# taz.de -- Debatte Zehn Jahre Elterngeld: Gerecht wird's erst mit Männern | |
> Wickelvolontariat wurde es anfangs geschimpft. Dabei ist das Elterngeld | |
> gut, obwohl es Frauen benachteiligt. Ja, es hilft sogar gegen Populisten. | |
Bild: Mit dem Elterngeld hat der Staat Männern erstmals eine tragende Rolle be… | |
Das Elterngeld betrat die öffentliche Bühne vor zehn Jahren als Witz. | |
Wickelvolontariat für Väter hieß es, und dass mann sich die Auszeit auf | |
jeden Fall auf die Zeit eines internationalen Fußballturniers legen sollte. | |
Die gesamte Abwertung weiblicher unbezahlter Arbeit wurde für einige Zeit | |
klar sichtbar. | |
Die Herren der Schöpfung lassen sich herab, zwei Monate mit ihren | |
Sprösslingen zu verbringen. In unserer Zunft, bei den Journalisten, muss so | |
oft ein Väterbuch („Mein Wickelvolontariat“) dabei herausspringen, dass man | |
den Verdacht nicht loswird, hier müsse das Leistungstier, die Textmaschine, | |
der Immer-und-alles-Wisser einen weiteren Leistungsnachweis vorlegen. | |
Sich als Mann um seine Kinder zu kümmern, das ist immer noch ein Angriff | |
auf unsere hegemoniale Vorstellung von Männlichkeit. Beziehungs- und | |
Pflegearbeit ist Frauensache, ein Mann hat Wichtigeres zu tun. Deshalb wird | |
jeder weitere Monat, den ein Mann zu Hause bleibt, wie ein Wunder gefeiert. | |
## Quantensprung in die Moderne | |
Damit es nicht so wehtut, wurde uns das Ganze als moderne Familienpolitik | |
verkauft. Stimmt natürlich, aber außerdem ist es ein Quantensprung der | |
Gleichstellungspolitik, eine völlig neue Form der Frauenpolitik. Zum ersten | |
Mal wurde Frauenpolitik in Richtung beider Geschlechter gedacht – wurden | |
Männer wie Frauen mit einer geschlechterpolitischen Maßnahme bedacht. In | |
diese Richtung muss es weitergehen. | |
Frauenpolitik war bis dahin damit beschäftigt, Frauen gleichzustellen. | |
Gleiche Bezahlung, gleiche Rechte, gleicher Zugang zu Führungspositionen | |
wie Männer. Obwohl das rational erscheint, ist dieses Herangehen blind für | |
die geschlechtliche Arbeitsteilung, die in unserer Gesellschaft herrscht. | |
Bezahlte Arbeit und Führungsjobs für Männer, unbezahlte Arbeit und | |
Sorgearbeit für Frauen. Frauen sollte nun auf die Sprünge geholfen werden, | |
sodass sie der männlichen Norm entsprechen. Nun sollte nicht nur der Mann | |
leistungsbereit, zielstrebig, richtungsweisend und hart sein, sondern auch | |
die Frau. | |
Rein mathematisch ist das kaum möglich. Da ist ja noch die unbezahlte | |
Arbeit. Wer macht die? Und da ist die unhinterfragte männliche | |
Leistungsnorm. Es gab viele Feministinnen, die ihr Ziel, die Befreiung vom | |
Patriarchat, nicht mehr wiedererkannten. Patriarchale Männlichkeit für | |
alle. Hat man damit irgendwas gewonnen? | |
Die Antwort auf das Problem: Die männliche Geschlechtsrolle muss ebenfalls | |
erweitert werden. Elemente von Beziehung, Weichheit, Fürsorge, die in | |
traditionellen Partnerschaften auf die Frau übertragen wurden, können | |
zurückkehren zu den Männern. So wie das Elterngeld es belohnt. | |
Geschlechterdemokratie nennt es etwa die Heinrich-Böll-Stiftung, die die | |
Ansprache aller Geschlechter zu ihrem Leitprinzip erkoren hat. | |
Das Elterngeld wäre dann eine geschlechterpolitische Maßnahme, und das Ziel | |
hieße nicht mehr, Gleichheit auf dem Niveau traditioneller | |
