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# taz.de -- Festnahme des Journalisten Ahmet Șık: Er wird weiterschreiben
> Für unsere Autorin ist ihr Kollege Ahmet Șık der Inbegriff des mutigen
> Journalismus. Sie hat Zweifel, ob ihn ein rechtsstaatliches Verfahren
> erwartet.
Bild: Die Demokratie werde in die Türkei zurückkehren, sagte Ahmet Şık 2012…
An einem schwarz geteerten Morgen, als ich den [1][Tweet „Ich werde
festgenommen“ sah,] dachte ich sofort: Nun ist es endlich passiert. Wir
hatten es geahnt. [2][Ahmet Șık wusste seit Langem, dass man ihn verhaften
würde], nur konnte er nicht abschätzen, wann und wie. Ahmet Șık, mit dem
ich mir einen Arbeitsplatz im Büro teile, ist nicht nur wie ein großer
Bruder für mich. Er ist der Inbegriff der mutigen und gewissenhaften
Berichterstattung. Ahmet Șık ist Journalist, und Journalismus ist kein
Verbrechen. Bereits vor sechs Jahren, als er schon einmal verhaftet wurde,
riefen wir: „Ahmet wird rauskommen und weiterschreiben!“
Damals, als einer von dreizehn Verurteilten im so genannten „Oda TV-Fall“,
saß Ahmet Șık 375 Tage in Haft. Unter anderem wegen Gründung und Führung
einer bewaffneten Terrororganisation, Volksverhetzung, Beschaffung geheimer
Dokumente, die die Staatssicherheit gefährden, und versuchter Manipulation
gerichtlicher Urteile. Als er im März 2012 freigelassen wurde, erklärte
Ahmet Șık noch am Ausgang der Haftanstalt in Istanbul-Silivri: „Diese Bande
wird verhaftet, in dieses Land wird wieder Demokratie einkehren.“
Gemeint war damit die Gülen-Gemeinde, damals Verbündete der AKP-Regierung.
Ahmet Șık war nämlich zur Zielscheibe erklärt worden, weil er die
Unterwanderung von Justiz, Politik und Ämtern durch Gülenisten belegte und
kritisierte. Heute, fünf Jahre später, werden eben diese Gülenisten als
Terroristen verfolgt. Jene, die Ahmet Șık 2011 verhaften ließen, sind heute
selbst im Gefängnis oder auf der Flucht.
Unweigerlich dachten wir am Mittwoch, dem Morgen von Șıks Festnahme, an die
Szene vor der Haftanstalt Silivri. Geht man durch die Archive der heutigen
AKP-verliebten Journalisten, findet man unzählige Lobgesänge auf den
Prediger Fetullah Gülen. Ihr Idol ist nach dem Bruch zwischen Gülen und AKP
zwar gefallen, die Mentalität aber ist dieselbe geblieben. Das zeigt die
erneute Festnahme von Șık, und das zeigt auch die Festnahme von zehn
weiteren [3][Cumhuriyet-Kollegen] in den vergangenen Wochen. Wir haben
keinen Zweifel daran, dass die, die sagen, „die Türkei ist zu keiner Zeit
so frei gewesen, wie heute“, sich über unsere Vernunft lustig machen.
Ja, die Bande ist nun im Gefängnis, wie Ahmet Șık vor Jahren vorausgesagt
hatte. Doch Demokratie ist in dieses Land nicht eingekehrt. Während damals
Șıks Bücher über die Gülen-Gemeinde mit den Worten „gefährlicher als
Bomben“ beschrieben wurden, sind heute Tweets schon ausreichend, um
verhaftet zu werden. Es sieht so aus, als müssten wir noch fünf Tage
warten, bis wir Ahmet besuchen dürfen. Alles weitere kommt auf die Haltung
des Staatsanwalts an.
Ich habe mir das Facebook-Profil des zuständigen Staatsanwalts angeschaut.
Er folgt einer Fanseite mit dem Titel: „Großer Präsident, wir sind auf
deiner Spur“. Ich frage mich: Soll das ein unabhängiges Justizmitglied
sein? Wird diese Person Ahmet Șık befragen? Wie können wir überhaupt von
einer unabhängigen Justiz sprechen, wenn diese Person längst [4][das von
Erdoğan gewünschte Präsidialsystem] akzeptiert, noch bevor darüber
abgestimmt wurde?
Das Problem geht aber leider noch viel weiter. Wenn ein solcher
Staatsanwalt nämlich die Untersuchungshaft für Ahmet Șık anordnen darf,
wird es nicht mehr überraschen, wenn auch der Richter gleich einem
AKP-Minister handelt und Șık tatsächlich verurteilt.
Übersetzt aus dem Türkischen von Fatma Aydemir
30 Dec 2016
## LINKS
[1] https://twitter.com/sahmetsahmet/status/814334190376419328?lang=de
[2] /!5370104/
[3] /Pressefreiheit-in-der-Tuerkei/!5354036/
[4] /Ende-der-Demokratie-in-der-Tuerkei/!5360041/
## AUTOREN
Canan Coşkun
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