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# taz.de -- Jeremy Rifkin über den Kapitalismus: „Der Markt funktioniert nic…
> Maschinen ersetzten Arbeitnehmer und das Auto druckt man sich einfach
> aus: Der US-Soziologe Jeremy Rifkin sagt das Ende des Kapitalismus
> voraus.
Bild: Versetzen sie dem Kapitalismus den finalen Stoß? Objekte aus dem 3D-Druc…
taz: Herr Rifkin, der Kapitalismus ist bald vorbei, schreiben Sie in Ihrem
neuen Buch. Ist das Ihrer Ansicht nach wirklich eine zwingende Konsequenz
der Geschichte?
Jeremy Rifkin: Wir stehen momentan noch am Anfang eines neuen ökonomischen
Paradigmas. Die Energienetze, ein von Algorithmen betriebenes Transportnetz
und die Kommunikationsnetze verschmelzen zu einem Internet der Dinge:
natürliche Ressourcen, industrielle Produktion, Recyclingströme, Wohnräume,
Büros, Geschäfte, Fahrzeuge, sogar Menschen werden mit Sensoren versehen
und alles wird in ein globales Netz eingespeist. Das ermöglicht die Sharing
Economy, also die Teil- und Tauschwirtschaft, sowie die Ökonomie der
kollaborativen Gemeingüter. Das ist ein bemerkenswertes historisches
Ereignis. Bis Mitte des 21. Jahrhunderts hat sich der Kapitalismus
transformiert.
Das müssen Sie erklären.
Es gibt im Kapitalismus einen tiefen Widerspruch im System selbst:
Eigentlich versuchen alle ständig, ihre Grenzkosten zu senken – also den
Preis, der für die Produktion einer zusätzlichen Mengeneinheit eines
Produktes gezahlt werden muss. Deshalb suchen wir ständig nach
Technologien, die unsere Produktivität erhöhen. So werden unsere
Dienstleistungen und Produkte billiger und Investoren machen Profite. Doch
niemand hat mit einer Technologie gerechnet, die die Grenzkosten auf fast
null drückt … Sie können ein zusätzliches E-Book fast ohne Kosten
verkaufen. Damit hat die unsichtbare Hand des Markts ihren Triumph
erreicht. Die Produktivität hat ein Optimum erreicht. So lässt sich aber
kein Wettbewerbsvorteil mehr erzielen. Profit und damit der Lebenssaft des
Kapitalismus bleiben aus. Der Markt funktioniert nicht mehr.
Sie erklären das mit einem Beispiel, das jeder kennt: Eine digitale Kopie
eines Liedes, eines E-Books oder eines Films kostet fast nichts zusätzlich.
Was folgt daraus für Autos? Für Smartphones? Arbeit und Rohstoffe werden
immer Kostenfaktoren bleiben.
Das stimmt. Aber Smartphones werden heute für 25 Dollar in China
hergestellt. Solarzellen werden bald so billig sein, dass überall, wo sie
einmal installiert sind, Energie ohne zusätzliche Kosten erzeugt werden
kann. In ein paar Jahren wird jeder mit seiner eigenen Energie seine
eigenen 3-D-Drucker-Produkte herausbringen.
Nehmen wir mal die Energie: Momentan kann man nachts und bei Windstille gar
nichts drucken. Wie soll es da möglich sein, ohne Grenzkosten zu
produzieren?
Für die Energie haben wir einen Plan entwickelt, der auf fünf Säulen
beruht. Erstens braucht man Einspeisetarife für erneuerbare Energien, das
habt ihr in Deutschland gut gemacht. Dann wandelt man seine Häuser mit
kleinen erneuerbaren Energien in Minikraftwerke um. Wir machen das übrigens
überall auf der Welt und schreiben nicht nur Bücher darüber. Die dritte
Säule ist die Speicherung. Wenn ihr in Deutschland 75 Prozent erneuerbare
Energien habt, ohne Speicher, dann habt ihr ein großes Problem. Ihr müsst
jetzt Anreize für Speicher setzen, um den Markt aufzubauen. Wenn die
Struktur einmal steht, haben erneuerbare Energien fast keine Grenzkosten
mehr.
Die Null-Grenzkosten funktionieren schon in der virtuellen Welt nicht: Ihr
Geschäftsmodell ist nicht Ihr Buch, sondern die Person Jeremy Rifkin. Und
die kann man nicht ausdrucken.
