# taz.de -- Berlins Finanzsenator im Interview: „Rot-Rot-Grün wird ein Refor… | |
> Kredite für den Schulbau, eine neue Personalpolitik für die Bürgerämter: | |
> Finanzsenator Kollatz-Ahnen (SPD) über die Haushaltspolitik der neuen | |
> Koalition. | |
Bild: „Ein Jahrzehnt der Investitionen“: Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahn… | |
taz: Herr Kollatz-Ahnen, die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen, am | |
8. Dezember soll der Regierende Bürgermeister gewählt werden. Welches | |
Signal geht Ihrer Meinung nach von Rot-Rot-Grün aus? | |
Matthias Kollatz-Ahnen: Ich gehe davon aus, dass Rot-Rot-Grün ein Signal | |
der Hoffnung sein kann und dass es ein Reformbündnis werden wird. Es ist | |
auch für Berlin eine neue Situation. Wenn wir es gut hinbekommen, dann geht | |
davon eine Hoffnung aus, die über Berlin hinausreicht. Dann ist es ein | |
Türöffner. Wenn wir es nicht so gut hinbekommen, kann es Türen auch wieder | |
verschließen. | |
Sind Sie auch persönlich zufrieden? Während der sechs Wochen dauernden | |
Verhandlungen haben Sie als Finanzsenator die Euphorie manchmal bremsen | |
müssen. | |
In Berlin gab es in den Koalitionsverträgen bisher immer generelle | |
Haushaltsvorbehalte. Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag haben wir | |
bestimmte Vorhaben von diesem Vorbehalt ausgenommen. Das gilt etwa für so | |
ehrgeizige Vorhaben wie die Schulsanierung. | |
Das kommt also, ob die Steuereinnahmen nun sprudeln oder nicht? | |
Die Einnahmen wachsen derzeit um etwa 700 Millionen im Jahr, und wir haben | |
uns auf einen Finanzrahmen verständigt, der bei 600 Millionen Euro im Jahr | |
liegt. Das wird zusätzlich ausgegeben. Wenn es weitere Projekte gibt außer | |
denen, für die jetzt kein Finanzvorbehalt vorliegt, müssen diese in den | |
Haushaltsberatungen besprochen werden. | |
Sie selbst haben mehrfach darauf hingewiesen, dass der Haushalt in Bezug | |
auf die Vorhaben, die in den Facharbeitsgruppen beschlossen wurden, | |
überbucht sei. Statt 600 Millionen im Jahr würde alles zusammen 2,8 | |
Milliarden jährlich an Ausgaben bedeuten. Wie viel von dieser Summe findet | |
sich nun in den sogenannten alternativen Finanzierungsmodellen, die nicht | |
im Haushalt stehen? | |
Es gibt Themen, bei denen wir gesagt haben, dass wir ausloten wollen, ob | |
wir unter dem Dach bestimmter landeseigener Betriebe die Möglichkeit einer | |
Kreditfinanzierung nutzen können. Das betrifft etwa die Krankenhäuser und | |
die Messe. Bei der Messe gibt es einen erkennbaren Investitionsbedarf. Da | |
spricht vieles dafür, dass man den Bedarf so darstellt, dass er von der | |
Messe auch wieder verdient wird. | |
Wie ist es mit dem Schulneubau? Wird der aus dem Haushalt bestritten oder | |
auch durch Kreditaufnahmen einer landeseigenen Gesellschaft? | |
Auch bei der Schulsanierung wird der größere Teil aus dem Haushalt | |
gestemmt. Das ehrgeizige Programm besteht aus drei Säulen. Die erste ist | |
der Unterhalt. Da erhöhen wir den Betrag, der notwendig ist, damit das | |
Gebäude in einem guten baulichen Zustand bleibt und nicht der nächste | |
Investitionsstau aufläuft. Das beläuft sich auf 84 Millionen im Jahr und | |
wird aus dem Haushalt bereitgestellt. | |
Und die zweite Säule? | |
