| # taz.de -- 18 Monate Wahlkampf in den USA: Gut, dass er vorbei ist | |
| > Es war der absurdeste Wahlkampf aller Zeiten. Er hat alte Gewissheiten | |
| > zerstört – bei Republikanern wie bei Demokraten. | |
| Bild: Entscheidung zwischen den Präsidentschaftskandidaten: auf dem Golfplatz … | |
| New York taz | Alles begann mit einem Video im April 2015, in dem die | |
| frühere Senatorin und Außenministerin Hillary Clinton davon sprach, dass | |
| sie „Pläne“ habe. Im Juni desselben Jahres fuhr der Immobilienmagnat, | |
| Kasinobetreiber und Fernsehpromi Donald Trump die Rolltreppe herunter, um | |
| bei seiner ersten Pressekonferenz als Präsidentschaftsbewerber mexikanische | |
| Einwanderer als „Verbrecher und Vergewaltiger“ zu bezeichnen. Es folgte der | |
| absurdeste Wahlkampf, den die USA je erlebt haben. Dabei ging es um Sex, | |
| Gewalt und Geld – und manchmal auch um Politik. | |
| Am Ende der 18-monatigen Schlacht haben die beiden KandidatInnen zusammen | |
| weit mehr als 2,5 Milliarden Dollar verpulvert. Sie haben alle anderen | |
| Ereignisse in den Hintergrund gedrängt und ihre Landsleute so gründlich | |
| verärgert, verängstigt und gespalten, dass jetzt – in einem selten | |
| gewordenen Moment nationaler Einheit – alle erleichtert sind, dass es | |
| endlich vorbei ist. | |
| Am Samstagabend, gut 50 Stunden bevor die ersten Wahllokale öffnen und | |
| nachdem bereits an die 40 Millionen WählerInnen ihre Stimme im | |
| Frühwahlverfahren abgegeben hatten, kam es zu einer weiteren dramatischen | |
| Szene im Wahlkampf. Geheimdienstleute evakuierten den republikanischen | |
| Kandidaten Trump von einer Bühne in Reno, Nevada. Direkt zu seinen Füßen | |
| hatte jemand gerufen: „Gun“ – Schusswaffe. | |
| Doch es hatte nur ein Handgemenge unter Republikanern gegeben. Einer von | |
| ihnen, der 33-jährige Austyn Crites, hatte ein Transparent mit der | |
| Aufschrift „Republikaner gegen Trump“ gezeigt. Darauf stürzten sich andere | |
| Republikaner auf ihn, boxten und würgten ihn. | |
| In einem Interview mit dem britischen Guardian sagte der sichtlich | |
| erschütterte Crites später, er sei froh gewesen, als die Polizei kam. Aber | |
| er liebe die „Patrioten“, die ihn verprügelt haben, fügte er hinzu. Dann | |
| kritisierte er die „Hassrhethorik“ Trumps und nannte ihn einen „Faschiste… | |
| und „Diktator“. Eine Schusswaffe fand sich in Reno nicht, kurz darauf war | |
| Trump zurück am Mikrofon. | |
| ## Eine Partei von Umfallern | |
| Öffentliche Kritik von Republikanern an ihrem Spitzenkandidaten war im | |
| Wahlkampf selten. Die GOP – die Grand Old Party – erwies sich vielmehr als | |
| eine Partei von Umfallern. Der Parteiapparat wollte diesen Kandidaten nicht | |
| – und hätte ihm jeden Einzelnen der 15 anderen Männer und der einen Frau | |
| vorgezogen, die anfangs für die Republikaner antreten wollten. Doch nachdem | |
| der Geschäftsmann und Reality-TV-Darsteller Trump, der nie ein politisches | |
| Amt hatte und der Partei erst seit Kurzem angehört, die Vorwahlen gewonnen | |
| hatte, gaben die Parteifunktionäre auf. | |
| Trump konnte die Grenzen des in seiner Partei Zulässigen immer weiter | |
| verschieben: Er erklärte, er wolle Muslimen die Einreise in die USA | |
| verbieten; er nahm die Unterstützung von Neonazis, von weißen Nationalisten | |
