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# taz.de -- Nach der Trump-Wahl: Die Macht der Kunst
> Meryl Streep erinnert uns daran, dass Kunst kein berieselndes Wunderland
> sein soll, sondern Empathie lehrt und Verantwortung trägt.
Bild: Meryl Streep widersetzt sich dem Reality-TV-Politiker Donald Trump
Als Donald Trump bei seiner ersten Pressekonferenz als President-elect
vergangenen Mittwoch ans Mikrofon trat, müssen einige der Anwesenden
geglaubt haben, in eine Fiktion geraten zu sein, vielleicht in das Land von
Oz oder eine ähnliche hollywoodeske Märchenwelt.
Realität jedenfalls konnte das nicht mehr sein. Und doch, gekonnte Fiktion
sieht auch anders aus, Szenen wie diese wären wegen Unglaubwürdigkeit aus
jedem Drehbuch gestrichen worden.
Einen krasseren Kontrast zu der Schauspielerin Meryl Streep, die zwei Tage
zuvor bei der Golden-Globe-Verleihung am Mikrofon gestanden hatte, kann man
sich schwer vorstellen. Verbindend allein war, dass es um das Verhältnis
von Wahrheit und Fiktion geht, von Inszenierung und Verhalten.
Ein einziges öffentliches Schauspiel hob Streep hervor, Trumps verächtliche
Imitierung eines körperbehinderten Journalisten, um gerade dadurch umso
klarer den Punkt hervortreten zu lassen, auf den sie hinauswollte: Dass sie
nicht widerspruchslos eine Gesellschaft hinnehmen werde, in der Verachtung
zur Tugend wird.
## Ohne Empathie ist alles nichts
Trumps gekränkte Twitterantwort ist kaum der Erwähnung wert, doch ein Punkt
in Streeps Rede verdient besondere Beachtung, soviel auch schon über ihren
Auftritt geschrieben worden ist.
Streep erinnerte nämlich en passant daran, dass Kunst nicht nur ein
berieselndes Wunderland sein sollte, keine reine Traumfabrik, die den
eskapistischen Zuschauer in fremde Welten entführt, damit er die hiesige
vergisst, sondern dass es im Kern um etwas geht, das sie sowohl als
Privileg als auch als Verantwortung bezeichnete: Empathie zu lehren.
Ohne Empathie ist jede Liebe, jedes Familienleben, jede Freundschaft
schnell erloschen, wenn nicht zum Albtraum geworden. Doch für Streep galt
sie noch mehr, nämlich als Basis einer Gesellschaft, in der nicht beständig
Menschen ausgeschlossen und erniedrigt werden.
Das gebrochene Herz, von dem sie sprach, war das Gegenteil romantischer
Befindlichkeit – es stand für ein dezidiert politisches Bewusstsein, das
verletzt worden war. Damit schloss sie an eine Idee an, die in der
Gründungsphase der USA einmal zentral gewesen ist: Das Streben nach jenem
Glück, das nicht allein privat, sondern als Teilhabe an der Gesellschaft
verstanden wurde. Es erschöpft sich weder im Happyend einer
Boy-meets-Girl-Komödie noch in dem in Erfüllung gehenden Traum eines
Tellerwäschers, der zum Millionär wird.
Streeps Rede war das Bekenntnis zu einer Kunst, die weder Zuckerguss über
die Welt kippt, noch uns in den sensationsheischenden Wettkampf scheucht,
in dem nur die Zurschaustellung von Stärke triumphiert.
Sie zeigte, was es bedeutet, sich verletzbar zu machen, doch daraus keine
Ohnmacht zu ziehen, vielmehr die Erschütterung als Antrieb zu nehmen, sich
ihr entgegenzustellen, mit Formwillen, der immer auch eine Einladung in ein
tieferes Durchdenken von Realität ist.
## Diffamierung im Reality-TV
Streep steht für diese Art der Filmkunst und der Wirklichkeitsbegegnung und
eben nicht für Football oder Mixed Martial Arts, die sie in ihrer Rede
erwähnte. Ebenso hätte sie auch jenes Format von Realitätsdarstellung
nennen können, das Donald Trump einst wenn nicht groß, so dann doch noch
größer gemacht hat und in dem man sich bei der Übertragung seiner
Pressekonferenz wiederzufinden meinte: dem Reality-TV.
Wenn man Realität darstellen will, dann darf man sie nicht eins zu eins
übernehmen, das ist eine einfache Regel, die man in jedem Drehbuchseminar
und Creative-Writing-Kurs lernen kann, aber ebenso bei Marcel Proust,
Alfred Hitchcock oder Jackson Pollock. Es steht ein Formwille hinter jeder
Darstellung, auch oder vielleicht gerade hinter der Darstellung absolut
durchschnittlicher Alltäglichkeit.
Dieses Prinzip hat das Reality-TV zu einem gewissen Grad aufgekündigt. Der
letzte Rest Form bleibt dem Schneidetisch vorbehalten, an dem jene Szenen
herausgeschnitten werden, die zu wenig Spannung, zu wenig Dynamik bringen
oder aber allzu Verachtendes zeigen.
Dabei geht es ja gerade in vielen Reality-TV-Sendungen um Diffamierendes,
jedoch um die Diffamierung jener, die sich vertraglich auf die Mitwirkung
eingelassen haben. Das kann man schlimm genug finden.
Es stützt eine Annäherung an Realität, die fraglich, sogar gefährlich ist,
in jedem Fall einer Idee von teilhabender Demokratie entgegensteht, denn
sie nährt den Glauben daran, dass nicht Ermächtigung zum Handeln, sondern
unbedingte Sichtbarkeit, jeglicher Ohnmacht zum Trotz, das größte Glück,
das Ziel des pursuits of happiness darstellt.
## Die Rolle beherrscht Trump
Donald Trump hat das Prinzip des Reality-TV perfektioniert, zumindest so
weit ausgeweitet, dass er selbst die Menschen an den Schneidetische ihrer
strukturierenden Macht beraubt hat. Gute Schauspieler beherrschen ihre
Rollen. Donald Trump ist ein so schlechter Schauspieler, dass er eigentlich
nur eine einzige Rolle spielen kann und nicht einmal bemerkt, wenn das
Drehbuch wechselt (es ist nicht mehr die Wahlkampfepisode, die gerade
gedreht wird, doch er performt weiter in diesem Modus).
Genau genommen beherrscht er nicht einmal diese Rolle, sondern sie
beherrscht ihn. Sie ist dabei so sehr aus dem Ruder gelaufen, dass auch
niemand anderes sie wirklich beherrschen kann.
Es gibt keinen Regisseur mehr hinter Trump, keinen Mitarbeiter am
Schneidetisch, der das Diffamierendste herauskürzen könnte, jene Momente
des Verletzens allein um des Beweises willen, dass man selbst unangreifbar
ist.
Es fiel mir lange schwer, Donald Trump ernster zu nehmen als irgendeinen
Kandidaten des Dschungel-Camps, und gleichzeitig muss ich es längst tun, da
er zu einem der mächtigsten Männer der Welt avanciert ist. Was Macht ist
und sein kann, wird er neu durchdeklinieren, er wird es revolutionieren wie
seine Version des Reality-TV und der Realität überhaupt.
Revolutionen allerdings haben bisher stets viele Opfer gefordert, Opfer der
wütenden Lust an Diffamierung und Erniedrigung. Streep hat sich vergangene
Woche aufs Neue dagegen verpflichtet – und auf den alten Leitgedanken von
„Life, Liberty and the pursuits of public happiness“.
15 Jan 2017
## AUTOREN
Nora Bossong
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