# taz.de -- Arbeitsrechte bei Zalando: Pausenstreit der Picker und Packer | |
> Mitarbeiter kritisieren Zalando: Pausenregeln seien zu rigide, Gehälter | |
> zu niedrig. Nach Protesten bewegt sich der Online-Händler – etwas. | |
Bild: Arbeitsalltag bei Zalando: volle Arbeitslast, unvollständige Pausen | |
Berlin taz | Wenn der Gong ertönt, wird es hektisch bei Zalando. Dann eilen | |
die Arbeiter los zur Kantine. Jede Sekunde ist kostbar: Die Pausenzeit | |
läuft, obwohl die „Picker“, „Packer“ und „Stower“ im Warenlager des | |
Online-Modehändlers in Brieselang bei Berlin noch gar nicht Pause machen | |
können. Vorher müssen sie bis zu sechs Minuten lang durch die Hallen | |
marschieren. | |
Zwei Pausen haben sie pro Schicht – jeweils für 20 und 25 Minuten. Durch | |
die Wegzeiten schmelzen die Pausen bis auf die Hälfte ab. Das heißt für die | |
Arbeiter insgesamt nur ganze 20 Minuten Zeit zum Ausruhen und Essen während | |
einer anstrengenden Achtstundenschicht, in der sie Schuhe, Hosen und Jacken | |
für die Hauptstadt einlagern, aus den Regalen holen oder verpacken müssen. | |
Das Arbeitszeitgesetz verlangt aber mindestens 30 Minuten Pause. Essen ist | |
in den Zalando-Hallen verboten, Trinken erlaubt. Die Abläufe berichteten | |
Arbeiter der taz. Die Gewerkschaft Verdi bestätigt die Angaben. | |
Und sie sind nicht das einzige Problem, über das Zalando-MitarbeiterInnen | |
derzeit klagen. Es gärt in der Belegschaft beim Online-Händler, der 2008 | |
als Start-up in Berlin-Mitte gegründet wurde und heute fast 11.000 | |
Mitarbeiter beschäftigt. Nach außen präsentiert sich Zalando als hipper, | |
sympathischer Modeladen – intern ist die Welt keineswegs heil. Jahrelang | |
hatte die Konzernführung als Ziel Wachstum statt Rendite ausgegeben. Nach | |
Jahren hoher Verluste wollen die Aktionäre – voran die schwedische | |
Investmentgesellschaft Kinnevik mit 30 Prozent Anteil – jetzt Profit sehen. | |
Vor Jahren berichteten das ZDF und das „Team Wallraff“ über unerträgliche | |
Zustände in den Warenlagern bei Zalando. Von unklimatisierten Hallen und zu | |
wenigen Toiletten war die Rede. Die Zustände haben sich nach Einschätzung | |
von Verdi und Beschäftigten gebessert, aber der Arbeitsdruck ist geblieben. | |
Nur taugt er weniger für große Schlagzeilen. | |
## Pausenzeiten für Fabrikarbeiter extrem wichtig | |
Auch die Praxis, lange Wegzeiten den Pausen zuzuschlagen, ist zwar legal, | |
aber dennoch extrem belastend. In der Metallindustrie etwa wird das Problem | |
gelöst, indem in den Fabriken mehrere Pausenräume verteilt sind. Oder die | |
Pausenzeiten werden bezahlt. Fabrik- und Lagerarbeiter können von | |
Vertrauensarbeitszeit und den kleinen informellen Pausen der Büromenschen – | |
schnell ein Brötchen am Schreibtisch gegessen, ein Blick auf die eigene | |
Facebookseite zur Ablenkung – nur träumen. Für sie sind klare Pausenregeln | |
wichtig, besonders in Zeiten wie jetzt kurz vor Weihnachten, in denen der | |
Arbeitsdruck noch höher als sonst ist. | |
Die Zustände bei Zalando Brieselang könnten sich nun ändern. In diesem Jahr | |
haben 700 der 1.200 Beschäftigten in Brieselang, angestoßen vom | |
Betriebsrat, gegen die Praxis per Unterschriftensammlung protestiert. | |
Später haben bei einer Befragung 95 Prozent der TeilnehmerInnen ihren Unmut | |
über die Pausenregel geäußert. Das berichtet Markus Hoffmann-Achenbach, | |
zuständiger Verdi-Gewerkschaftssekretär in Brandenburg. | |
Der Druck half: Der Betriebsrat konnte den Arbeitgeber an den | |
Verhandlungstisch bewegen. Zu einer Lösung kam es zwar nicht, jedoch wurde | |
eine Einigungsstelle eingesetzt – eine Art Schiedsgericht zwischen | |
Betriebsrat und Arbeitgeber. Jetzt soll es zu einer Einigung gekommen sein: | |
Die Pause soll künftig erst dann beginnen, wenn die Arbeiter ein Drehkreuz | |
passieren. | |
Hoffmann-Achenbach spricht von „klaren Verbesserungen“. Allerdings stehen | |
die Unterschriften noch aus. Zalando bestätigte Gespräche mit dem | |
Betriebsrat, wollte sich aber nicht näher äußern. | |
## Löhne bei Zalando besonders niedrig | |
Unzufrieden sind die Arbeiter in Brieselang indes auch mit dem Stundenlohn | |
von 10,12 Euro. „Das ist zu niedrig für diese Arbeit“, sagt ein | |
Beschäftigter. Selbst Amazon, in Brieselang Nachbar und nicht gerade als | |