| und des Ku-Klux-Klan an; er heuerte den Chef der radikal rechten | |
| Publikation „Breitbart News“ als seinen Wahlkampfleiter an; er machte sich | |
| über einen behinderten Journalisten lustig und er ließ offen, ob er das | |
| Wahlergebnis anerkennen würde. | |
| Auf Anfrage von Journalisten erhielt Trump dafür jeweils Rüffel von | |
| Parteifunktionären. Doch die führten nicht zu politischen Konsequenzen. Die | |
| Parteifunktionäre hatten vor allem die Sorge, Trump könnte den Einzug ins | |
| Weiße Haus verfehlen und bei der Wahl auch andere republikanische | |
| Kandidaten – für den Kongress und die Institutionen in den Bundesstaaten – | |
| mit in den Abgrund reißen. | |
| Am Ende gaben die meisten Parteifunktionäre ihre Stimme schon im | |
| Frühwahlverfahren für Trump ab. Unter ihnen war auch Paul Ryan, der | |
| einflussreiche Sprecher des Repräsentantenhauses, der Trump öffentlich am | |
| vernehmlichsten zur Vernunft gerufen hatte. | |
| ## Ein elf Jahre altes Video | |
| Der einzige Eklat, der Trump in seiner Partei mehr kostete als | |
| missbilligende Worte, resultierte nicht aus dem Wahlkampf. Ärger machte ihm | |
| ein elf Jahre altes Video aus einem Bus, in dem er damit prahlte, wie er | |
| Frauen gegen ihren Willen sexuell belästigt. „Wenn du ein Star bist, kannst | |
| du sie an die Möse grabschen“, sagte er einem Moderator. | |
| Nach der Veröffentlichung des Videos berichteten ein Dutzend Frauen von | |
| sexuellen Übergriffen von Trump. Doch der erklärte, in dem Bus habe es sich | |
| lediglich um „Umkleideraumgerede“ unter Männern gehandelt. Er sei | |
| keineswegs sexuell übergriffig. Die meisten Frauen, die ihn beschuldigten, | |
| kenne er gar nicht. Von einigen sagte er öffentlich, sie sähen nicht gut | |
| genug aus, um ihn sexuell zu interessieren. | |
| Selbst daraufhin gingen nur wenige Parteifunktionäre auf Distanz. Die | |
| meisten gaben wenige Wochen später – als Trumps Umfragewerte sich wieder | |
| verbessert hatten – doch ihre Stimme für ihn ab. | |
| Der Abgeordnete Jason Chaffetz aus Utah ist einer von ihnen. Gegenüber dem | |
| Radiosender NPR erklärte er seine Meinungsänderung so: „Eine Stimmabgabe | |
| für Trump ist keine Unterstützung für Trump.“ Und in jedem Fall sei Clinton | |
| schlimmer. | |
| ## Plötzlich war da noch Bernie Sanders | |
| Anders als Trump war Clinton als Favoritin ihrer Partei in den Wahlkampf | |
| gestartet. Die Democratic National Convention – das Führungsgremium der | |
| Demokraten – stand hinter der ehemaligen First Lady, die schon New York im | |
| Senat und die Regierung als Außenministerin vertreten hatte. Die | |
| Parteispitze sah sie als die erfahrenste und politisch bestvernetzte | |
| Kandidatin, die zugleich den leichtesten Zugang zu Wahlkampfspenden hatte. | |
| Doch auch die demokratischen Parteifunktionäre haben sich verkalkuliert: | |
| Sie übersahen, dass Clinton, die seit fast vier Jahrzehnten an der Spitze | |
| der Macht mitmischt, nicht für den Neuanfang steht, den viele an der Basis | |
| wollen. Und sie ahnten wohl nicht, dass Clinton – die anfangs als die von | |
| den Medien und der Justiz bestdurchleuchtete Politikerin der USA galt – | |
| jede Menge potenziell schädliche Geheimnisse hatte. | |
