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# taz.de -- Interview mit Sylvia Löhrmann: Katzen würden Grüne wählen
> Die Öko-Partei kriselt. Bildungsministerin Löhrmann über Rot-Grün und
> Erfolge in NRW. Der Katzenschutz war einer davon.
Bild: Für Katzen sind Grüne jetzt heilig: Dank ihnen dürfen Jäger sie nicht…
taz.am wochenende: Frau Löhrmann, als Sie grüne Spitzenkandidatin in
Nordrhein-Westfalen wurden, wollten 11 Prozent grün wählen. Jetzt sind es
nur noch 6. Was haben Sie falsch gemacht?
Sylvia Löhrmann: Was für eine Frage! Was wir wissen: Bis Mitte Januar waren
die Umfragen gut. Dann hat uns der „Schulz-Effekt“ erwischt. Und unser
Kernthema Ökologie steht gerade nicht im Fokus. Der Warnschuss ist
angekommen. Der Wahlkampf fängt ja erst an.
Wir erleben eine Politisierung der Gesellschaft – wegen Trump, Diktaturen
an Europas Rändern, Rechtspopulisten. Es gibt Demos für die EU …
Richtig, gerade Jüngere sind engagierter als früher.
Aber die Grünen profitieren davon nicht. Warum?
Das wundert mich auch. Aber erst einmal ist es gut, dass sich etwas bewegt.
Als ich als Ministerin begann, gab es in Nordrhein-Westfalen 200 Schulen,
die sich zu dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus“ zählten. Jetzt sind es 630
– auch weil ich dafür geworben habe. Mich hat der Brandanschlag in
Solingen, bei dem 1993 fünf Mitglieder der Familie Genç umgekommen sind,
sehr geprägt. Ich wohnte ja nur wenige Hundert Meter davon entfernt.
Seitdem kämpfe ich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir dürfen uns
im Kopf und in den Herzen nicht von den Rechtspopulisten lähmen lassen.
Union und FDP übernehmen teilweise Positionen von der AfD. Deswegen wollen
wir eine fortschrittliche Mehrheit bei der Wahl in NRW verteidigen.
Der Schulz-Effekt zeigt: Das Publikum will andere Gesichter sehen. Die
Grünen aber treten mit bekanntem Personal an. Fehlt ein neues Gesicht?
Die Entscheidungen sind bei uns basisdemokratisch gefallen. Erfahrene Leute
an der Spitze zu wissen ist auch etwas wert, gerade angesichts der akuten
Verunsicherungen in der Gesellschaft. Übrigens ist Cem Özdemir 10 Jahre
jünger als Martin Schulz.
Einer Allensbach-Umfrage zufolge finden mehr als ein Drittel der grünen
Klientel Ihre Partei langweilig. Sind die Grünen zu normal geworden?
Das finde ich nicht. Wir sind in NRW eine profilierte Regierungspartei. Wir
hatten früher, zu Zeiten von Wolfgang Clement und Peer Steinbrück, eine
Streitkoalition mit der SPD. Das wurde uns oft vorgeworfen und hat weder
den Grünen noch der SPD gutgetan. Wir haben daraus gelernt und uns darauf
konzentriert, unser Regierungsprogramm umzusetzen. Jetzt kommt es darauf
an, zu zeigen, was wir geschafft haben, was wir noch vorhaben und was uns
von der SPD unterscheidet.
Nämlich?
Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir haben es geschafft, den bereits
genehmigten Tagebau in Garzweiler zu verkleinern. Jetzt bleiben 300
Millionen Tonnen Braunkohle in der Erde und drei Ortschaften erhalten. Das
haben wir der SPD abgerungen.
RWE hatte gar kein Interesse mehr an dem Abbau – oder?
Das ist Quatsch. Natürlich würde der Konzern gerne weiter auf Kosten der
Umwelt Geld verdienen. So wie Jürgen Trittin den Atomausstieg nicht
geschenkt bekommen hat, bekommen wir den Ausstieg aus der Kohle nicht
geschenkt. Den gibt es nur mit den Grünen.
Glaubt man den Demoskopen, fällt die Zufriedenheit mit der rot-grünen
Landesregierung bescheiden aus. Was hakt da?
Rot-Grün ist nach wie vor die meistgewünschte Regierungskonstellation. Es
gibt keine Wechselstimmung in NRW.
Inzwischen scheint aber Mehltau auf Rot-Grün zu liegen …
Nein. Wir haben enorm viel investiert. Mein Schulhaushalt ist um 3,8
Milliarden Euro gestiegen und wir haben im letzten Jahr trotzdem einen
Haushaltsüberschuss präsentiert. Wir haben ein neues ökologisches
Jagdgesetz durchgesetzt, das unter anderem ein Verbot des Schießens von
Hauskatzen beinhaltet. Das hat für eine Menge Aufregung bei den Jägern
gesorgt. Und wir haben mehrere Hunderttausend Jobs in der Umweltwirtschaft
geschaffen.
