# taz.de -- Heiko Maas über Sicherheitspolitik: „Die Fußfessel ist das mild… | |
> Einen Automatismus nach Anschlägen, Gesetze zu verändern, dürfe es nicht | |
> geben. Justizminister Maas über SPD-Sicherheitspolitik und besseren | |
> Mieterschutz. | |
Bild: Sieht sein liberales Rechtsverständnis nicht beschädigt: Heiko Maas | |
taz: Herr Maas, als Leonard Cohen im letzten Jahr starb, twitterten Sie | |
dessen Verse: „Like a bird on a wire / like a drunk in a midnight choir / I | |
have tried in my way to be free“. Warum gerade die? | |
Heiko Maas: Mittlerweile würde ich eher „Halleluja“ twittern. Leonard | |
Cohen hat mich musikalisch mein ganzes Leben lang begleitet – wie andere | |
auch, die im letzten Jahr gestorben sind, von David Bowie bis Prince. Er | |
hat einfach viele Empfindungen in Worte gefasst und zu Musik gemacht, die | |
ich auch hatte. | |
Für uns lassen sich die Zeilen auch als eine Beschreibung Ihres Parts in | |
der Regierung lesen: der Betrunkene in einem Mitternachtschor als Metapher | |
für einen Liberalen in der SPD, die jetzt Law and Order verlangt? | |
Interessant. Also, wir haben uns bei all den Gesetzen, die wir in dieser | |
Legislaturperiode gemacht haben, immer streng an dem orientiert, was | |
objektiv notwendig und rechtspolitisch verhältnismäßig ist. Da sehe ich | |
mein liberales Rechtsstaatsverständnis in keiner Weise beschädigt. | |
Nach dem Terroranschlag von Anis Amri in Berlin haben Sie mit dem | |
Bundesinnenminister Fußfesseln für Gefährder, leichtere Abschiebehaft und | |
verschärfte Wohnsitzauflagen vorgeschlagen. Noch nach dem Anschlag auf | |
Charlie Hebdo sagten Sie der taz: „Die Verschärfung von Gesetzen nach | |
Anschlägen führt selten zu guten Ergebnissen. Es ist eine Aufgabe des | |
Justizministers, hier zu Besonnenheit aufzurufen.“ Das gilt nicht mehr? | |
Das gilt nach wie vor. Es darf aber keinen Automatismus geben: keinen, dass | |
man nach einem Anschlag Gesetze verändern muss. Aber auch keinen, dass man | |
keine Gesetze verändern darf. Nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz | |
haben wir die Konsequenzen sehr sorgfältig geprüft. Wir müssen uns | |
grundsätzlich darauf einstellen, dass sich die Rahmenbedingungen verändern: | |
Terroristische Anschläge werden nicht mehr nur wie zu al-Qaidas Zeiten in | |
großen Netzwerken organisiert, sondern oft von Einzeltätern begangen. | |
Aber hätten die Maßnahmen im Fall Amri überhaupt geholfen? | |
Wenn ein vollziehbar ausreisepflichtiger Gefährder wieder freigelassen | |
werden muss, weil seine Abschiebung in den nächsten drei Monaten nicht | |
möglich erschien, dann ist das nicht zu verantworten. Deshalb ändern wir | |
Gesetze, wo es objektiv notwendig ist. Und nur da. | |
Beschlossen haben Sie aber auch die Fußfessel für Gefährder – eine Idee, | |
die Sie selbst früher skeptisch sahen. | |
Die Fußfessel ist ein Baustein für die Sicherheitsbehörden, aber bestimmt | |
kein Allheilmittel. Ich behaupte ja nicht, dass mit der Fußfessel jetzt | |
jeder Anschlag verhindert wird. | |
In Frankreich wurde ein Priester von einem Islamisten mit Fußfessel | |
ermordet. | |
Genau. Das heißt aber nicht, dass die Fußfessel völlig wirkungslos ist. Wir | |
wollen ja künftig auch mit der Residenzpflicht und Meldeauflagen arbeiten, | |
die festlegen, dass jemand den Bezirk seiner Ausländerbehörde, seines | |
Landkreises oder seines Bundeslandes nicht verlassen darf. Mit einer | |
Fußfessel können wir besser überwachen, ob sich ein Gefährder daran hält, | |
welche Kontakte er aufsucht und wo genau er sich befindet. | |
Betreten Sie als Liberaler da nicht ein schwieriges Feld? Schließlich | |
bewegen wir uns bei Gefährdern im Vorfeld von Straftaten. Eine | |
gerichtsfeste Definition eines Gefährders gibt es nicht, die legt bisher | |
jede Landespolizei für sich fest. | |
Der Bundesinnenminister wird demnächst mit dem neuen BKA-Gesetz eine | |
verbindliche Definition für Gefährder vorlegen. Die Masse der Fälle wird | |
