# taz.de -- CSUler Weber über EU-Führungskrise: „Keine Koalition ohne Oberg… | |
> Manfred Weber ist einer der Überflieger der CSU – und trotzdem Anhänger | |
> von Angela Merkel. Ein Gespräch über Gefahren von rechts. | |
Bild: Flüchtlingscamp Idomeni, griechisch-mazedonische Grenze, März 2016. Das… | |
taz: Herr Weber, es gibt viel zu besprechen. Fangen wir mit Österreich an: | |
Sind Sie froh, dass jetzt ein Grüner in die Hofburg einzieht? | |
Manfred Weber:Ich bin froh, dass ein klarer Proeuropäer in die Hofburg | |
einzieht. Die Demagogen in ganz Europa können ihre kalt gestellten | |
Champagnerflaschenwieder wegpacken. | |
Trotzdem: Fast jeder Zweite hat für Norbert Hofer gestimmt. Auch im übrigen | |
Europa ist ein Rechtsruck festzustellen. | |
Wir haben insgesamt einen Ruck zu den Extremen. Das Flüchtlingsthema hat | |
natürlich vor allem den Vereinfachern im rechten Lager Zulauf beschert. | |
Deshalb geht aktuell die Hauptdynamik von ihnen aus. Aber es gibt auch | |
starke linke Bewegungen, die an ihren Rändern extremistische Ausprägungen | |
haben. Sie alle profitieren vom Wunsch der Menschen nach Halt – sei es bei | |
den Sozialsystemen oder auch bei der Frage der kulturellen Identität. | |
Was setzen Sie dagegen? | |
Wer den Willen hat, in der globalisierten Welt zu gestalten, der hat große | |
Chancen. Das müssen wir vermitteln. Deutschland ist da ein Vorbild. Wir | |
hätten heute nicht die wirtschaftliche Stärke und die hohen | |
Sozialstandards, hätte nicht Gerhard Schröder damals die nötigen | |
Entscheidungen getroffen. | |
Das heißt? | |
Das heißt, wir brauchen mehr Führung in Europa. Und da sehe ich vor allem | |
die Staats- und Regierungschefs in der Pflicht. Sie müssen Orientierung | |
geben. Helmut Kohl beispielsweise hat die Euro-Einführung als richtig | |
erkannt und ist dann vorangegangen. So etwas fehlt heute. Angela Merkel ist | |
da die positive Ausnahme. | |
In Frankreich hat der unbeliebteste Präsident aller Zeiten angekündigt, | |
sich nicht zur Wiederwahl zu stellen … | |
Eine sehr kluge Entscheidung. | |
Haben Sie die Hoffnung, dass andere Kandidaten Marine Le Pen besser Einhalt | |
gebieten können? | |
Die Chance besteht absolut. Wenn jetzt auch die Sozialisten mit Manuel | |
Valls einen starken Kandidaten ins Rennen schicken sollten, dann wird das | |
ein hartes Ringen zwischen den demokratischen Kräften geben. Und da wird es | |
Le Pen deutlich schwerer haben. François Fillon etwa zeigt großen Mut zu | |
Reformen. | |
Den hatte auch Matteo Renzi … | |
Das Referendum in Italien war eine innenpolitische Abstimmung über Renzi | |
und den Einfluss der Parteien. Wir sollten uns davor hüten, in Zukunft jede | |
Entscheidung in Europa immer gleich zur Entscheidung über Wohl und Wehe des | |
Kontinents hochzustilisieren. | |
Wie geht’s eigentlich nach dem Abgang von Martin Schulz mit dem | |
EU-Parlamentsvorsitz weiter? Sie wollen ja nicht. | |
Lassen Sie sich überraschen! Wir werden nächste Woche einen Kandidaten | |
nominieren. | |
Sie kennen Schulz aus nächster Nähe. Sollte er tatsächlich Kanzlerkandidat | |
der SPD werden, macht das die Sache dann schwerer oder leichter für die | |
