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# taz.de -- Nachruf auf Heinrich Senfft: Einer, der keine Hexenjagden mochte
> Der Anwalt Heinrich Senfft vertrat Wallraff, Gysi, „Stern“ und „Zeit“.
> Nun ist der Vorkämpfer des Rechtsstaats 88-jährig verstorben.
Bild: Heinrich Senfft kämpfte gegen Nachsicht gegenüber Nazi-Handlangern
Heinrich Senfft ist tot. Vielen Jüngeren wird der Name nichts mehr sagen –
ein Hinweis auf das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit. Seit den 1960er
Jahren und über Jahrzehnte hinweg war Heinrich Senfft einer der
bekanntesten deutschen Rechtsanwälte, spezialisiert auf Medienrecht, tätig
für viele einstmals linksliberale Publikationen wie Zeit und Stern.
Lebenslang ein Vorkämpfer für den Rechtsstaat. Damit hat er sich nicht nur
Freunde gemacht.
Aber das hat ihm ja meistens gut gefallen. Streitlustig war er stets, und
wenn er vor Gericht obsiegte – was oft der Fall war –, dann wusste er auch,
wie man einen Triumph auskosten kann. Dabei ging es ihm mehr um die Sache
als um die eigene Person. Was häufig über jemanden gesagt wird und nur
selten stimmt. Im Falle von Heinrich Senfft trifft es zu.
Einschränkungslos.
Die Liste seiner Erfolge ist lang: Stichwort „Filbinger-Affäre“. Senfft
erreichte, dass die Zeit auch weiterhin die Einschätzung des Dramatikers
Rolf Hochhuth veröffentlichen durfte, der damalige baden-württembergische
Ministerpräsident sei ein „furchtbarer Jurist“ gewesen, der einen deutschen
Matrosen noch in britischer Gefangenschaft mit Nazigesetzen verfolgt habe.
Der gute Ruf von Filbinger war dahin, unwiderruflich.
Der Kampf gegen die augenzwinkernde Nachsicht gegenüber Handlangern des
Nazi-Regimes war eines der Hauptanliegen von Heinrich Senfft. Der Sieg im
Filbinger-Verfahren war ihm deshalb besonders wichtig. Aber er hatte auch
einen scharfen Blick für seine eigene Zeit und deren Gefahren.
## Wallraff versus Bild
Nachdem sich Günter Wallraff unter falschem Namen bei der Bild-Zeitung
eingeschmuggelt hatte, wollte der Springer-Verlag ihn mundtot machen.
Senfft kämpfte bis zur letzten Instanz. Am Ende bescheinigten
Bundesrichter, die von Wallraff aufgedeckten Methoden der Bild-Zeitung
seien mit „den Aufgaben der Presse schwerlich in Einklang“ zu bringen. Und
deren Aufdeckung sei legitim. Erfolg auf der ganzen Linie.
Als Heinrich Senfft 2008 seinen 80. Geburtstag feierte, hieß es in der Zeit
in einer kleinen Glückwunschnotiz: „Im Ruhestand wurde Senfft ein wenig
linksradikaler, als man es dem schwäbischen Radikalliberalen zugeraten
hätte.“ Nun ja – die Sichtweise hängt vom Standpunkt des Betrachters ab.
Linksradikal? Schade, dass mein Vater, der Publizist Günter Gaus, diese
Charakterisierung seines besten Freundes nicht mehr erlebt hat. Was hätte
er gelacht! Nannte er den in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsenen
Heinrich Senfft doch gerne das „Schloßbüble“, wenn er ihn ärgern wollte.
Linksradikal? Nein, das war Senfft nicht. Wohl aber ein Mann, der Mandanten
auch dann mit aller Kraft vertrat, wenn es dafür keinen öffentlichen
Beifall gab. Gregor Gysi, Markus Wolf und Hermann Kant wurden nach 1989
seine Mandanten: Heinrich Senfft empfand die Verfolgung von Repräsentanten
des „anderen deutschen Staates“ als Hexenjagd. Er mochte keine Hexenjagden.
Geistreich und witzig war Heinrich Senfft, ein wunderbarer Gastgeber. Aber
in den letzten Jahren seines Lebens trat zunehmend Melancholie, ja sogar
Schwermut an die Seite des Humors. Der frühe Krebstod seiner zweiten Frau
war einer der Gründe dafür, aber auch ein tiefer Pessimismus im Hinblick
auf die politische Entwicklung in Deutschland. Vielleicht ist es ganz gut,
dass er den nächsten Wahlkampf nicht mehr erleben muss.
16 Jan 2017
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Rechtsanwalt
Gregor Gysi
Günter Wallraff
Juristen
Verdi
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