Das ist der Sanierungsrückstau. Der beläuft sich auf eine Milliarde Euro. | |
Auch die wird aus dem Haushalt bestritten und – bis auf Ausnahmen – über | |
die Bezirke ausgegeben. | |
In welchem Zeitraum? | |
Das Schulsanierungsprogramm läuft bis 2025. | |
Macht also noch mal 100 Millionen im Jahr. Und Komponente drei? | |
Das ist dann der Neubau. Dafür gründen wir eine landeseigene Gesellschaft, | |
deren Aufbau aber zwei Jahre dauern wird. Also empfiehlt es sich auch da, | |
erst einmal zwei Jahre geradeaus zu fahren und das umzusetzen, was wir | |
gerade gut können, zum Beispiel die modularen Ergänzungsbauten. In Regie | |
des Landes sollen Schulbauten dann neu entstehen, wo wir größere Siedlungen | |
entwickeln. Das könnten zum Beispiel die landeseigenen | |
Wohnungsbaugesellschaften finanzieren, und das Land kauft die Schulen | |
anschließend mit einem Mietkaufmodell schrittweise zurück. | |
Das macht insgesamt? | |
Das ganze Schulprogramm kostet bis 2025 5 Milliarden Euro. 2 Milliarden | |
waren bisher schon geplant, das heißt, wir müssen noch 3 Milliarden | |
obendrauf packen. | |
Wie viel kommt davon aus dem Haushalt? | |
Der größere Teil. Es könnte sein, dass wir in dieser Wahlperiode etwa 300 | |
Millionen nicht aus dem Haushalt finanzieren. Und 1 Milliarde aus dem | |
Haushalt. | |
Die Opposition spricht in diesem Fall von Schattenhaushalten. Sehen Sie | |
einer möglichen gerichtlichen Überprüfung, wie sie die CDU auch bereits | |
angekündigt hat, gelassen entgegen? | |
Wenn eine landeseigene Gesellschaft ohnehin zwei Jahre braucht, bis sie | |
arbeitet, wäre eine gerichtliche Überprüfung sowieso erst 2019 ein Thema. | |
Aber ich hoffe, dass es gelingt, auch die CDU davon zu überzeugen, dass das | |
der richtige Weg ist. | |
Auf einen Nenner gebracht: Macht das Land Berlin mit Rot-Rot-Grün neue | |
Schulden? | |
Nein. Wobei man als Finanzsenator immer den Vorbehalt machen muss, dass es | |
auch wieder zu einer großen Krise wie 2009 kommen kann. Deshalb darf man | |
nie „nie“ sagen. Ansonsten: Nein, wir machen keine Schulden. Und wir | |
erhöhen auch keine Steuern außer der Zweitwohnungsteuer, aber das hat den | |
Hintergrund, dass wir wollen, dass sich die Leute in Berlin anmelden. | |
Aber Berlin hat noch immer einen Schuldenberg von fast 60 Milliarden Euro. | |
Jede Koalition gibt eine Grundrichtung vor. Die Grundrichtung von | |
Rot-Rot-Grün ist dem verpflichtet, was wir „ein Jahrzehnt der | |
Investitionen“ nennen. Aber das machen wir im Rahmen eines | |
Konsolidierungskurses. Wir tilgen jährlich 80 Millionen Euro Schulden. Ich | |
glaube, dass uns da ein ganz solider Entwurf gelungen ist. Nun müssen wir | |
ihn umsetzen. | |
Ist Ihnen manchmal angst und bange, wenn sie an Ihr Versprechen denken, | |
dass nächstes Jahr jeder innerhalb von 14 Tagen einen Termin im Bürgeramt | |
bekommt? | |
Ohne ehrgeizige Ziele erreicht man überhaupt keine. Das wird sportlich, | |
aber ich werde mich da mit großem Engagement drum kümmern. Wir haben schon | |
jetzt sehr viel bei der Personalausstattung in den Bürgerämtern getan. Die | |
Wartezeiten haben sich im Vergleich zu den Vorjahren bereits verringert. | |
Die Organisationsuntersuchung, die mein Haus angestoßen hat und die nun | |
auch von den Bezirken unterstützt wird, sagt, dass es jetzt nicht mehr an | |