aber ohnehin weiter landesgesetzlichen Regeln unterfallen. Und viele Länder | |
haben bereits angekündigt, die Fußfessel ebenfalls einführen zu wollen. | |
Aber ist es angemessen? | |
Ja. Wir müssen auch diejenigen im Blick haben, die bisher nicht verurteilt | |
wurden und dennoch als Gefährder geführt werden. Und da ist die Fußfessel | |
das mildere Mittel als etwa eine Präventivhaft, die ebenfalls möglich wäre. | |
Es ist nicht nur der Fall Amri. Gerade erst haben Sie auch eine | |
Gesetzesverschärfung bei Gewalt gegen Polizisten vorgelegt. Künftig soll es | |
dafür drei Monate Mindestfreiheitsstrafe geben. Ihre eigene Partei lehnte | |
eine Strafverschärfung kürzlich noch als „Placebo“ ab. Warum der | |
Sinneswandel? | |
Die tätlichen Angriffe gegen Polizisten haben in den vergangenen Jahren | |
zugenommen, das ist leider so. Ich habe immer gesagt: Allein mit einer | |
Verschärfung als billigster aller Varianten werden wir das Problem nicht | |
lösen. Deshalb wird es sie nur in einem Paket geben. Da Bund und Länder | |
aber wieder Tausende neue Stellen für Polizisten ausgewiesen haben und auch | |
für die Ausstattung etwas getan wird, sind wir nun bereit, auch den | |
Strafrahmen für tätliche Angriffe auf Polizisten anzuheben. | |
Es ist also ein Zugeständnis an die Union? | |
Nein. Voraussetzung war immer, dass auch etwas beim Personal und der | |
Ausstattung der Polizei getan wird. Und das ist auf dem Weg. | |
Trotzdem – nehmen wir auch noch die von Ihnen lange abgelehnte und 2015 | |
dennoch wiedereingeführte Vorratsdatenspeicherung dazu: Was erhofft sich | |
die SPD von all diesen Kurswechseln? | |
Es geht nicht darum, was die SPD sich davon erhofft, sondern allein um die | |
Frage, welche rechtsstaatlichen Maßnahmen die Sicherheit in Deutschland | |
erhöhen. Wer Gesetzesvorhaben nur kurzfristig parteitaktisch einordnet, | |
wird zwangsläufig scheitern. So kann man in einer Regierung nicht arbeiten. | |
Dennoch erklärte Ihr Noch-Parteichef Sigmar Gabriel die Sicherheit jüngst | |
zum „ursozialdemokratischen Thema“. Wie viel Law and Order braucht die | |
SPD? | |
Egal was die SPD braucht: Natürlich gibt es ein Bedürfnis nach Sicherheit | |
bei den Menschen. Und unser Kurs ist ein sehr vernünftiger und maßvoller. | |
Wenn Sie sich anschauen, was noch alles gefordert wird – von | |
Transitzentren bis zu einer Einführung einer Duldung light –, haben wir | |
vieles nicht mitgemacht. Die SPD ist das Korrektiv in der Regierung gegen | |
unverhältnismäßige Schnellschüsse. | |
Heißt das, die SPD geht auf einen härteren Kurs in der Sicherheit und setzt | |
aufs Soziale – und die Grünen sind wieder für Bürgerrechte zuständig? | |
Na ja. Auch die Grünen wollen mehr Polizei und haben vieles von dem, was | |
wir beschlossen haben, als im Grundsatz vernünftig bezeichnet. In | |
Baden-Württemberg will die grün geführte Regierung die | |
Vorratsdatenspeicherung ausweiten. Und ich bin fest davon überzeugt, dass | |
wir beides im Blick behalten müssen: Sicherheit und Bürgerrechte. | |
Anderes Thema: Sie fordern Verschärfungen bei der Mietpreisbremse. | |
Vermieter sollen gezwungen werden, die Vormiete offenzulegen. Das sollte | |
schon im bereits verabschiedeten Gesetz drinstehen, wurde aber von der | |
Union blockiert. Was macht Sie optimistisch, die Änderungen doch noch vor | |
den Wahlen im Herbst durchzubekommen? | |
Niemand sollte die Augen davor verschließen, dass, wenn selbst | |
Normalverdiener an den Stadtrand verdrängt werden, etwas schiefläuft. | |
Wichtig bleibt immer, dass genügend neue Wohnungen gebaut werden. Mit der | |
Mietpreisbremse haben wir erstmals ein Instrument geschaffen, mit dem nicht | |
mehr der Vermieter allein die Höhe des Mietpreises bestimmt. Sie würde noch | |
breiter wirken, wenn wir jetzt ins Gesetz schreiben, was die Union bislang | |
blockiert hat: die Pflicht des Vermieters, von sich aus automatisch die | |
Vormiete offenzulegen. Denn meist hat ein Vermieter die Auswahl zwischen | |
vielen Mietinteressenten. Deshalb läuft in der Praxis jemand, der von sich | |
