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# taz.de -- Debatte Spaltung der US-Gesellschaft: Das Die-da-Gefühl
> Staatsversagen und tiefe Gräben: Donald Trump hat diese politischen
> Mängel ins Zentrum gestellt. Hillary Clinton wird sie nicht beheben
> können.
Bild: Es sind die da, die da, die da und auch die da: Politik, Medien, Wall Str…
Ein Sieg ist Donald Trump schon jetzt nicht mehr zu nehmen: Am
Dienstagabend, wenn die Wahlen in den Vereinigten Staaten darüber
entscheiden, wohin sich die westlichste Demokratie entwickeln wird, mag der
Kandidat Trump vielleicht Geschichte sein. Die Bewegung Trump ist es lange
nicht. Denn entweder hat Amerika einen Präsidenten gewählt, der den
Aufstand der Unanständigen ins Weiße Haus führen wird. Oder ein
gescheiterter Kandidat tritt beiseite und schickt jene Armee der Wutbürger,
die er hinter sich gesammelt hat, übers Land.
Was heißt das für die Vereinigten Staaten und was hieße es für eine
potenzielle Präsidentschaft Clintons?
Nach einem rauschhaften Wahlkampf werden die Amerikaner am Mittwochmorgen
aufwachen und ihr Land mitten im Kulturkampf wiederfinden. Donald Trump hat
eine starke Allianz geschmiedet aus rechtskonservativen Intellektuellen und
zornigen Männern der unteren Mittelklasse, angereichert mit jenen 10 bis 15
Prozent militanter Neonazis, die sich bisher nur im Milieu des Ku-Klux-Klan
und bewaffneter Milizen am Rande der Gesellschaft bewegten. Sie alle eint
ein wachsender Hass auf die moderne diverse US-Gesellschaft. Sie teilen den
Wunsch, die Zeit zurückzudrehen und zu den scheinbar geordneten
Verhältnissen einer weiß-männlich-heterosexuellen Dominanz zurückzukehren.
Im Abwehrkampf gegen die Moderne ist eine Konfrontation neu entflammt, die
den historischen Mustern des Bürgerkriegs zwischen den Konföderierten im
Süden und der Nordstaaten-Union folgt. Trump hat den Kampf zwischen Land
und Stadt zugespitzt, zwischen Weiß und Schwarz hat er Hass genährt.
Vergangene Woche erschoss ein Weißer in Iowa zwei Polizisten. Der Mann war
Tage zuvor bei einem High-Scholl-Football-Spiel des Stadions verwiesen
worden, weil er vor schwarzen Schülern die Konföderiertenflagge geschwenkt
hatte.
## Clinton – die falsche Persönlichkeit
Noch lange werden sich die US-Amerikaner im Alltag mit den Verwerfungen
auseinandersetzen müssen, unabhängig vom Wahlausgang. Die amerikanische
Gesellschaft gleicht einem Patienten, der nach einem Exzess eine
Entgiftungskur benötigt.
Sollte Hillary Clinton die Wahl gewinnen, und noch ist das die
wahrscheinlichere Option, wäre sie die erste Chefin im Weißen Haus und
erste Oberkommandierende der US-Streitkräfte. Sie ist erfahren und
qualifiziert wie keiner ihrer Konkurrenten, die mächtigste Nation der Welt
zu führen.
Aber der Wahlkampf hat die politische Herausforderung transzendiert. Der
Aufgabe, Millionen Menschen wieder aus der Umarmung einer
nationalistisch-antidemokratischen Propagandamaschine zu befreien, ist
Clinton nicht gewachsen. Sollte sie Präsidentin werden, müsste Clinton für
die vergiftete Gesellschaft die geeignete Kur finden. Aber dafür ist sie
die falsche Persönlichkeit.
Es gehört zu den vornehmsten Versprechen antretender US-amerikanischer
Präsidenten, das Land zu heilen. Barack Obamas magisches Versprechen „Yes
we can“ hörten die Menschen als seinen Schwur, ein besseres Amerika zu
schaffen.
## Soziale Spaltung
Dafür hat er viel getan. Obama hat dem Land erstmals eine
Gesundheitsversicherung gebracht, Klimaschutzpolitik hat er neu definiert
und Antidiskriminierungspolitik konsequent gefördert. Aber das Amt hat ihm
den Zauber genommen. Viele haben sich enttäuscht abgewandt. Donald Trump
und seine wütenden Jünger dagegen haben genau verstanden, wie tiefgreifend
sich das Land unter Obama gewandelt hat. Statt zu heilen, hat Obama sein
Land damit noch tiefer gespalten.
Die Wut des weißen Mannes ist jedoch nicht nur Ausdruck einer Angst vor
gesellschaftlicher Marginalisierung. Zur Bilanz der Ära Obama zählt neben
der gesellschaftlichen Modernisierung auch eine extreme soziale Spaltung,
fällt seine Amtszeit doch mit einer Depression nach dem Platzen der
Immobilienblase zusammen.
Die 400 reichsten Amerikaner besitzen heute so viel Vermögen wie die
unteren 60 Prozent der Gesellschaft. Das durchschnittliche
Haushaltseinkommen ist seit 1999 um rund 5.000 Dollar gefallen, trotz
wachsenden gesellschaftlichen Wohlstands. Erst jetzt, acht Jahre nach dem
großen Bankenversagen, ist die Armutsrate in den Vereinigten Staaten
erstmals nicht gestiegen, werden die Gewinne der Konzerne in neue Jobs und
milde Lohnerhöhungen umgesetzt.