Arbeitnehmerfreund bekannt, zahlt im Schnitt mehr, weil der Lohn dort nach | |
Berufsjahren gestaffelt ist. | |
Bei Zalando in Brieselang verharrt ein Arbeiter nach Unternehmensangaben | |
bei 10,12 Euro, am Standort Erfurt bei 9,69 Euro und in Mönchengladbach bei | |
10,50 Euro. Es gibt keinen Tarifvertrag, sodass der Lohn vom Gutdünken des | |
Arbeitgebers abhängig ist. Unternehmen können zu einem Tarifvertrag mit | |
einer Gewerkschaft nicht gezwungen werden – zumal der Organisationsgrad von | |
Verdi bei Zalando noch niedrig ist. | |
Ortswechsel, Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin. In dem Bezirk liegen die | |
Büros von Zalando verteilt. Hier ist eine andere Klientel als in Brieselang | |
angestellt. Viele junge Leute mit Uni-Abschluss arbeiten hier, besonders | |
Südeuropäer sind stark vertreten, die die Wirtschaftskrise nach Berlin | |
getrieben hat. Zalando kann unter Heerscharen junger Arbeitskräfte | |
auswählen. | |
Berlin ist angesagt, und die Marke Zalando ist unter EU-Migranten beliebt | |
als Arbeitgeber: Mit Englisch plus der Muttersprache kann man hier | |
problemlos einsteigen, Deutsch muss man nicht sprechen können. Dass Zalando | |
auch für einfache Bürojobs wenig zahlt, fällt zunächst nicht auf, wenn man | |
aus Spanien kommt und lange arbeitslos war. | |
## Hier sprechen Sie mit Akademikern | |
Von einer Gruppe von Callcenter-Mitarbeiterinnen aus einem südeuropäischen | |
Land, die die taz traf, hat jede einen Universitätsabschluss. Ihre Namen | |
und auch ihr Heimatland wollen sie nicht in der Zeitung lesen. Zu Hause gab | |
es keine Chance auf einen Job. | |
Jetzt arbeiten sie in Berlin-Kreuzberg im Großraumbüro, um Fragen ihrer | |
Landsleute zu Schuhgrößen und Umtauschregeln zu beantworten. Für jedes | |
Kundenland ist eine eigene Gruppe zuständig. Die 10,50 Euro, die man als | |
„Customer Call Center Specialist“ bekommt, halten sie „auf jeden Fall für | |
zu wenig“. | |
Es gibt Länder, aus denen die Mitarbeiter im Minutentakt Anrufe | |
entgegennehmen müssen, und andere, in denen wenig los ist. Das halten sie | |
bei gleicher Bezahlung für extrem ungerecht. Eine junge Frau unter ihnen | |
wurde nach ihren Angaben vom Vorgesetzten zum „Senior Specialist“ befördert | |
– das Zalando-Management mag die amerikanischen Fantasie-Berufstitel –, | |
ohne das ihr zustehende Gehaltsplus zu bekommen. Nach mehreren Monaten | |
wurde ihr mitgeteilt, dass ihre Beförderung nicht gültig sei. Sie hat das | |
Unternehmen inzwischen verlassen. | |
## Betriebsräte gegründet | |
Verdi zeichnet ein geteiltes Bild von Zalando. Einerseits, heißt es, biete | |
Zalando nie von sich aus Verbesserungen an, ständiger Druck sei nötig. | |
Thomas Voß, bei Verdi für den Online-Handel zuständig, betont aber die | |
„konstruktiven Kontakte“ zum Management. „Zalando stellt sich nicht offen | |
gegen Mitbestimmung und Gewerkschaften, wie Amazon es tut“, sagt er. | |
Unternehmen können durch Tricks und Einschüchterung die Bildung von | |
Betriebsräten verhindern – das tut Zalando nicht. | |
Inzwischen gibt es an mehreren Standorten einen Betriebsrat, auch für die | |
Callcenter-Mitarbeiter in Berlin. Betriebsräte wiederum haben die | |
rechtlichen Mittel, um etwa beim Pausenstreit in Brieselang Druck zu | |
machen. Voß rechnet Zalando deren Start-up-Wurzeln an: „Das ist ein junges | |
Unternehmen, das erst dabei ist, seine Unternehmenskultur in Richtung | |
Mitbestimmung zu entwickeln.“ | |
Allerdings ist Zalando längst kein sympathisch-chaotisches Start-up mehr, | |
sondern eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit knapp drei Milliarden | |
Euro Umsatz. 2014 wurde Zalando in eine SE, eine Europäische | |
Aktiengesellschaft, umgewandelt. So kann das deutsche Mitbestimmungsrecht | |
ausgehebelt werden. Wäre Zalando ein deutsches Unternehmen, müssten im | |
Aufsichtsrat zur Hälfte Arbeitnehmervertreter sitzen – jetzt sind es nur | |
drei von neun, die merkwürdigerweise alle Führungskräfte sind. | |
Verdi hat dieses Jahr gegen Zalando geklagt, weil aus ihrer Sicht die | |
Mitarbeiter und die Gewerkschaft bei der Umwandlung in die SE übergangen | |
wurden. In erster Instanz hat Verdi verloren, inzwischen aber Beschwerde | |
eingelegt. Ein Urteil steht noch aus. | |
21 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Hinck | |
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