Union? | |
Martin Schulz wird auf jeden Fall eine Bereicherung für die Bundespolitik. | |
Ich habe ihn als jemanden kennengelernt, der gern streitet, am Ende aber | |
immer lösungsorientiert ist. | |
Wie zuversichtlich gehen Sie in diesen Wahlkampf? | |
Ich freue mich auf den Wahlkampf. Ich glaube, es wird eine harte | |
inhaltliche Auseinandersetzung über die Zukunft des Landes geben. Und mit | |
Angela Merkel an der Spitze haben wir als CDU und CSU alle Chancen, die | |
Grundantwort zu geben – Vertrauen und Orientierung in unsicheren Zeiten. | |
Haben Sie ihr denn schon zu ihrer Wiederwahl gratuliert? | |
Selbstverständlich. Es ist ein ehrliches und gutes Ergebnis. Aber ihr ist | |
gelungen, mit einer starken Rede die CDU wachzurütteln. Das war das | |
richtige Signal zum Auftakt in den Wahlkampf. | |
Welche Schwerpunkte wird die CSU im Wahlkampf setzen? | |
Stabilität, Sicherheit und Identität. | |
Und die Obergrenze? | |
Die wird dabei auch wichtig sein. Für uns ist sie eine Vorbedingung für | |
eine Koalitionsvereinbarung. Wir müssen sicherstellen, dass wir | |
Hilfsbereitschaft praktizieren, aber mit Maß und Ziel. | |
Sie wissen aber schon, dass die CDU im Bundestag stärker vertreten sein | |
wird als die CSU? | |
Sicher. | |
Und Merkel hat gerade wieder bekräftigt, dass es mit ihr keine Obergrenze | |
geben wird. Sie wollen trotzdem diese eine Zahl zur Schicksalsfrage | |
erheben? | |
CDU und CSU sind sich in einer Fülle von Themenfeldern sehr nahe. Wenn es | |
dann punktuelle Unterschiede gibt, verkraften wir das. Das war in der | |
Vergangenheit so, das ist auch heute so. | |
Punktuelle Unterschiede sind das eine, Dogmatismus ist das andere … | |
Das ist kein Dogmatismus, sondern das ist uns und den Menschen in | |
Deutschland wichtig. Die unkontrollierte Massenzuwanderung wie im letzten | |
Jahr darf so nicht mehr passieren. | |
Genau das hat die CDU in Essen in ihren Leitantrag geschrieben … | |
Das ist gut, reicht aber nicht aus. Wir brauchen Klarheit und unser | |
Vorschlag dafür ist die Obergrenze. | |
Sie nennen die Obergrenze einen Vorschlag? | |
Ich formuliere es klarer: Es wird keine Koalition mit der CSU geben, ohne | |
dass eine Obergrenze verankert ist. Dabei bleibt es. Fixe Kontingente | |
würden uns zudem ermöglichen, stärker darauf zu achten, wen wir zu uns | |
holen. Ich plädiere für klare Kriterien. Letztes Jahr sind überwiegend | |
junge Männer gekommen, das sind nicht unbedingt die Hilfsbedürftigsten. | |
Und was machen Sie, wenn ausgerechnet der 200.001. der Hilfsbedürftigste | |
ist? | |
Das ist eine theoretische Debatte. Wir müssen den Mut haben, eine Grenze zu | |
nennen. Und um das noch mal klarzustellen: Wir reden von Flüchtlingen, die | |
aus sicheren Drittstaaten zu uns kommen, nicht von Asylbewerbern. Asyl darf | |
nicht limitiert sein. Aber nur ein sehr geringer Anteil sind Asylbewerber. | |
Flüchtlinge, die beispielsweise vor dem Bombenterror aus Aleppo fliehen, | |
kommen ja zunächst in einem sicheren Staat wie der Türkei an. Die Idee ist, | |
dass wir dann der Türkei einen Teil der Flüchtlinge mittels Kontingent | |
