# taz.de -- Strategien gegen Rechtspopulismus: Die Suche nach dem Gegengift | |
> Was tun gegen Hate Speech? Darüber wird viel diskutiert. Der Historiker | |
> Timothy Garton Ash positioniert sich in seinem neuen Buch. | |
Bild: Strategie Nummer Drei: die juristische Regulierung, hier am Beispiel des … | |
Das sei Faschismus mit freundlichem Gesicht, raunte Filmemacher Michael | |
Moore jüngst in einem Tweet. Es war der Abend der Präsidentschaftswahlen, | |
kurz vor Bekanntgabe des Ergebnisses, als der Sieg Donald Trumps nicht mehr | |
abzuwenden war. Moore konnte nicht fassen, dass die „77 Prozent“ der | |
US-Bevölkerung, in die er in einer Kurznachricht wenig zuvor noch all seine | |
Hoffnungen gesetzt hatte, bestehend aus Frauen, Nichtweißen und jungen | |
Leuten unter 25 Jahren, die Wahl des republikanischen Populisten nicht | |
verhindern konnten. Die Mehrheit der Minderheiten war gescheitert. | |
Geht es um ein Gegengift zum Rechtspopulismus, stehen in den hiesigen | |
Debatten vor allem vier Strategien hoch im Kurs. Auch wenn sie zum Teil in | |
Kombination vorgeschlagen werden, sollte man sie erst einmal getrennt | |
diskutieren. | |
Sigmar Gabriels jüngster Vorstoß für mehr Respekt und Anstand in der | |
Gesellschaft darf getrost so verstanden werden, dass zumindest dieser | |
SPD-Politiker im kommenden Wahlkampf nicht zuerst auf soziale und | |
ökonomische Maßnahmen gegen die wachsende ökonomische Unzufriedenheit in | |
weiten Teilen der Bevölkerung setzen will. Obwohl diese Unzufriedenheit | |
häufig für die Beliebtheit rechtspopulistischer Parteien verantwortlich | |
gemacht wird, steht die entsprechende Strategie, nennen wir sie Nummer | |
eins, relativ schwach da. | |
Sehr viel mehr Widerhall finden andere Initiativen, und zwar in allen | |
politischen Lagern diesseits von AfD und CSU. Nummer zwei – mit Stichworten | |
wie den von Gabriel erwähnten oder „mehr Toleranz gegenüber Minderheiten“… | |
wird auf dem Gebiet der Zivilgesellschaft ausgetragen, auf dem des | |
Zusammenlebens, man könnte auch sagen: auf kulturellem Gebiet. Sie setzt | |
auf den kollektiven Aufschrei als Maßnahme im Kampf gegen herabsetzende | |
Rede jedweder Ausprägung. [1][Der Fall Oettinger wäre so ein Beispiel]. | |
## Reglementierung des „Sagbaren“ | |
Initiative Nummer drei hat sich das Gebiet von Recht und Gesetz ausgesucht. | |
Stichworte hier: Hate Speech verhindern, Gesetze verschärfen, den | |
Volksverhetzungsparagrafen konsequenter anwenden. | |
Häufig werden diese Strategien von denselben Leuten befürwortet, was daran | |
liegt, dass die Art und Weise, wie in einer Gesellschaft mit- und | |
übereinander gesprochen wird, als wesentlich angesehen wird für den Erhalt | |
des gesellschaftlichen Friedens. Sie tangieren daher stark das Feld der | |
Meinungsfreiheit. Denn sie zielen darauf, das, was „sagbar“ sein soll, zu | |
reglementieren. Nicht wenige versprechen sich davon einen Einfluss auf die | |
Zahl rassistischer Übergriffe einerseits und auf das Wahlverhalten der | |
Bevölkerung andererseits. Aber ist eine solche Einschränkung überhaupt | |
möglich in Zeiten des Netzes? | |
Der britische Historiker Timothy Garton Ash debattiert schon seit ein paar | |
Jahren mit einer größeren Gruppe von Wissenschaftlern und Netzaktivisten | |
über den Stellenwert der Redefreiheit vor dem Hintergrund der | |
Globalisierung. Nachverfolgen lässt sich das auf der Internetseite | |
[2][freespeechdebate.com]. Garton Ashs gerade erschienenes Buch | |
„Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt“ fasst die bisherigen | |
Ergebnisse zusammen. Im Internet, dort, wo andere eine Flut | |
unkontrollierter Äußerungen sehen, erkennt er in erster Linie Angriffe auf | |
die freie Rede, ausgeführt von kontrollwütigen Staatsregierungen, durch | |
große Anbieter wie Facebook mit ihren intransparenten Löschpraktiken oder | |
aber durch fanatisierte User, diejenigen etwa, die islamkritische | |
Karikaturen zu verhindern versuchen. Die Antwort auf autoritäre Eingriffe | |
können aber nicht weitere autoritäre Eingriffe sein. Denn, so Garton Ash, | |
es brauche „mehr Meinungsfreiheit von besserer Qualität, um in dieser | |
Welt-als-Großstadt gut zusammenzuleben“. | |
Eine Menge Verwirrung, so kann man bei ihm auch lesen, entsteht durch | |
national spezifische Definitionen, was unter freier Rede zu verstehen sei. | |
