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# taz.de -- Neues Buch von Carolin Emcke: Verstörung und Kusshand
> Carolin Emcke wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
> ausgezeichnet. Nun ist ihr neues Buch „Gegen den Hass“ erschienen.
Bild: Carolin Emcke im Jahr 2013
Schlägt man nach der jüngsten Einheitsfeier Carolin Emckes Buch „Gegen den
Hass“ auf, kommen einem unwillkürlich die Bilder von Claudia Roths Reaktion
in Dresden in den Sinn. Nachdem die Pegida-Demonstranten das
Gesprächsansinnen der Grünen-Politikerin mit Gebrüll quittiert hatten und
sie schon am Weggehen war, warf sie den Demonstranten noch rasch eine
Kusshand zu.
Ein ähnlicher Geist treibt Emcke um bei ihrer essayistischen Entgegnung auf
den Rechtspopulismus, zu dem sie eingangs, natürlich noch in Unkenntnis der
Ereignisse vom 3. Oktober, bekennt: „Es verstört mich grundsätzlich der
Mechanismus der Ausgrenzung und die ungeheuerliche Aggression“. Ihre
Kusshände tragen Namen, sie lauten: Vielfalt, Leichtigkeit, Lust und
Fantasie.
Das Buch erscheint pünktlich zur Verleihung des Friedenspreises des
Deutschen Buchhandels an Carolin Emcke am 23. Oktober in der Frankfurter
Paulskirche. Es geht da nicht nur um Pegidisten und AfDler, sondern auch um
Dschihadisten und alle anderen, die der offenen Gesellschaft den Kampf
angesagt haben. Woher kommt deren Hass? Wie funktioniert er? Was kann man
dagegen tun?
Gegen das Opfergebaren und das „Verschlichten der Welt“, das sie bei
Fanatikern aller Couleur am Werk sieht, möchte Emcke genaue Analysen in
Stellung bringen. Und dafür holt sie weit aus. Man soll zunächst einmal
kapieren, wie Liebe funktioniert, wie Hoffnung und wie Sorge. Durch eine
Verkennung ihres Objekts nämlich. Und wie diese würden sich auch Hass und
Verachtung ihre Objekte zurechtschnitzen, seien dies Ausländer, Ungläubige
oder alle, die sexuell nicht der Norm entsprechen.
## Mix aus Ideologiekritik und Diskursanalyse
Das Handwerkszeug der 49-Jährigen, zusammengelesen an den Unis von
Frankfurt am Main und London sowie in Harvard, besteht aus einer eher
saloppen Mischung aus Ideologiekritik und Diskursanalyse. Lackiert wird mit
bildungsgesättigter Farbe: „So wie Titania nicht Zettel liebt, weil er so
ist, wie er ist, sondern weil die Wirkung des Zaubertranks sie verführt, so
hassen die Blockierer von Clausnitz nicht die Geflüchteten, weil sie so
sind, wie sie sind.“
Warum, so wundert sich Emcke rhetorisch über die Videoaufnahmen aus der
sächsischen Kleinstadt, habe sich die Wut gegen die in Bussen ankommenden
Geflüchteten gerichtet und nicht gegen diejenigen, die für die Schließung
ebenjener Fabrik verantwortlich waren, in der die Neu-Clausnitzer
untergebracht werden sollten. Verblendungszusammenhang 2.0 sozusagen.
Dem Rassismus, will sie weiter wissen, liege ein „Gefühl der Ohnmacht
gegenüber der sozialen Wirklichkeit“ zugrunde. Dabei hält sie es mit Didier
Eribon, der in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ über die Motive seiner
Front National wählenden Verwandten spekuliert, zu denen er seit
Jahrzehnten keinen Kontakt hat. Den Ort besucht hat Emcke nicht.
## Für das Unreine
Wie solche Befunde bleiben auch die Lösungsvorschläge im Ungefähren und
sind leicht abzunicken, allerdings nur für Gleichgesinnte. Fanatikern will
sie entgegengetreten durch „zivilgesellschaftlichen (und zivilen)
Widerstand gegen die Techniken des Ausgrenzens und Eingrenzens, gegen die
Raster der Wahrnehmung, die manche sichtbar und andere unsichtbar machen“,
aber auch durch ökonomische und soziale Interventionen. „Vor allem aber
braucht es ein Plädoyer für das Unreine und Differenzierte (…), eine Kultur
des aufgeklärten Zweifels und der Ironie“.