Ihre Schulpolitik kommt aber nicht gut an. Nur 6 Prozent bescheinigen den
Grünen Kompetenz für die Bildung.
Meine persönlichen Zustimmungswerte bewegen sich seit Jahren zwischen 24
und 28 Prozent. Das ist für eine Schulministerin ordentlich. Denn
Schulpolitik ist immer schwierig, weil damit viel Veränderung verbunden
ist, was immer wieder für Verunsicherungen sorgt. Der Anteil der
Ganztagsschulen ist von 29 auf 40 Prozent angewachsen. Das ist ein Erfolg,
der zur Bildungsgerechtigkeit beiträgt. Wir haben 7.000 Lehrerstellen für
Flüchtlingskinder durchgesetzt.
Aber Sie haben jede Menge Ärger beim Thema Inklusion …
Wir sind gerade dabei, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen – also
ein Menschenrecht. Das Inklusionsgesetz ist vor drei Jahren in Kraft
getreten. Das ist ein schwieriges Unterfangen, wo wir immer wieder
nachsteuern müssen.
Auch Lehrer vor Ort kritisieren, dass Inklusion von Behinderten in die
Schulen überhastet und chaotisch erfolgt.
Wir machen nichts brachial und überhastet, wir folgen dem Elternwillen. Ich
nehme es ernst, wenn Lehrerinnen und Lehrer sagen, sie praktisch umzusetzen
ist schwer. Wir haben gerade noch mal zusätzliche Stellen beschlossen, um
den Prozess zu stützen. Selbstverständlich erzeugt es erst mal Reibung,
wenn Kinder mit Behinderung in allgemeinen Schulen statt in Förderschulen
sind. Trotzdem bin ich stolz, dass wir dieses Menschenrecht umsetzen. Wir
haben jetzt keine Petitionen verzweifelter Eltern mehr. Dass sich Eltern
nicht mehr als Bittsteller für ihre Kinder durch die Instanzen klagen
müssen, ist ein enormer Fortschritt.
Bei der Wahl wird es kaum für Rot-Grün reichen. Was dann?
Realistisch sind nur drei Optionen: Rot-Grün, Große Koalition oder
Rot-marktradikal. Eine Ampelkoalition hat Christian Lindner ja bereits
ausgeschlossen.
Werden die Grünen mit CDU und FDP regieren?
Das steht nicht zur Debatte.
Sie schließen „Jamaika“ aus?
Wir haben formal keine Ausschlüsse. Aber wir wollen unsere erfolgreiche
Politik für mehr Ökologie, mehr soziale Gerechtigkeit, handlungsfähige
Gemeinden und eine offene Gesellschaft fortsetzen. Das geht nicht mit
Laschet und Lindner. Der Kohleausstieg ist schon mit der SPD schwer, mit
CDU und FDP sehe ich da keine Möglichkeiten. Herr Lindner hat ja sogar mal
gesagt, dass der Atomausstieg ein Fehler war. Er will den
Nichtraucherschutz wieder kippen. Er ist gegen das Klimaschutzgesetz und
für Studiengebühren. Wir machen keine Koalition um jeden Preis.
Und wie sieht es mit Rot-Rot-Grün aus?
Wir sind bereit, nach der Wahl mit allen Parteien zu reden, die im Landtag
sind – außer der AfD. Aber ich weiß, wie schwierig die Gespräche mit den
Linken 2010 waren.
Anders als Hannelore Kraft schließen Sie also Rot-Rot-Grün nicht aus?
Noch mal, wir machen formal keine Ausschlüsse.
Kraft sagt, die sind nicht regierungsfähig. Ist das kein Ausschluss?
Nein, das ist kein Ausschluss.
Sind Sie sicher, dass sich Kraft für die Grünen entscheidet, wenn es auch
mit der FDP gehen würde?
Das müssen Sie Frau Kraft fragen. Wer Grüne wählt, weiß, dass wir, wenn es
möglich ist, Hannelore Kraft wieder zur Ministerpräsidentin wählen. Aber
wir sind nicht der Ableger der SPD. Joschka Fischer hat mal gesagt, dass
die Grünen sich gegen Helmut Schmidt gegründet haben.
Das ist schon eine Weile her.
Aber immer noch richtig. Die SPD braucht ein ökologisches,
bürgerrechtliches Korrektiv.
31 Mar 2017
## AUTOREN
Pascal Beucker
Stefan Reinecke
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