Allein schon, dass in den USA von freedom of speech die Rede ist, während | |
man hier von Meinungsfreiheit spricht, deutet auf starke Abweichungen hin. | |
Die traditionell besonders weit gefasste Vorstellung in den USA, festgelegt | |
im ersten Verfassungszusatz, verweist automatisch mögliche Einschränkungen | |
an Aushandlungsprozesse in der Gesellschaft. Das ist einer der Gründe für | |
die dortige Stärke der Political-Correctness-Bewegung, allerdings auch für | |
ihre starke Emotionalität und ihren moralisierenden Tonfall. | |
Eine Adaption für die deutschen Verhältnisse macht insofern wenig Sinn, als | |
hier gesetzlich, prominent mit dem Volksverhetzungsparagrafen, hinreichende | |
Instrumente zur Verfügung stehen, gegen gewalttätige Rede vorzugehen. | |
Derzeitige Versuche, Facebook in dieser Hinsicht zur Einhaltung deutscher | |
Rechtsstandards zu zwingen, machen eines deutlich: Es führt kein Weg daran | |
vorbei, in näherer Zukunft internationale Regelungen zu debattieren. Die | |
Initiative Garton Ashs ist ein Anfang. | |
Nicht unwichtig, da beides in den Debatten oft durcheinandergebracht wird: | |
Garton Ash plädiert eindringlich für eine Trennung von gefährlicher Rede | |
und Hate Speech. Wie sich in der Formulierung „von besserer Qualität“ schon | |
andeutet, meint er nämlich nicht, die Verbreitung anstößiger Inhalte sei im | |
Internet überhaupt nicht zu verhindern. „Viele Dinge, die umgangssprachlich | |
als Hasspropaganda bezeichnet werden, sollten auch weiterhin gesetzlich | |
verboten sein, weil sie nachweisbaren Schaden anrichten. Unter diese | |
Kategorie fallen gefährliche Rede, fighting words, direkte Belästigung, | |
Bedrohung und Einschüchterung.“ | |
Dass sich Einzelne oder Gruppen von einer Äußerung, einer Karikatur, einem | |
Videobeitrag oder einem Film verletzt fühlen, könne dagegen kein Kriterium | |
für Verbote sein. Gegen Hate Speech jedes Mal mit juristischen Mitteln | |
vorzugehen, strapaziere schlicht die Strafverfolgungsressourcen über. Was | |
aber dann? Die Idee ist so einfach, dass man sich fragt, warum es nicht | |
längst gang und gäbe ist: Garton Ash empfiehlt der Internetgemeinde, sich | |
gegen Beleidigungen oder Schmähungen einfach ein dickeres Fell zuzulegen. | |
Bleibt noch Nummer vier der derzeit hoch gehandelten Strategien gegen | |
Rechtspopulismus. Auch sie ist stark von US-amerikanischen Debatten | |
inspiriert. Diese Strategie setzt auf den Zusammenhalt verschiedener | |
Minderheiten und ihrer zahlreichen Fürsprecher in Politik und Gesellschaft | |
und versucht, nach Rechtsaußen und zur AfD hin „klare Kante“ zu zeigen. | |
[3][Die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Carolin | |
Emcke] und der große Zuspruch, den es dafür gab, zeigen an, für wie | |
aussichtsreich sie von vielen gehalten wird. | |
Die Strategie hat jedoch drei Schwächen: Erstens überschätzt sie die | |
liberale Einstellung derer, die diesen Minderheiten – und auch den Frauen – | |
zugerechnet werden. | |
Zweitens spricht sie der gesellschaftlichen Polarisierung das Wort. Man | |
kann sich fragen, ob nicht schon durch das Label Rechtspopulismus eine | |
nicht unbeträchtliche Gruppe der hiesigen Bevölkerung, alle nämlich, die | |
eine liberale Flüchtlingspolitik kritisieren, leichtfertig zu illegitimen | |
Diskussionsteilnehmern erklärt wird. | |
Und drittens hat diese Strategie politische Argumente durch moralische | |
Urteile ersetzt. Wer immer wieder betont, dass es menschlich geboten sei, | |
mehr Zuwanderer in Deutschland aufzunehmen, will sich nicht mehr auf eine | |
Diskussion darüber einlassen, unter welchen Voraussetzungen es für eine | |
Gesellschaft politisch ratsam ist oder wann es aus rechtlichen Gründen | |
geboten ist, wie das beim Asyl der Fall ist. Über das, was menschlich | |
geboten ist, kann aber völlig unterschiedlich geurteilt werden. Niemand, | |
der dazu eine andere Haltung hat, wird durch Appelle erreicht. Und so | |
werden schließlich durch alle diese Strategien die demokratischen Prozesse | |
blockiert, für die sie doch eigentlich einstehen sollen. | |
18 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] /!5349927/ | |
[2] http://freespeechdebate.com/en/ | |
[3] /!5350609/ | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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