Männlichkeitsnormen herstellen zu wollen, sondern die Hierarchie zwischen | |
den Konzepten von Männlichkeit und Weiblichkeit abzubauen. Nicht hier der | |
leistungsbereite, harte männliche Leistungsmensch und dort die Mutti | |
daheim. Sondern eine Mischung, die beiden Zeit zum Durchstarten, zum | |
Verlangsamen und Zuwenden zugesteht. | |
Das Elterngeld ist ein Paradebeispiel für dieses Mischkonzept. Und es zeigt | |
zugleich seine Probleme auf. Zum einen kann Geschlechterdemokratie | |
bedeuten, dass man den Frauen etwas wegnimmt, weil man den Männern etwas | |
gibt. Im Fall des Elterngeldes war es das Erziehungsgeld für arme Mütter, | |
es betrug 300 Euro pro Monat und wurde zwei Jahre lang gezahlt. | |
Mit der Einführung des Elterngeldes fiel das Erziehungsgeld weg. Arme | |
Mütter können nun nur noch ein Jahr lang das Basis-Elterngeld von 300 Euro | |
beziehen, ihre Einkünfte sind damit halbiert. Reiche Väter dagegen werden | |
mit bis zu 1.600 Euro pro Monat subventioniert, weil das Elterngeld als | |
Lohnersatzleistung angelegt ist. | |
Trotzdem ist der Ansatz richtig. Statt Mütter lange zu alimentieren, sorgt | |
das Elterngeld dafür, dass auch der Vater daheim bleiben kann, ohne dass | |
die Familienfinanzen zusammenbrechen, und die Mutter schneller in den Job | |
zurückkehren kann. Diese Problematik kehrt bei geschlechterpolitischen | |
Ansätzen immer wieder. Gleichstellungsbeauftragte bekommen das Gruseln, | |
wenn Männerorganisationen eine geschlechterparitätische Besetzung ihrer | |
Posten verlangen – obwohl der Etat sich nicht ändern soll. Das ist das eine | |
Problem: Geschlechterdemokratie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Es muss | |
umverteilt werden, neues Geld muss in die Hand genommen werden. | |
## Abschied vom starken Macher | |
Das zweite Problem ist um einiges massiver. Es heißt schlicht Patriarchat. | |
Unsere Konzeption von Männlichkeit fußt auf einer archaischen Hierarchie | |
der Geschlechter. Das starke Männchen wird übertragen in ein hegemoniales | |
Männlichkeitsbild vom gefühlsarmen Macher, der alles im Griff hat. | |
Ausgemalt wird dieses Bild als mittelalter, heterosexueller, körperlich | |
uneingeschränkter weißer Mann. Alles andere steht in der Hierarchie unter | |
ihm. Wollte man hier Geschlechterdemokratie einführen, dann hieße das, dass | |
dieser Typus an der Spitze der sozialen Hierarchie Gesellschaft bekommt. | |
Wir sind gerade am Anfang dieses Prozesses. Wir denken stärker inklusiv: | |
Frauen und Minderheiten werden eingeschlossen statt aussortiert. Aber | |
spürbar ist eben auch die patriarchale Reaktion darauf. In der | |
traditionellen Vorstellung von Männlichkeit ist eine kampflose Erweiterung | |
der Elite nicht vorgesehen. Die Reaktion ist Krieg. RechtspopulistInnen und | |
FundamentalistInnen in der ganzen Welt verlangen wütend die | |
Wiederherstellung der alten Geschlechterhierarchie und den Ausschluss der | |
Minderheiten. | |
Mit Geschlechterdemokratie heißt der aktuelle Gegensatz charmanterweise | |
nicht Frau gegen Mann, sondern modern und flexibel gegen alt und starr. | |
Geschlechterdemokratie ist die zeitgemäße Antwort auf die | |
Anti-Gender-Front. Zehn Jahre nach Einführung der ersten | |
geschlechterdemokratischen Maßnahme ist es Zeit für mehr. | |
8 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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