der Zahl der Leute, sondern an der Organisation der Prozesse liegt. | |
Was wollen Sie tun? | |
Es gibt einen Vorschlag meines Hauses an den Rat der Bürgermeister, der | |
auch in den Koalitionsvereinbarungen steht. Wir wollen das Thema in Form | |
einer neuen Partnerschaft angehen. Wir wollen nicht zuerst zwei Jahre lang | |
über neue Gesetze oder eine Verfassungsänderung diskutieren, sondern wir | |
wollen jetzt schon partnerschaftlich mit den Bezirken Prozesse optimieren | |
und auch standardisieren. Das wird sicher auch die ein oder andere | |
IT-Investition erforderlich machen. Aber das Ziel steht. | |
Können Sie uns ein Beispiel nennen? | |
Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen. Wenn Sie in Wien auf die | |
Internetseite der Bürgerämter gehen, dann sehen Sie sofort, wie viel | |
Wartezeit sie an einem bestimmten Standort einplanen müssen. Wir wollen mit | |
den Bürgerämtern reden, ob sie nicht das Ticketsystem wieder ergänzend | |
einführen, sodass man auch ohne Termin dorthin gehen kann. | |
Und das zweite Beispiel? | |
Wer einen neuen Personalausweis mit Chip und PIN hat, sollte an einem | |
Terminal auf den Bürgerämtern oder zu Hause mit einem Lesegerät | |
Dienstleistungen ohne persönliches Erscheinen abrufen können. | |
Vergangene Woche hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben entschieden, | |
den Kaufvertrag für das Dragoner-Areal in Kreuzberg mit einem privaten | |
Investor aufzulösen. Ein Erfolg? | |
Ja. Diese Entscheidung war rechtlich geboten. Schließlich hatte der | |
Finanzausschuss des Bundesrats auf meinen Antrag bereits vor mehr als einem | |
Jahr, im September 2015, gegen den Verkauf gestimmt. Es war also nur eine | |
Frage der Zeit, dass der Vertrag rückabgewickelt würde. | |
Damit geht das Gelände wieder an den Bund zurück. Der hat schon mal | |
vorsorglich gesagt, dass es keine weiteren Kaufabsichten gibt. Geht Berlin | |
am Ende leer aus? | |
Das müssen wir sehen. Der Bund hatte sich jedenfalls vergangenes Jahr – | |
nicht zuletzt im Kontext der Flüchtlingssituation – verpflichtet, | |
Liegenschaften schnell und verbilligt für sozialen Wohnraum | |
bereitzustellen. Er hat sich selbst zum sozialen Wohnungsbau in wachsenden | |
Kommunen bekannt. Das Dragoner-Areal ist hier ein besonders gutes Beispiel. | |
Was wird aus dem Olympiastadion, wenn nach 2025 Hertha in ein neues Stadion | |
in Brandenburg ziehen sollte? | |
Zunächst versuchen wir mit vielen Fans zusammen, dafür zu sorgen, dass die | |
Hertha im Olympiastadion bleibt. Daran hat auch das Land ein großes | |
Interesse, auch aus finanzieller Sicht. Wenn wir dafür etwas tun können, | |
sollten wir das auch tun. | |
Die Stadionmiete ist gerade erhöht worden. | |
Es ist aber so, dass die Stadionmiete im Verhältnis zu dem, was das Land | |
für das Olympiastadion aufbringt, eine vergleichsweise moderate Miete ist. | |
Die Hertha hat in dieser Saison Erfolg, das finde ich toll. Aber wenn die | |
Miete mal abgesenkt wurde, als es der Hertha nicht ganz so gut ging, ist es | |
vielleicht sinnvoll, sie wieder zu erhöhen, wenn es ihr besser geht. | |
5 Dec 2016 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
Bert Schulz | |
Stefan Alberti | |
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