Wer Ironie oder Humor in ihren Texten sucht, hat seine liebe Müh. Ihre
journalistische Laufbahn kickstartete die in einem Hamburger Vorort
aufgewachsene Emcke 1998 beim Auslandsressort des Spiegels. Sie arbeitete
als Reporterin unter anderem im Kosovo, im Irak und in Afghanistan, bevor
sie 2006 freie Autorin und Publizistin wurde. Schon in ihrem ersten Buch,
„Von den Kriegen. Briefe an Freunde“, in dem sie über ihre Arbeit
reflektiert, klingt das Pathos an, das ihre Texte, auch ihre Kolumne in der
Süddeutschen Zeitung, in der sie zuletzt wieder und wieder für eine
Willkommenskultur eintrat, bis heute grundiert. „Am Anfang war nur
Sprachlosigkeit“, lautet der erste Satz, bezogen auf die Grausamkeit, die
sie während ihrer Reisen gesehen oder deren Zeugen sie interviewt hat.
Der hohe Ton, den Emcke anschlägt, ist der Holocaustliteratur entliehen.
„In der Tat wird dieser Essay (…) ähnlich argumentieren, wie Didi Hubermann
in seinem grandiosen ‚Bilder trotz allem‘ es für die Bilder aus Auschwitz
getan hat“, heißt es in „Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und
Gerechtigkeit“. Ihr Buch dreht sich wohlgemerkt auch um Themen wie
„liberaler Rassismus“ oder Islamfeindlichkeit.
## Andauernde Selbstverunsicherung
Sogar „Wie wir begehren“ (2013), der viel besprochene Coming-out-Bericht,
ist über weite Strecken in diesem Ton gehalten. Gleich zum Einstieg wirft
Emcke die Frage einer Schuld auf, „die sich nicht abtragen, nur ableben
lässt durchs Leben“. In diesem Fall empfunden von der Autorin, weil sie den
Selbstmord eines Klassenkameraden, von dem sie annimmt, er sei
wahrscheinlich schwul gewesen, nicht verhindern konnte.
Wie man überhaupt bei Emcke immer dem schreibenden Ich bei seinem Ringen
zusieht, das Richtige zu tun und die rechten Worte zu finden. „Ich kann nur
sagen, dass es ein Schreiben in dauernder Selbstverunsicherung ist wie das
Spazierengehen in Kindertagen, bei dem der Schulfreund in unregelmäßigen
Abständen einem von hinten mit leichtem Schwung die Füße wegschlug“, heißt
es in „Stumme Gewalt“. Darin machte sie sich 2008 zur Aussöhnung von
RAF-Tätern und Opferangehörigen Gedanken – 18 Jahre nach der Ermordung
ihres Patenonkels Alfred Herrhausen durch ein Kommando der RAF.
Sicher kann man fragen, ob es in Ordnung ist, den vermeintlichen
Repräsentanten eines verhassten Systems umzubringen. Klar kann man
überlegen, ob die universelle Verwendung des Schwuchtel-Schimpfworts auf
deutschen Schulhöfen Jugendlichen das Coming-out schwer macht. Aber Emcke
sieht bei beidem und noch dazu bei Hate-Speech im Internet genauso wie beim
Anzünden von Flüchtlingsheimen oder dem Charlie-Hebdo-Attentat
unterschiedslos dieselbe „illiberale Mechanik von
willkürlich-absichtsvoller Inklusion und Exklusion“ am Werk.
Unterm Strich führt sie dadurch alle möglichen Erscheinungsformen von
Rassismus, Islamismus und Dschihadismus, Schwulen- oder
Lesbendiskriminierung unterschiedslos mit einer Todesdrohung eng. Und da
wäre doch jetzt eine „Kultur des aufgeklärten Zweifels“ mal wirklich
angebracht.
21 Oct 2016
## AUTOREN
Christiane Müller-Lobeck
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