aus den Vermieter auffordert, die Vormiete offenzulegen, Gefahr, dass der | |
Vermieter ihn aussortiert und die Wohnung jemand anders bekommt. | |
Die Zahlen legen doch nahe, dass die Mietpreisbremse bisher fast überhaupt | |
nicht wirkt. In Berlin etwa stiegen die Angebotsmieten laut | |
CBRE-Wohnmarktreport 2016 um 5,6 Prozent, in beliebten Stadtteilen wie | |
Neukölln sogar um 17,1 Prozent. | |
Auch wenn es durchaus schon einige Urteile gegeben hat, nach denen Mieter | |
zu viel gezahlte Miete vom Vermieter zurückbekommen haben: Die | |
Mietpreisbremse allein löst natürlich noch nicht alle Probleme. Wichtig ist | |
und bleibt, dass genug neue Wohnungen gebaut werden. Deswegen haben wir | |
etwa die Mittel für sozialen Wohnungsbau auf 1,5 Milliarden Euro | |
verdreifacht. Aber, ja, wir wollen auch die Mietpreisbremse verschärfen. | |
Reicht die Offenlegung als Nachbesserung aus? Bisher müssen die Vermieter | |
nicht einmal Bußgelder fürchten, wenn sie eine überhöhte Miete verlangen. | |
Die Offenlegung der Vormiete ist das dringendste Problem. Und sie wäre auch | |
effizient – ganz ohne Geldbußen. Wo ich aber gesetzlichen Handlungsbedarf | |
sehe, sind die Modernisierungskosten. Gerade hier in Berlin hat es unter | |
dem Deckmantel der energetischen Sanierung teilweise Modernisierungen | |
gegeben, die zum Ziel hatten, die Mieter aus ihrem Vertrag herauszutreiben, | |
weil sie anschließend die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Dann wurde aus | |
der Mietwohnung eine Eigentumswohnung. Deshalb wollen wir auch die Umlage | |
der Modernisierungskosten auf die Mieter verringern, von bisher 11 auf 8 | |
Prozent. | |
Die Mieten waren 2013 schon Wahlkampfthema, aber die SPD hat sie – anders | |
als den Mindestlohn und die Rente mit 63 – in den Koalitionsverhandlungen | |
nicht zum Knackpunkt gemacht. Sind Sie sicher, dass das Thema diesmal zum | |
SPD-Schwerpunkt in Koalitionsverhandlungen wird? | |
Wir haben das schon in den Koalitionsverhandlungen zu einem großen Thema | |
gemacht, sonst hätten wir mit der Union in dieser Legislatur mit der | |
Mietpreisbremse gar nicht diesen ersten Schritt gemacht. Unsere weiteren | |
Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ganz klar: Wir wollen Mieter noch besser | |
vor exorbitanten Mietsteigerungen schützen. Denn: Wohnungen sind keine | |
reine Ware, sie sind das Zuhause von Menschen. | |
2 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Martin Reeh | |
## TAGS | |
Sicherheitspolitik | |
Heiko Maas | |
Justizminister | |
Mietpreisbremse | |
SPD | |
Anis Amri | |
Gefährder | |
Raed Saleh | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Sicherheitspolitik | |
CSU | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sicherheitsbehörden im Fall Anis Amri: Nächste Runde im U-Ausschuss | |
Das Parlamentarische Kontrollgremium attestiert den Sicherheitsbehörden im | |
Fall Amri mangelhafte Arbeit. In Düsseldorf gehen die Befragungen weiter. | |
Gefährder in Deutschland: Wo beginnt gefährlich? | |
Ahmed A. hat noch keine Straftat begangen und wird doch schon überwacht. | |
Denn in Deutschland gilt er als Gefährder. | |
Debatte Berliner Sicherheitspolitik: Esoterik statt echte Diskussion | |
Dass Videoüberwachung mehr Sicherheit bringe, ist eine Legende. Die Debatte | |
bewegt sich zwischen religiösem Glauben und Verschwörungstheorie. | |
Neujahrsklausur der Grünen in Weimar: In der Sicherheitsfalle | |
Es geht um Fraktions-Schwerpunkte. Auf dem Flur spricht man dagegen über | |
Abschiebungen nach Afghanistan, die viele grüne Landesregierungen | |
mittragen. | |
Sicherheitspolitik in Deutschland: Antiterrorkampf als Wahlkampfhit | |
Union und SPD streiten sich über die Sicherheitspolitik. Über eine | |
erweiterte Abschiebehaft für „Gefährder“ sind sie sich aber weitgehend | |
einig. | |
CSU-Klausur in Seeon: Burgfrieden bedroht | |
Die CSU-Landesgruppe wird bei der Klausur an ihrem Law-and-Order-Profil | |
feilen. Wie sehr wird Seehofer auf Konfrontation mit der CDU gehen? |