# taz.de -- Politiker in der Wirtschaft: Bei Google kennt man die EU sehr gut | |
> Immer mehr Europapolitiker wechseln nach ihrer Amtszeit zu Lobbyfirmen. | |
> Das hat absurde Folgen – und nährt den Politikverdruss. | |
Bild: So schnell geht's bei manchen Europa-Politikern, da verwischt so manche G… | |
BRÜSSEL taz | Viviane Reding, Neelie Kroes, José Manuel Barroso – gleich | |
drei ehemalige EU-Kommissare machten Negativschlagzeilen, weil sie nach | |
ihrem Abschied von der Behörde als Lobbyisten für Privatfirmen anheuerten. | |
Grund für die Antikorruptions-NGO Transparency International (TI), sich die | |
„Drehtüren“ in Brüssel näher anzuschauen. | |
„Wenn EU-Politiker Lobbyisten werden“ heißt die Analyse, die am Dienstag | |
veröffentlicht wurde – und sie birgt Sprengstoff. Denn die drei ehemaligen | |
Kommissare sind nur die Spitze eines Eisbergs. Ein Drittel der früheren | |
Spitzenbeamten der EU-Behörde arbeitet nun für private Firmen, hat TI | |
herausgefunden. Besonders beliebt sind Uber, ArcelorMittal, Goldman Sachs, | |
VW und die Bank of America. Auch 30 Prozent der ehemaligen, ursprünglich | |
nur ihren Wählern verpflichteten Abgeordneten des Europäischen Parlaments | |
sind inzwischen im EU-Lobbyregister verzeichnet. Viele arbeiten bei | |
Brüsseler Beratungs- und Lobbyfirmen, einige haben sogar eigene Agenturen | |
eröffnet. | |
Unter den gut bezahlten Lobbyisten sind auch bekannte deutsche | |
Exabgeordnete wie Silvana Koch-Mehrin und Wolf Klinz (beide FDP). Nicht | |
aufgeführt wird der frühere deutsche EU-Botschafter Wilhelm Schönfelder, | |
der nach dem Ende seiner Amtszeit zu Siemens wechselte. Am dollsten hat es | |
aber der Portugiese Barroso getrieben. Der frühere Kommissionschef | |
wechselte von Brüssel nach London, wo er für die US-Investmentbank Goldman | |
Sachs arbeitet. Er hat also gleich zweimal die Seite gewechselt – vom | |
öffentlichen in den Privatsektor und von der EU in die USA. | |
Als das 2016 bekannt wurde, zögerte Barrosos Amtsnachfolger Jean-Claude | |
Juncker lange mit einer Reaktion. Schließlich hatte Barroso die | |
vorgeschriebene Karenzzeit von 18 Monaten eingehalten. Erst nach massiven | |
Protesten, an denen sich auch viele Kommissionsmitarbeiter beteiligten, | |
schritt Juncker ein, entzog Barroso den freien Zugang zum | |
Kommissionsgebäude – und schlug vor, die „Abkühlzeit“ zu verlängern. | |
„Wir haben jetzt schon die strengsten Regeln der Welt“, betonte Junckers | |
Sprecher nun nach Veröffentlichung des TI-Reports. Die Sperrfrist solle | |
künftig auf zwei Jahre für Kommissare sowie drei Jahre für den Präsidenten | |
angehoben werden. Auch das reicht nicht, halten die TI-Experten dagegen. | |
Die Fristen müssten auf fünf beziehungsweise drei Jahre verlängert werden, | |
um „Interessenkonflikte“ auszuschließen. Außerdem soll Brüssel eine | |
unabhängige Ethikkommission einrichten, wie es sie in Frankreich gibt. | |
## Auch die Parlamentarier wechseln in die Wirtschaft | |
Noch harscher fällt das Verdikt von Transparency für das Europaparlament | |
aus. Es sei „besorgniserregend“, dass es keinerlei Regeln für den Übergang | |
in die Privatwirtschaft gebe. Selbst für Assistenten gälten striktere | |
Vorschriften als für die Abgeordneten. Zuständig für eine Verschärfung wäre | |
Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) – doch der ist gerade auf dem | |
Absprung nach Berlin, Ziel Kanzleramt. Sein Nachfolger Antonio Tajani | |
(Forza Italia) gilt als wirtschaftsnah. In seine frühere Tätigkeit als | |
EU-Industriekommissar fiel der VW-Dieselskandal, Tajani unternahm nichts. | |
Dennoch regt sich auch im Europaparlament Unmut. „Es öffnet Tür und Tor für | |
Politikverdruss, wenn Politiker nach ihrem Mandat die schnelle Drehtür in | |
die Wirtschaft nehmen“, sagte der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Er | |
sieht die Schuld bei Konservativen und Liberalen, die kurz vor Weihnachten | |
neue, härtere Regeln verhindert hätten. Die Grünen fordern, dass | |
Abgeordnete, während sie vom Parlament ein Übergangsgeld erhalten, nicht | |
noch zusätzlich als Lobbyisten Geld verdienen dürfen. | |
Das sehen auch die TI-Experten so. Darüber hinaus fordern sie auch für das | |
Parlament eine unabhängige Kontrollinstanz. Besonderes Augenmerk sollten | |
die Ethikwächter dabei auf Google werfen: Denn der US-Konzern ist laut TI | |
„die einflussreichste Firma in der EU“. Nicht weniger als 115-mal habe sich | |
die Drehtür zwischen Regierungsstellen in der EU und Google gedreht. Und | |
mehr als die Hälfte der Toplobbyisten des US-Konzerns habe zuvor für die EU | |
gearbeitet. So bleibt das Wissen über Europas Institutionen zwar in der | |
Brüsseler Blase – aber es nutzt vor allem einem Unternehmen: Google. | |
31 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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