| Das Ereignis des demokratischen Vorwahlkampfs war Bernie Sanders. Der | |
| demokratische Sozialist füllte Sportstadien quer durch das Land, während | |
| Clinton vor allem in geschlossenen Räumen und vor älterem Publikum auftrat. | |
| Sanders sprach jene Themen an, die junge Demokraten beschäftigen: darunter | |
| die hohe private Verschuldung, die lächerlich niedrigen Mindestlöhne, die | |
| Studiengebühren und die niedrigen Steuern, von denen Spitzenverdiener | |
| profitieren. | |
| Der 74-jährige Sanders gewann die Vorwahlen in 23 Bundesstaaten und die | |
| Sympathie der demokratischen Basis. | |
| Clinton setzte sich letztlich zwar durch, aber sie musste sich weite Teile | |
| seines innenpolitischen Programms zu Eigen machen. | |
| ## Fährlässig mit Geheiminformationen | |
| Als der Hauptwahlkampf anfing, war sie eine von links geschwächte | |
| Kandidatin. Dazu kamen die verschiedenen Ermittlungen gegen sie. Zunächst | |
| suchten die Republikaner im Kongress noch nach der Verantwortung der | |
| ehemaligen Außenministerin Clinton bei dem terroristischen Überfall vom | |
| September 2012 auf das US-Konsulat im libyschen Benghasi. Parallel prüften | |
| ihr ehemaliges Ministerium und das FBI, ob sie mit der Benutzung eines | |
| privaten E-Mail-Servers gegen die Regeln verstoßen habe. Beide kamen zu dem | |
| Schluss, dass sie extrem fahrlässig mit Geheiminformationen umgegangen war. | |
| Die empfindlichsten Schläge erlitt die Kandidatin Clinton im Endspurt des | |
| Wahlkampfes. Da begann Wikileaks, dessen Chef Julian Assange eine offene | |
| Rechnung mit Clinton hat, interne Dokumente aus dem demokratischen | |
| Wahlkampfbüro zu veröffentlichen. Elf Tage vor der Wahl kündigte der | |
| FBI-Direktor an, er habe neue, möglicherweise belastende E-Mails gefunden | |
| und er müsse die Ermittlungen gegen die Kandidatin weiterführen. | |
| Clinton und Trump kennen sich aus New York. Die beiden sind fast | |
| gleichaltrig – sie ist 69, er 70 – und gehören zu der kleinen Gruppe von | |
| Spitzenverdienern und Machern in der Stadt. Als Trump 2005 zum dritten Mal | |
| heiratete, waren Hillary Clinton und ihr Mann unter seinen prominenten | |
| Gästen. Als sie Senatorin für New York war, unterstützte der Milliardär sie | |
| mit Spenden und versicherte 2008, als Clinton erstmals für das Weiße Haus | |
| kandidierte, in Interviews, sie sei die beste Person für das Amt. | |
| Heute nennt er sie „betrügerisch“ und lässt seine Anhänger „Sperrt sie | |
| ein!“ rufen. Bei mindestens einer Gelegenheit hieß er es sogar gut, | |
| Clinton, die den Besitz von Schusswaffen stärker kontrollieren will, | |
| gewaltsam daran zu hindern: „Wenn sie Präsidentin ist, gerät unser | |
| Verfassungsrecht auf Schusswaffen in Gefahr“, sagte Trump, „dann können wir | |
| nichts mehr tun. Es sei denn, einer der Verteidiger des zweiten | |
| Verfassungszusatzes erledigt das.“ | |
| Von der Autorin Dorothea Hahn ist aktuell die politische Biographie | |
| [1][„Hillary. Ein Leben im Zentrum der Macht“] erschienen; C.H.Beck Verlag, | |
| München 2016, 240 Seiten | |
| 6 Nov 2016 | |
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| [1] http://www.chbeck.de/Hahn-Hillary/productview.aspx?product=16551086 | |
| ## AUTOREN | |
| Dorothea Hahn | |
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