als „notwendige“ Produkte wie | |
Schnittblumen oder Nahrung, für die die reduzierte Mehrwertsteuer von 7 | |
Prozent gilt), schaffte Kanada im Juli 2015 die Luxussteuer für solche | |
Hygieneprodukte ab. Wegen dieser und weiterer Ereignisse erkor die | |
Zeitschrift Cosmopolitan das Jahr 2015 zum „Jahr, in dem die Periode | |
öffentlich wurde“. | |
## Umgang mit der Menstruation ist „mega-emanzipatorisch“ | |
Seit März diskutiert das italienische Unterhaus, Frauen mit starken | |
Menstruationsbeschwerden bis zu drei Tage bezahlten Urlaub zuzugestehen. In | |
Kenias öffentlichen Schulen haben Mädchen seit Juni kostenfreien Zugang zu | |
Binden. Und dass auch Trans*Männer oder Personen, die sich keinem | |
Geschlecht zuordnen, menstruieren, wird zunehmend ein Thema: Mitte Juli | |
postete die Trans*Person Cass Clemmer ein Bild im Netz, das sie mit einem | |
großen Blutfleck auf der Hose und einem Schild zeigt: „Perioden sind nicht | |
nur für Frauen. #BleedingWhileTrans“. | |
Auf dem deutschen Literaturmarkt sind in den letzten Monaten bereits zwei | |
Bücher zu dem Thema erschienen. Die Nürnberger Designstudentinnen Luisa | |
Strömer und Eva Wünsch stellen in „Ebbe und Blut“ Fragen, „die wir uns … | |
zu selten stellen“, zeigen bunte Collagen und sprechen von der „Schönheit | |
des Mittelschmerzes“, der „Ästhetik vollgebluteter Unterhosen“ und der | |
„Raffinesse der Eisprungphase“. | |
Weniger romantisierend, dafür umso trotziger kommt „Ja, ich habe meine | |
Tage! So what?“ daher. Die schwedische YouTuberin Clara Henry fühlte sich | |
alleingelassen, als sie das erste Mal ihre Tage bekam. „Das Schulamt hatte | |
beschlossen, dass eine Viertelstunde vollkommen ausreicht, um allen | |
Zehnjährigen im Besitz einer Gebärmutter zu erklären, was sie im Laufe | |
ihres Lebens etwa 450-mal am eigenen Körper erfahren werden“, schreibt | |
Henry. Für sie ist der Umgang mit der Menstruation etwas | |
„Mega-Emanzipatorisches“. Es sei an der Zeit, die Tage zurückzufordern: | |
„Mach sie zu deinem Eigentum, das nicht einfach von jedem belächelt und | |
abstoßend gefunden werden kann“. | |
Diese Neuerscheinungen sind nicht nur hübsch aufbereitet, sie sprechen die | |
Leser_innen auch direkt an: „Eigentlich müssten wir richtig routiniert sein | |
im Bluten.“ Und sie geben ihnen ein Werkzeug an die Hand: eine | |
schambefreite Sprache, die Alltag werden soll. | |
## Instagram: Körper in Unterwäsche – ja. Blutfleck – nein. | |
Die Autorinnen verzichten auf Euphemismen, Umschreibungen und medizinische | |
Fachbegriffe. Ästhetik und Design sind ebenso wichtig wie der Inhalt. Die | |
Aufmachung erinnert an einen Instagram-Account: Schwarz-Weiß-Fotos von | |
Frauen bei der Gymnastik mit Blutflecken im Schritt oder eine Seite, die | |
aus rotem Aquarellgekleckse besteht. Kein Bild ist eklig, jedes sagt: Hier | |
gibt es nichts zu skandalisieren. | |
Henrys Buch wurde sogar in der Berliner U-Bahn beworben. Und trotzdem: | |
Würden wir mit Menstruation so normal umgehen wie mit einer Erkältung, | |
wären all die bisher genannten Beispiele keinen Medienbericht wert. Es | |
ist nach wie vor so: Regelblutung gilt als schmutzig und nicht vorzeigbar. | |
