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# taz.de -- Politik und Gefühle: Meister der Empathie
> Alle reden von Empathie. Sich in andere einzufühlen gilt als moralisch
> gut. Ist das so? Und ist es ratsam, sich in der Politik auf Gefühle zu
> beziehen?
Bild: Ist er wirklich empathielos – oder einfach ungerecht?
Wahrscheinlich ist Donald Trump schon sehr gelangweilt von dem immer selben
Vorwurf, er sei empathielos. Der Großschriftsteller Louis Begley, die
Großschauspielerin Meryl Streep, ob in der Zeitung oder beim Friseur:
[1][Alle beklagen] Trumps Mangel an Empathie.
Ein Vordenker wie [2][der Soziologe Jeremy Rifkin] hatte schon vor den
anderen Empathie gefordert und hatte dabei nicht bloß Trump im Blick. Das
wäre für einen Vordenker auch ziemlich klein gedacht, und deshalb forderte
er gleich eine „empathische Zivilisation“. Die Hirnforschung hatte gerade
bei den Primaten die Spiegelneuronen entdeckt und vermutet, [3][sie könnten
bei diesen für so etwas wie Mitgefühl sorgen], als die Soziologie also
begann, Biologisches interessanter zu finden als soziale Prozesse, was
ungefähr so ist, wie wenn ein Chirurg die Farbenlehre für seine Arbeit
plötzlich interessanter fände als die Anatomie.
Nicht alle, die von Empathie sprechen, wissen von der Existenz der
Spiegelneuronen, aber für viele scheint nicht die Kommunikation, sondern
das Sicheinfühlenkönnen das gesellschaftlich Verbindende und Integrative zu
sein. Ohne Empathie sei nur Albtraum.
Und deshalb ist sie überall: Sie begegnet uns als Voraussetzung von Moral,
als therapeutischer Hebel gegen den kalten neoliberalen Zeitgeist und seit
Trump gar als Allheilmittel gegen Krieg. Die Liste könnte an dieser Stelle
unendlich fortgeführt werden, denn Empathie steht im alltäglichen Gebrauch
synonym für das Gute. Aber Empathie ist nicht das per se Gute. Und das
macht die Forderungen nach Empathie so sinnlos bis lächerlich.
## Gefühle gehören zur Politik
Ist von Politik die Rede, wird immer öfter über Gefühle gesprochen. Klar,
Politik ist nicht emotionsfrei, Gefühle gehören zur Politik. Aber die
Penetranz, mit der affektive Kategorien wie Liebe, Gelassenheit oder eben
Empathie seit einigen Jahren Einzug in den politischen Diskurs gehalten
haben und die Vehemenz, mit der Emotionen geradezu als Enklaven gegen die
neue Entfremdung, sprich: die neoliberale Zurichtung verteidigt werden,
sind erstaunlich.
Woher kommt diese Konjunktur der Gefühle im Neoliberalismus? Sind sie
einfach nur sein Antipode, ein stilles Aufbegehren gegen soziale Kälte,
oder ist es vielleicht viel komplizierter: Sind sie nicht Teil der
Affektmobilisierung, die von uns verlangt wird?
Schließlich gelten Emotionen immer mehr als notwendige Ressource in der
Arbeitswelt. Sie sind ein Gradmesser für Engagement und Subjektivität, die
in den Dienstleistungs- und Wissensberufen mehr gefragt ist als in
vergangenen vorherrschenden Formen von Arbeit. Verwechseln wir also
Antipode und Konformität? Die Bedeutung von Gefühlen hat sich gewandelt.
Ist von ihnen die Rede, sollten wir skeptisch sein.
Entgegen aller Annahme ist Trump ein Meister der Empathie. Und das nicht
nur, wenn man von der Herkunft des Wortes ausgeht, das sich vom
spätgriechischen empátheia für „heftige Leidenschaft“ herleitet. Der
kanadisch-US-amerikanische Psychologe Paul Bloom etwa, von dem in den
nächsten Tagen das Buch „Against Empathy“ erscheint, behauptet, starke
Empathie könne rachsüchtig machen und uns blenden.
## Erkenntnis statt Einfühlung
Auch die klassische Psychoanalyse hält Abstand zur Empathie. Freud hat den
Begriff nie verwandt, die psychoanalytische Praxis zielt auf Erkenntnis
statt auf Einfühlungsvermögen. Einfühlungsvermögen als teilweise
Identifikation würde die Analyse eher beeinträchtigen.
Identifikation kann mit Empathie verwechselt werden. Zudem ist längst
bewiesen, dass wir uns eher mit jenen identifizieren, die uns ähnlich sind
als mit jenen, die uns fremd sind.
Empathie kann auch der Kontrollausübung dienen. Der
Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt führt hierzu in seinem gerade
erschienenen Buch „Die dunklen Seiten der Empathie“ (Suhrkamp, 2017)
Helikopter-Eltern, Stage Mothers und anders Übergriffiges als Formen des
Vampirismus an. Er zeigt auch, wie „Untaten nicht trotz, sondern aus
Empathie“ entstehen: „Selbst die scheinbar empathielosesten Soziopathen [�…
können ein erstaunliches Maß an Einfühlung an den Tag legen und sind zudem
gut im Erkennen (und Manipulieren) der Gedanken anderer.“
Hat Empathie also am Ende gar nichts mit Moralität zu tun, wie all die
Einwürfe und Aufforderungen, empathischer zu sein, um den Eigennutz
abzuschütteln, doch nahelegen? Trump gilt als empathielos, weil Empathie
und moralisch richtiges Verhalten in eins gesetzt werden. Doch, wie
Breithaupt formuliert: „Man kann immer mit dem Falschen mitfühlen.“ Und hat
Trump nicht auch seine Fähigkeit zu manipulieren längst bewiesen?
So wie man nicht moralisch sein muss, um gerechte Politik zu machen, ist
man nicht notwendig empathielos, wenn man ungerecht ist. Ein Diskurs, der
angesichts konkreter Formen von Unrecht nicht auf juristische Kategorien
rekurriert, sondern moralische und psychische Attribute der Subjekte
fokussiert, ist nicht Lösung, sondern Teil des Problems.
Und Trump? Der stilisiert sich in dieser Psychopolitik längst als schlauer
Entertainer. Was antwortete er JournalistInnen auf die Frage, was er mit
seinem Einreiseverbot für MuslimInnen nun zu tun gedenke: „I’d like to
surprise you.“
15 Feb 2017
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## AUTOREN
Tania Martini
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