# taz.de -- Besuch bei Cumhuriyet-Redaktion: Zwischen Schikane und Solidarität | |
> Die Oppositionszeitung Cumhuriyet wird bewacht wie ein Gefängnis. Die | |
> RedakteurInnen versuchen, das bei ihrer Arbeit auszublenden. | |
Bild: UnterstützerInnen sind Tag und Nacht in der Nähe des Verlagsgebäudes d… | |
Istanbul taz | „Wir sind Journalisten. Wir leben durch unsere Leser, wir | |
arbeiten für unsere Leser. Wir sind keine Verbrecher.“ Das zu betonen | |
erscheint Mine Esen wichtig, denn jeder unbefangene Besucher der Zeitung | |
Cumhuriyet kann in diesen Tagen leicht einen anderen Eindruck bekommen. | |
Die Zeitung wird bewacht wie ein Gefängnis. Die Zufahrtsstraße zum | |
Verlagsgebäude im Istanbuler Geschäftsviertel Sisle ist von der Polizei | |
abgesperrt. Wer durchwill, muss einen Presseausweis oder einen Pass | |
vorzeigen und sich einer Leibesvisitation unterziehen. „Jeden Morgen, wenn | |
wir zur Arbeit kommen, dasselbe Spiel“, empört sich Mine Eser, die als | |
Redakteurin in der Auslandsredaktion arbeitet. „Obwohl sie uns längst | |
kennen und wir unsere Redaktionsausweise dabeihaben, müssen wir jeden Tag, | |
wenn wir in unsere eigene Zeitung wollen, diese entwürdigende Prozedur über | |
uns ergehen lassen. Angeblich zu unserem eigenen Schutz.“ | |
Seit zwei Wochen dauert dieser Belagerungszustand von Cumhuriyet nun schon | |
an. Montag Früh um 6 Uhr am 31. Oktober waren Anti-Terror-Einheiten der | |
Istanbuler Polizei bei zwölf führenden Journalisten, Kolumnisten und | |
Mitgliedern der Geschäftsführung des Blattes aufgetaucht und hatten sie | |
noch in ihrer Wohnung festgenommen. Ein weiterer, der Herausgeber und | |
Vorstandsvorsitzender der Cumhuriyet-Stiftung, [1][Akin Atalay, wurde am | |
letzten Freitag am Flughafen verhaftet, als er aus Berlin zurückkam]. Am | |
Samstagabend verhängte ein Richter Untersuchungshaft gegen Atalay, womit | |
nun 10 Journalisten, Kaufleute, Kolumnisten und Anwälte der Zeitung in Haft | |
sind. | |
„Natürlich sind wir massiv unter Druck“, sagt der jetzige Interimschef und | |
Nachrichtenkoordinator der Zeitung, Aykut Küçükkaya, „aber wir versuchen in | |
unseren Köpfen alles auszuschalten, was uns daran hindert, jeden Tag weiter | |
eine gute Zeitung zu machen. Das ist es auch, was unsere verhafteten | |
Kollegen von uns erwarten.“ Was der Redaktion von Cumhuriyet hilft, ist die | |
große Solidarität im In- und Ausland. | |
Seit den Verhaftungen konnte die Zeitung ihre Auflage von 50.000 auf | |
100.000 täglich verkaufter Zeitungen verdoppeln. Rund um das Verlagsgebäude | |
haben sich Unterstützer postiert. „Wir sind Tag und Nacht hier“, erzählt | |
ein älterer Herr. „Wir verteidigen Cumhuriyet und damit gleichzeitig die | |
säkulare Türkei.“ | |
## Deutlich pessimistischer | |
Weil die 1924 vom damaligen Republikgründer Atatürk aus der Taufe gehobene | |
Zeitung ebendiese Republik repräsentiert, ist sie für Erdoğanein Ärgernis. | |
Dazu kommt, dass das Blatt sich in den letzten Jahren zur wichtigsten | |
Stimme der liberalen Demokratie entwickelt hat und mit | |
Enthüllungsgeschichten über illegalen Waffenhandel und Korruption Erdoğan | |
mehrmals in Bedrängnis brachte. | |
Die Gefahr für Cumhuriyet besteht aber nicht nur darin, dass weitere | |
Journalisten verhaftet werden, sondern dass die Erdoğan-Regierung wie bei | |
anderen oppositionellen Medien zuvor schon einen Zwangsverwalter einsetzt, | |
der dann die Mitarbeiter feuert, durch Regierungspropagandisten ersetzt und | |
die redaktionelle Ausrichtung um 180 Grad verändert. Am 24. November | |
beginnt ein Prozess, bei dem die Cumhuriyet-Stiftung wegen angeblicher | |
finanzieller Unregelmäßigkeiten angeklagt wird. Das könnte zum Vorwand für | |
die Zwangsverwaltung genommen werden. | |
Aykut Küçükkaya will sich trotzdem mit dem Thema nicht befassen. „Wenn wir | |
immer daran denken, dass Erdoğan einen Zwangsverwalter schicken könnte, | |
lähmen wir uns nur selbst“, sagt er. „Wir machen weiter, so gut wir | |
können.“ | |
Aydin Engin, ein 75-jähriger Kämpe für die Freiheit in der Türkei, ist da | |
pessimistischer. „Die Festnahmen und anschließenden Verhaftungen waren erst | |
der Auftakt. Erdoğan wird nicht ruhen, bis er Cumhuriyet erledigt hat.“ | |
13 Nov 2016 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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