Als die Spoken-Word-Poetin Rupi Kaur aus Toronto im März 2015 ein Bild auf | |
Instagram hochlud, auf dem sie im Bett liegend zu sehen ist – auf dem | |
Hinterteil ihrer Jogginghose und auf dem Laken ein roter Fleck –, löschte | |
die Plattform das Foto. Es verstoße gegen die Richtlinie, Bilder mit | |
sexuellen Handlungen, Gewalt oder Nacktheit nicht zu zeigen. In welche | |
Kategorie die Menstruation fällt, wurde nicht erklärt. | |
„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, das Ego und den Stolz einer | |
frauenfeindlichen Gesellschaft nicht zu füttern, die meinen Körper in | |
Unterwäsche akzeptiert, nicht aber einen kleinen Fleck“, schrieb Kaur auf | |
Facebook. | |
## Dank sozialer Medien gewinnt Protest an Reichweite | |
Der effektivste Weg, einen biologischen Vorgang aus der Tabuzone zu holen, | |
besteht im Abbau der Sprachbarriere. Einer Studie zufolge, die die | |
Zyklus-App Clue und die International Women’s Health Coalition im Jahr 2015 | |
durchführten, fühlen sich 76 Prozent der deutschen Frauen wohl dabei, mit | |
Kolleginnen oder Mitschülerinnen über ihre Periode zu sprechen. | |
Ist der Gesprächspartner ein Mann, sind es gerade mal 25 Prozent. 16 | |
Prozent der Befragten gaben an, schon einmal Schule, Arbeit oder eine | |
Veranstaltung verpasst zu haben – aus Angst, jemand könnte herausfinden, | |
dass sie ihre Tage haben. | |
„Das Tabu besteht immer noch. Es anzugehen ist aber heute einfacher als | |
damals“, sagt die Feministin Laura Méritt. Das liege einerseits an einer | |
gesamtgesellschaftlichen Entwicklung – aber auch an den sozialen Medien. | |
„Klar hat Instagram das Bild von Rupi Kaur gelöscht. Aber das hat zu | |
heftigen Protesten im Netz geführt“, sagt Méritt. | |
Und die waren letztlich erfolgreich: Instagram stellte das Bild wieder her. | |
Viele junge Frauen würden gerade merken, dass die Tabus existieren und das | |
Wissen fehlt. Dank sozialer Medien gewinnt ihr Protest dagegen an | |
Reichweite. Und damit habe sich auch der Ton geändert, sagt Méritt. | |
## Dem Tampon zu Glamour verhelfen | |
Für die 2012 erschienene deutsche Neuausgabe von „Frauenkörper neu gesehen�… | |
sei daher auch eine zeitgemäßere Sprache benutzt worden. „Damals ging es | |
darum, ganz grundlegende Aufklärung zu betreiben. Die Autorinnen mussten | |
darum kämpfen, einen Verlag zu finden, der das Projekt nicht gleich als | |
pornografisch abtut.“ | |
30 Jahre später können junge Feministinnen dank der Arbeit ihrer | |
Vorgängerinnen neue Schwerpunkte setzen: Sie können Worte ohne negative | |
Konnotation finden oder sie mit Hashtags wie #HappyToBleed positiv | |
besetzen. Oder dem Tampon in Form eines goldenen Schlüsselanhängers zu | |
Glamour verhelfen. Sie können die Menstruation und den weiblichen Körper | |
sagbar und sichtbar machen. | |
Gespräche über Menstruation werden wohl immer anders bleiben als solche | |
über das Wetter oder das Lieblingsrestaurant. Wer will schon mit dem Blut | |
anderer Leute in Kontakt kommen. Wir müssen aber auch gar nicht die | |
Berührungsängste vor dem Blut anderer Menschen verlieren. Sondern die | |
Scham, darüber zu sprechen. | |
29 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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