# taz.de -- Pressefreiheit in der Türkei: Deniz Yücel in Polizeigewahrsam | |
> Der „Welt“-Korrespondent und frühere taz-Redakteur Deniz Yücel wurde in | |
> Istanbul festgenommen. Die Vorwürfe sind abstrus. | |
Bild: Deniz Yücel am Goldenen Horn von Istanbul | |
Seit dem 25. Dezember war Deniz Yücel verstummt. Am Freitag [1][meldete | |
sein Arbeitgeber, die WeltN24-Gruppe], dass er am vergangenen Dienstag die | |
Polizeibehörde in Istanbul aufsuchte und dort festgenommen wurde. | |
Dem 43-jährigen Türkei-Korrespondenten der Welt wird Mitgliedschaft in | |
einer terroristischen Vereinigung, Datenmissbrauch und Terrorpropaganda | |
vorgeworfen. Nach den Regeln des derzeit geltenden Ausnahmezustandes in der | |
Türkei kann Yücel bis zu 14 Tage ohne Anhörung durch einen Richter in | |
Polizeigewahrsam gehalten werden. Anschließend kann die Staatsanwaltschaft | |
Untersuchungshaft beantragen. Deniz Yücels Wohnung wurde durchsucht. | |
Deniz Yücel, der bis 2015 taz-Redakteur war, hat sowohl die türkische als | |
auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Kurz vor den Wahlen im Mai 2015 war | |
der in Deutschland geborene Journalist als Korrespondent für die Welt in | |
die Türkei gegangen. Von Anfang an berichtete er kritisch über die | |
türkische Regierung. Bereits im Juni 2015 wurde er in Şanlıurfa nach einer | |
Pressekonferenz kurzzeitig festgenommen, weil er Fragen zu Flüchtlingen aus | |
Syrien stellte, die dem dortigen Gouverneur nicht passten. | |
Deniz Yücel fuhr im August 2015 ins Kandil-Gebirge, das Rückzugsgebiet der | |
kurdischen Arbeiterpartei PKK. Dort interviewte er ein Mitglied der | |
Führungsriege, Cemil Bayık. Das Interview erschien auf Deutsch in der Welt | |
und auf Türkisch in der Tageszeitung Birgün. Damals wurden die | |
regierungsnahen Zeitungen auf Yücel aufmerksam. | |
Auf einer Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem | |
damaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu im Februar 2016 in Ankara | |
richtete sich schließlich die türkische Regierung direkt gegen den | |
Korrespondenten: Deniz Yücel sprach Angela Merkel auf die Vorwürfe der | |
türkischen Opposition an, sie würde für den Flüchtlingsdeal die Missachtung | |
von Menschenrechten in Kauf nehmen. Er verwies darauf, dass die Türkei in | |
der internationalen Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 159 stehe, und | |
erinnerte an die angeklagten Cumhuriyet-Journalisten Can Dündar und Erdem | |
Gül. | |
Angela Merkel antwortete zurückhaltend, Ahmet Davutoğlu hingegen griff | |
ein. Dass man einem Ministerpräsidenten ins Gesicht blicken und ihn | |
öffentlich beleidigen könne, beweise doch, dass in der Türkei | |
Pressefreiheit existiere, antwortete er Yücel brüsk. | |
## Konferfrei auf Titelseiten | |
Am Tag darauf brachten regierungsnahe Zeitungen wie Sabah und Yeni Safak | |
das Konterfei von Deniz Yücel auf die Titelseiten. In den Berichten hieß | |
es, Yücel habe in „provozierender Absicht“ gefragt – und Davutoğlu habe | |
den Journalisten mit einer Antwort blamiert, die „wie ein Schlag ins | |
Gesicht war“. | |
Die Tageszeitung Sabah – das Flaggschiff der AKP-nahen Medien in der Türkei | |
– holten das Interview, das Deniz Yücel mit der PKK geführt hatte, aus den | |
Archiven und behaupteten, dass er darin die terroristische Organisation | |
lobe. In den Tagen darauf wurde Yücel in der türkischen Mainstream-Presse | |
als „PKK-Anwalt“ und „Agent Provocateur“, der für seine antitürkischen | |
Berichte bekannt sei, an den Pranger gestellt. | |
Als Reaktion auf die Stimmungsmache verließ Deniz Yücel für zwei Monate die | |
Türkei. Wenig später verließ auch der Spiegel-Korrespondent Hasnain Kazim | |
die Türkei, weil die türkische Regierung seine Presseakkreditierung nicht | |
mehr verlängerte. | |
Bei seinem Istanbul-Besuch im November 2016 sprach Außenminister | |
Frank-Walter Steinmeier die massiven Einschränkungen der Presse- und | |
Meinungsfreiheit nach dem gescheiterten Putschversuch offen an und wurde | |
vom türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu mit dem Vorwurf | |
zurückgewiesen, Deutschland beherberge Terroristen. Auch Angela Merkel | |
mahnte bei ihrem jüngsten Besuch in Ankara die Einhaltung der | |
Meinungsfreiheit an. | |
## Als Staatsfeind gekennzeichnet | |
Nach dem Vorfall mit Davutoğlu war Yücel, wie viele andere | |
Auslandskorrespondenten auch, als Staatsfeind gekennzeichnet. Anlass für | |
die Festnahme war jedoch ein Artikel über die linke türkische Hackergruppe | |
RedHack, die die Privatmails des Energieministers und Schwiegersohns von | |
Erdoğan, Berat Albayrak, im September geleakt hatte. Yücel berichtete über | |
das Leak im Oktober 2016. In seinem Artikel schrieb er vor allem über die | |
Erkenntnisse seiner Kollegen in der Türkei; sie wurden allesamt in einer | |
Polizeioperation in den Morgenstunden des 25. Dezember 2016 verhaftet. | |
Die Tageszeitung Sabah nannte die Operation die „RedHack Operation“. Neun | |
Journalisten wurde vorgeworfen, „im Kontakt mit der illegalen Hackergruppe | |
zu stehen und die öffentliche Meinung zu manipulieren“. Sechs weitere | |
Journalisten befinden sich nach wie vor in Haft. Bei drei Journalisten | |
wurde vermutet, dass sie sich im Ausland befinden; Deniz Yücel war einer | |
davon. | |
17 Feb 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.welt.de/politik/ausland/article162081411/Tuerkei-Korrespondent-… | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Kimmerle | |
Ali Celikkan | |
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