Die Finanzkrise von 2008 hat die US-Gesellschaft tief erschüttert, erholt
davon haben sich nur die großen Konzerne. Wie Rechtspopulisten in Europa
operiert Donald Trump erfolgreich mit der Fusion antiegalitärer,
antisolidarischer Abwehrkomplexe und sozialer Sicherheitsversprechen.
## Moralische Korruption
Er gibt den Impuls für Mauern nach Mexiko und für ein Handelsembargo gegen
China und suggeriert damit, der Schutzpatron des einfachen Mannes zu sein,
dem weniger die Gender-Toilette in Virginia Sorgen bereitet als der
Arbeitsplatz des Kohlearbeiters im selben Bundesstaat. Hillary Clinton
findet dafür keine Sprache, zu eng ist sie selbst mit den Entwicklungen
verknüpft.
Donald Trump hat ins Zentrum des Wahlkampfs gerückt, was dort auch
hingehört: die wachsende Kluft zwischen wenigen ökonomischen Gewinnern und
vielen Verlierern des digitalen, globalisierten Kapitalismus, der für viele
Menschen nicht nur einen Verlust an Einkommen, sondern auch an Orientierung
bedeutet. Mehr noch als in Europa fällt die Kluft zusammen mit einer
Entfremdung der Eliten von der Mehrheit der Bevölkerung. Das Die-da-Gefühl
ist kein Phänomen von Verschwörungstheoretikern mehr, sondern für viele ein
Teil des Lebensgefühls: die da in der Politik, in den Medien, an der Wall
Street. Hillary Clinton.
Es stimmt ja, dass eine parlamentarische Demokratie, deren Volksvertreter
mit wenigen Ausnahmen durch Beraterhonorare zu Millionären geworden sind,
sich nicht wundern darf, dass sie als gekauft gilt. Hillary Clinton und ihr
Mann, Expräsident Bill Clinton, haben sich Millionen Dollar mit Vorträgen
vor exklusiver Zuhörerschaft verdient. Trump gebührt, obwohl er selbst ein
Teil dieses Systems ist, das Verdienst, diese Form der moralischen
Korruption ins Blickfeld gerückt zu haben. Das politische Washington
braucht strenge ethische Maßstäbe, rigide rechtliche Regeln und eine
Entflechtung von der Macht der Lobbyisten. Es muss sich neu erfinden.
In einer unübersichtlichen Welt, in der alles mit allem zusammenzuhängen
scheint, erfährt das Schutzkonzept des Staates eine Renaissance. Von einem
modernen Staat erwarten die Menschen zu Recht Orientierung und ein
Mindestmaß an Funktionsfähigkeit. In den vergangenen 30 Jahren aber haben
gerade die Republikaner versucht, den Staat systematisch zu zerstören.
## Den Hass einfangen
Wenn Trump den Zustand amerikanischer Flughäfen mit jenen in der Dritten
Welt vergleicht, spricht er ein weit verbreitetes Gefühl der
Disfunktionalität des US-amerikanischen Gemeinwesens an, das sich überall
beobachten lässt: bei der Kompetenz der Behörden ebenso wie bei der Tiefe
der Schlaglöcher amerikanischer Straßen. In den USA ist ein anderes
Staatsverständnis, das sich auf mehr erstreckt als nur auf einen möglichst
starken Polizei- und Militärapparat, überfällig.
Hillary Clinton verkörpert die Eliten wie kaum eine andere. Ihr politischer
Horizont umfasst die Ostküste zwischen New York und Washington. Ihren
moralischen Kompass gibt sie an den Pforten der Wall Street ab, um dort
horrende Honorare zu kassieren. Ja, sie adressiert in ihren Reden die
Mittelklasse. Aber aus ihrem Mund klingt Mittelklasse nach der
demokratischen Lehrerin aus Maryland und nicht nach dem kleinen
Angestellten aus Ohio. Clinton erreicht Frauen, sie erreicht Minderheiten
und sie erreicht die Profis im politischen Washington.
Das sind zugegeben viele. Aber um den Hass wieder einzufangen und die
vereinte Trump-Armee zu teilen, muss jemand, aufrecht, auch zu weißen
Männern sprechen können. Aufrichtigkeit ist kein Attribut, das Clinton
normalerweise angeheftet wird.
Wenn aber das politische System so disfunktional ist wie die öffentliche
Infrastruktur, wenn die politischen Führungsfiguren nicht mehr am
Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen gemessen werden, dann bleibt als
Gegengewicht zum Wutbürgertum kein anderer Akteur als die aufgeklärte
Zivilgesellschaft. Aus ihr heraus, im Alltag der Menschen wird sich
entscheiden, ob Fremdenhass oder Solidarität das Leitmotiv
gesellschaftlicher Verteilungsfragen in den Vereinigten Staaten ist. Damit
Donald Trump nicht, wie amerikanische Kommentatoren schon schreiben, zur
„Abrissbirne“ der Demokratie wird.
5 Nov 2016
## AUTOREN
Barbara Junge
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