abnehmen und nach Europa holen. Und da sind wir wieder bei den Kriterien. | |
Gut, gehen wir mal davon aus, Sie überzeugen die CDU noch von der | |
Obergrenze. Sie brauchen aber noch einen weiteren Koalitionspartner. Wie | |
halten Sie’s eigentlich mit den Grünen? | |
Die Frage ist, von welchen Grünen wir reden. Herr Kretschmann stellt nur | |
eine sehr kleine Facette der Partei dar. Der wesentliche Teil der | |
Programmatik wird noch von Leuten wie Jürgen Trittin geprägt. Deshalb ist | |
Schwarz-Grün für uns keine Option. | |
Dann bleibt aber nicht mehr viel. Eigentlich nur die Fortsetzung einer | |
Großen Koalition … | |
Schauma mal. Wir kämpfen für eine bürgerliche Mehrheit. | |
Im Vergleich zu vielen Ihrer Parteifreunde polarisieren Sie wenig, äußern | |
sich differenziert und mögen sogar Angela Merkel – sind Sie sicher, dass | |
Sie in der richtigen Partei sind? | |
Absolut. Und wenn ich Sie erinnern darf: Ich bin mit einem ziemlich | |
anständigen Ergebnis zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt | |
worden. Die Frage nach dem Politikstil in Deutschland, die Sie ansprechen, | |
ist aber berechtigt. | |
Würden Sie sich denn manchmal eine andere Tonart in Ihrer Partei wünschen? | |
Insgesamt stimmt der Ton schon. Aber eines ist klar: Wir dürfen nie den | |
Sound oder die Argumentationsschemata von Populisten übernehmen. | |
Und doch haben Sie sich gefreut, als ausgerechnet Andreas Scheuer zu Ihrem | |
Nachfolger als Parteichef der CSU in Niederbayern gewählt wurde? | |
Andreas Scheuer macht als Generalsekretär einen guten Job. Es gibt | |
verschiedene Typen, und das braucht eine Volkspartei wie die unsere. | |
Haben Sie eigentlich ministriert? | |
Natürlich. | |
Und Sie sind Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Tut es | |
weh, dass es derzeit immer wieder Kritik vonseiten der Kirchen an Ihrer | |
Partei gibt? | |
Ich nehme es sehr ernst. Deshalb müssen wir uns auch immer vergewissern, | |
dass der Ton stimmt. Ehrlich gesagt, würde ich mir aber manchmal in der | |
politischen Debatte noch mehr von den Kirchen wünschen. Nach dem | |
Karfreitagsurteil habe ich beispielsweise wenig von ihnen gehört. | |
Markus Söder findet, die Kirchen sollten weniger Politik machen … | |
Ich wünsche mir das glatte Gegenteil. Die Beiträge von Kirchen und Christen | |
zur politischen Debatte sind extrem wertvoll. | |
Horst Seehofer wünscht sich ein starkes Alphatier in Berlin. Sie hätten die | |
Voraussetzungen … | |
Besten Dank, aber Brüssel ist politisch eine absolute Top-Ebene. Und auch | |
dort muss die CSU stark sein. | |
Sie werden nicht für den Bundestag kandidieren? | |
Nein. Mein Platz ist in Brüssel. | |
Aber wer soll’s denn sonst machen? Horst Seehofer kann ja nicht ewig den | |
Libero der CSU spielen … | |
Der Parteivorsitzende hat angekündigt, sich dazu über Weihnachten Gedanken | |
zu machen. | |
Seinem Argument, dass es in Berlin im Wahljahr einen Spitzenpolitiker der | |
Partei, möglichst den Vorsitzenden, braucht, können Sie aber folgen? | |
Ja. Und eine Aufgabenverteilung in der CSU passt in die Zeit. In einer | |
immer heterogener werdenden Gesellschaft wird es nur noch mit mehreren | |
