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# taz.de -- Gesunde Lebensmittel: Neue Rezeptur für Fertigprodukte
> Forscher suchen nach Ersatzstoffen für Fette, Zucker und Salz. Trotz
> veränderter Rezepturen sollen die Lebensmittel nicht ihren Geschmack
> verlieren.
Bild: Geschmackstest im Sensoriklabor an der Fachhochschule Nordhausen
München taz | Pappsüße Limonaden, vor Fett triefende Krapfen, stark
gesalzene Fertigsuppen – solch ungesundes Zeug steht in der Gunst des
Konsumenten hoch. Schließlich schmecken diese Produkte einfach zu gut. Doch
Gesundheitsexperten blicken auf den Speiseplan moderner Gesellschaften mit
Argusaugen. Denn: Softdrinks führen möglicherweise zu Übergewicht, stark
raffinierte Kohlenhydrate wie Weißbrot oder Kuchen können für die
Entwicklung von Diabetes mit verantwortlich sein und Kochsalz erhöht
zumindest bei salzsensitiven Personen den Blutdruck. Auch ein Zuviel der
falschen Fette gilt als der Gesundheit abträglich.
Doch Behörden, Verbraucherschützer und Konsumenten üben zunehmend Druck auf
die Lebensmittelindustrie aus – derzeit steht vor allem der Zucker im
Kreuzfeuer der Kritik. Laut einer aktuellen Sensus-Umfrage mit 2.500
Teilnehmern ist die Einsparung von Zucker das wichtigste Anliegen der
europäischen Verbraucher. 25 Prozent der Befragten suchen aktiv nach
zuckerreduzierten Lebensmitteln, 60 Prozent kontrollieren ihren
Zuckerkonsum. Darum wird in Industrielaboren eifrig an neuen Rezepturen für
Fertigprodukte gebastelt.
So hat etwa der Pepsi-Hersteller kürzlich angekündigt Milliarden Dollar zu
investieren, um Getränke und Snacks zu entwickeln, die weniger Zucker, Salz
und Fett inne haben. Dieser radikale Wandel sei nötig, um weiter wachsen zu
können. So soll etwa eine 333 ml-Dose Softdrink in Zukunft höchstens 100
Kalorien aus Zucker liefern. Und auch öffentliche Institute eilen zu Hilfe.
So laufen am Max Rubner-Institut (MRI) derzeit mehrere Forschungsprojekte,
die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft beauftragt
wurden. „Reformulierung“ heißt das Zauberwort.
Und Forschung ist nötig, da man in vielen Fällen nicht einfach die lästige
Zutat weglassen kann. Denn Zucker und Salz haben neben ihrem Beitrag zum
Geschmack auch noch konservierende Wirkungen, Fett gibt einem Produkt
Konsistenz. Gleichsam soll das Lebensmittel am Ende vom Verbraucher gemocht
werden. Und Geschmack ist trotz des derzeit grassierenden Gesundheitswahns
neben dem Preis immer noch das ausschlaggebende Verkaufsargument im
Supermarkt.
Zumindest bei Limonaden ist die Sache einfach: Zucker wird hier durch
kalorienfreie Süßstoffe ersetzt, im Fall Pepsi soll etwa vermehrt Aspartam
zum Einsatz kommen. Der Süßstoff ist zwar umstritten, laut einem Gutachten
der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA ist er jedoch als sicher
einzustufen. Manche Softdrinkhersteller verwenden auch Stevia-Extrakt,
gewonnen aus einer Andenpflanze. Da dieser Süßstoff in großen Mengen auch
bitter schmeckt, kann man mit ihm allerdings nicht die gesamte Zuckermenge
ersetzen. Auch in Sachen Frühstückscerealien zeigen Praxisbeispiele, dass
eine Reduzierung möglich ist. So hat etwa die Firma Nestlé 2014 bei allen
Fitnesscerealien den Zuckergehalt zwischen 13 und 31 Prozent reduziert.
## Ein Zuckermix für Milchsäurebakterien
Schwieriger wird es bei Joghurt, weil Zucker die zur Joghurtherstellung
nötigen Bakterienkulturen beeinflusst. Bis zu 20 Prozent Zucker kann in den
vermeintlich gesunden Milchprodukten stecken. Forscher des MRI haben
kürzlich herausgefunden, dass man den in der Milch natürlich vorkommenden
Zucker Laktose in Glukose und Galaktose aufspalten und zu Fruktose
umwandeln kann und damit weniger Zucker braucht. In folgenden Versuchen
soll gezeigt werden, wie sich dieser Zuckermix mit den Milchsäurebakterien
verträgt.