Das stimmt. Es gibt einige Leute, die so arbeiten können. Aber schauen Sie
sich die normale Beschäftigung an: Fabriken funktionieren immer
automatisierter. Büroangestellte, selbst Anwälte, Ingenieure oder Designer
werden durch künstliche Intelligenz ersetzt. Die dritte industrielle
Revolution, die das Internet der Dinge ermöglicht, beendet die
Erwerbsarbeit. Den nötigen Umbau der Logistik-, Energie- und
Kommunikationsnetze schaffen wir in zwei Generationen. Dann wird jedes Haus
Energie produzieren, das gesamte Stromnetz intelligent sein, die Straßen
bilden ein von Algorithmen gesteuertes Netz an Transportwegen. Sie brauchen
dann kaum noch Arbeit.
Das bedeutet, dass wir alle arbeitslos wären.
Es gibt eine Ökonomie, die dem Kapitalismus vorausgeht: die soziale
Wirtschaft. Menschen teilen ihr soziales Kapital und produzieren alle Arten
von Dienstleistungen, die weder Markt noch Staat anbieten:
Non-Profit-Krankenhäuser, Kultur, Sport. Ohne diese soziale Wirtschaft
würde jede Gesellschaft kollabieren. Und dieser Sektor wächst nachweislich
wesentlich schneller als das, was wir als Bruttoinlandsprodukt erfassen. In
den USA macht er bereits 10 Prozent der Arbeitsplätze aus.
Der Privatsektor versucht in diesen Bereich vorzudringen und alles zu
privatisieren: Wasser, Medizin, Bildung. Der Kapitalismus übernimmt die
Gemeinschaftsgüter, nicht andersrum.
Das öffnet das Feld für Sozialunternehmer, deren Antrieb nicht mehr der
Profit ist: Wir glaubten früher fest an Adam Smith, der lehrte, dass sich
die Gesellschaft positiv weiterentwickelt, wenn alle egoistisch handeln.
Die Millenniumsgeneration ist anders, sie will vor allem etwas zur
kreativen Gemeinschaft beitragen und ihr soziales Kapital erhöhen. 1,5
Milliarden Menschen auf diesem Planeten arbeiten in Kooperativen. Das
zweitgrößte Bankensystem in Frankreich besteht aus Kooperativen. In
Deutschland sind die erneuerbaren Energien in der Hand von Kooperativen.
Sie teilen ihre Ressourcen und ihren Gewinn. Und bald steht in jeder Schule
ein 3-D-Drucker.
Mit dem kann man alles ausdrucken?
Bald schon. Kürzlich ist in Chicago auf der International Manufacturing
Technology Show das erste Auto ausgedruckt worden, nur mechanische
Komponenten wie Motor oder Batterie mussten nachträglich eingebaut werden.
Das Auto sieht echt süß aus. In China haben sie kürzlich 10 Häuser in 24
Stunden ausgedruckt.
Sie sagen, für Ihre Null-Grenzkosten-Gesellschaft müssen Daten frei
verfügbar sein. Ist das nicht eine Utopie, gefährdet durch die Tendenz von
Internetkonzernen, Monopolisten zu werden?
Das ist richtig. Die alten Kräfte wollen das Neue beherrschen. Die
Telekommunikationskonzerne, die Internetriesen, die Energiekonzerne, alle
wollen an die Pipelines, die Pipelines der Informationen und die richtigen
Pipelines, die Hardware. Das könnte ein langes Ringen geben. Es ist ein
großer Kampf, die Probleme von Privatsphäre, Netzneutralität und
Cyberterrorismus zu lösen. Am Ende muss jeder frei ins Netz gehen und die
Daten auswerten können. Alles muss offen und frei zugänglich sein für mich,
für jeden. Dann wird jeder seine eigene Energie, seine eigenen
3-D-Drucker-Produkte rausbringen. Ohne Grenzkosten.
Wie kommt man dahin? Indem man Firmen wie Facebook und Google zerschlägt?
Nein, regulieren. Schauen Sie, momentan wiederholt sich die Geschichte der
ersten Fabriken. Auch da waren die Arbeiter von der Gnade der
Fabrikeigentümer abhängig – bis sie begannen, überall auf der Welt
Gewerkschaften zu gründen. Angesichts von Firmen wie Facebook oder Twitter
brauchen wir eine globale Kontrollinstanz. Diese Firmen haben Commons
geschaffen, mit denen wir andere Industrien zerschlagen, aber sie wollen
eben auch Daten monopolisieren. Sie wirken wie weltweit tätige soziale
Monopole – und wir brauchen also eine globale Kontrollinstanz, um die
Konzerne im Sinne eines gesellschaftlichen Nutzens zu regulieren. Es ist
kaum vorstellbar, dass nicht irgendjemand hervortritt und reagiert. Zu
glauben, die gesamte Menschheit bleibt still, ist lächerlich. Sie werden
globale Kooperativen sehen, die die Interessen der Menschen vertreten,
deren Daten verwendet werden. Das wird passieren.
1 Oct 2014
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
Kapitalismus
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Gemeingut
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