Köpfen und verschiedenen Typen möglich sein, die breite Bevölkerung | |
anzusprechen. Ich sehe auch derzeit niemanden, der ad hoc die | |
Gesamtverantwortung von Horst Seehofer übernehmen könnte. | |
Markus Söder wüsste da jemanden… | |
Davon bin ich überzeugt. Ich denke dennoch, dass der Teamansatz der | |
richtige ist. | |
8 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
## TAGS | |
Manfred Weber | |
CSU | |
Europäisches Parlament | |
Flüchtlingspolitik | |
Rechtsruck | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Martin Schulz | |
EU | |
CDU | |
Martin Schulz | |
Beitrittsverhandlungen | |
Horst Seehofer | |
Schwerpunkt Angela Merkel | |
Kanzlerkandidatur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Münchner Bierzeltrede von CDU und CSU: Mundwinkel zeigen fast nach oben | |
Bei ihrem Aufritt in Trudering machen Seehofer und Merkel alte Konflikte | |
vergessen. Für Ärger sorgen stattdessen „Hau ab!“-rufende AfDler. | |
Kommentar Einigkeit von CDU und CSU: Das Dilemma der CSU | |
In der Union herrscht Harmonie. Denn mit Martin Schulz ist vorstellbar | |
geworden, was lange undenkbar war: eine Regierung ohne CDU/CSU. | |
CDU/CSU und ihre Spitzenkandidatin: Merkel macht's offiziell nochmal | |
Die Union hat sich zusammengerauft – und Angela Merkel zur | |
Spitzenkandidatin gekürt. Doch der Schulz-Effekt macht ihr zu schaffen. | |
Nachfolge von Martin Schulz: EVP-Chef Weber warnt vor Wortbruch | |
Die Europäische Volkspartei hat eine bisher geheime Vereinbarung | |
veröffentlicht, in der die Nachfolge von EU-Parlamentspräsident Martin | |
Schulz geregelt ist. | |
Syriza-Politiker über Linke und Europa: „Es fehlt ein gemeinsames Projekt“ | |
Giorgos Chondros fordert, dem rechten und neoliberalen Diskurs zu trotzen. | |
Die deutsche Linkspartei soll aus Solidarität mit Griechenland die | |
Machtfrage stellen. | |
Parteitag der CDU: Schicksal und Gemeinschaft | |
Wie es „Schicksalsgemeinschaft“ in den CDU-Antrag schaffte und was | |
Delegierte dazu sagen. Eine kleine Wortkunde. | |
Schulz-Nachfolge im Europaparlament: Überall nur Konservative | |
Schulz war der letzte wichtige Sozialdemokrat in Brüssel. Nun könnte ihm | |
ein CSU-Mann folgen – oder eine konservative Irin. | |
EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei: EU-Abgeordnete wollen Pause | |
Im Parlament der Europäischen Union mehren sich Stimmen, die einen | |
temporären Stopp der Gespräche mit der Türkei fordern. Wertlos, meint | |
Erdoğan. | |
Die Pläne Horst Seehofers: Er geht, er bleibt, er geht… | |
Am Rande des CSU-Parteitags geht es um ein Grundsatzprogramm. Und um viel | |
„Quatschi-Quatschi“ über die Nachfolge Horst Seehofers. | |
Kommentar Merkels Rückhalt in der CSU: Würdeloses Schauspiel | |
Mit der zögerlichen Unterstützung von Merkels Kandidatur buhlt Seehofer um | |
die Gunst der AfD-Wähler. Ob das Kalkül aufgeht, ist fraglich. | |
Erneute Kandidatur Merkels: Unterstützung aus der CSU wächst | |
Die CSU-PolitikerInnen Hasselfeldt und Huber sprechen sich dafür aus, dass | |
Angela Merkel erneut als Kanzlerkandidatin bei der Bundestagswahl antritt. |