Der französische Forscher Thierry Thomas-Danguin hat indes herausgefunden,
dass man auch mittels Aromen den Süßgeschmack verstärken kann. Etwa mit
Estern aus Äpfeln. Dass Vanille das Süßerlebnis steigert ist indes schon
länger bekannt. Auch beim Salz funktioniert diese Methode. In diesem Fall
lässt sich mit Gewürzen, Kräutern, Algen, Fleisch- oder Käsearomen ein
geringerer Salzgehalt kaschieren. „In Tütensuppen kann man etwa den
Salzgehalt um die Hälfte reduzieren ohne dass der Verbraucher das merkt“,
schreibt Walter Vetter, Lebensmittelchemiker der Universität Hohenheim in
einem Review aus dem Jahr 2015. Ein willkommener Nebeneffekt von Kräutern
und Gewürzen wie Oregano und Rosmarin ist, dass diese auch konservierende
Wirkungen haben.
Bei Käse ist das Reformulieren jedoch schwierig. „Salz ist hier für die
Struktur verantwortlich“, so Vetter. Reduziert man Salz, wird der Käse
weicher, was etwa bei Hartkäse unerwünscht ist. In Brot und Wurst kommen
Ersatzstoffe wie Magnesiumchlorid schon heute zum Einsatz. Da es nicht nur
salzig sondern auch bitter schmeckt, kann es jedoch nicht das ganze
Natriumchlorid ersetzen. Des Weiteren können Geschmacksverstärker und
sogenannte taste enhancer, Geschmacksbooster aus dem Labor also, die
Rezeptänderungen übertünchen.
Doch der Verbraucher reagiert sensibel auf künstliche Zusatzstoffe, er
verlangt zunehmend das clean label. Als Alternative wird darum auch an
anderen Verfahrensweisen geforscht. So kann etwa der Einsatz von
Salzkristallen dazu führen, dass der Geschmackseindruck trotz halbierter
Menge gleich bleibt. Am MRI experimentiert man auch mit einem
Hochdruckverfahren, das dazu führt, dass man in Kochschinken und Würsten
weniger Salz braucht. Mit dem Hochdruck verändern sich die Zellstrukturen,
was die Haltbarkeit verlängert und den Geschmack quasi natürlich verstärken
könnte.
## Industrielle Transfette
In Sachen Fett sind es vor allem die Transfette, die als
gesundheitsschädlich gelten. So finden sich schon heute in keinem
Nestlé-Produkt mehr industrielle Transfette aus teilgehärteten Ölen. Doch
auch die gesättigten Fettsäuren gelten als ungesund.
Darum versuchen MRI-Forscher Fett in Backwaren wie Berliner durch Rapsöl zu
ersetzen. Davor muss es aber stabilisiert und verfestigt werden. An
praktisch alle Forschungsprojekte schließt sich eine sensorische Bewertung
an. Bislang reformulierte Produkte treffen laut einer aktuellen Studie der
Université de Bourgogne nur selten den Geschmack der Verbraucher.
Trotz aller Bemühungen und Forschungen ist es jedoch vor allem für kleine
und mittelständische Unternehmen schwierig die Rezepturen zu ändern.
„Schließlich steigen die Produktionskosten um fünf bis 30 Prozent“,
schreibt Vetter. Damit der Geschmack der Verbraucher sich auch an die
niedrigeren Salz- und Zuckergehalte anpassen kann, wäre jedoch nur eine
großflächige Strategie erfolgversprechend.
Umstritten ist auch, ob die Menschen durch die Veränderung von Brot, Wurst,
Käse und Fertigprodukten wirklich gesünder würden. Yuan Ma, Epidemiologin
an der Queen Mary University in London ist zumindest von einer
Zuckereinsparung überzeugt: Sie hat kürzlich berechnet, dass eine
sukzessive Zuckerreduzierung auf 40 Prozent in Limonaden über 5 Jahre, 38
Kalorien pro Tag einspare. Auf ein Jahr gerechnet wäre das ein
Gewichtsverlust von 1,2 Kilogramm.
## Die Beweise fehlen
Dadurch gäbe es auch weniger Diabetes, vor allem bei Kindern, Jugendlichen
und Menschen aus prekären, sozialen Milieus. Laut
Weltgesundheitsorganisation würden drastische Salzeinsparungen zu 23
Prozent weniger Schlaganfällen und 17 Prozent weniger Herzkrankheiten
führen. Dagegen meint Jürgen König, Ernährungswissenschaftler an der
Universität Wien: „Die wissenschaftlichen Beweise für die
gesundheitsförderlichen Effekte einer Reformulierung sind nicht
ausreichend.“
Sophie Herr vom „Verbraucherzentrale Bundesverband“ unterstützt zwar die
Senkung von zu viel Fett, Zucker und Salz, warnt aber: „Der Einsatz von
Zusatzstoffen und deren Kombinationen muss dann von einer Risikobewertung
begleitet werden.“
Einig ist man sich, dass die Reformulierung nur eine von vielen Schrauben
ist, an denen man drehen muss. König meint etwa, dass vor allem die
Ernährungsbildung mehr gefördert werden müsse. Denn der informierte
Konsument treffe auch die richtigen Entscheidungen im Supermarkt.
22 Dec 2016
## AUTOREN
Kathrin Burger
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