Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jarett Kobeks „Ich hasse dieses Internet“: Alles scheiße, kauf…
> Dieses Buch wird gerade schwer bejubelt als energiegeladenes Pamphlet.
> Unser Autor sieht das ein bisschen anders.
Bild: Leute wie er, sagt Jarett Kobek, vertreiben die Freaks und Kreativen: Ube…
Dieser Text handelt von einem schlechten Roman. Dass er schlecht sei,
behauptet der schlechte Roman, von dem dieser Text handelt, sogar selbst.
Das macht ihn aber auch nicht besser.
Auch könnte man sagen, er sei nicht nur langweilig und dramaturgisch
fragwürdig, sondern moralisch schlecht. Wenn Sie den schlechten Roman
kaufen, von dem dieser Text handelt, machen Sie nur seinen Autor reicher.
Denn am Ende ändert sich ja doch nichts. Sie wissen schon: am ganzen
Scheißsystem und so.
Metakritik ist aber auch voll doof, weil man mit ihr jede Kritik
kaputtmachen kann. Obwohl sie bei einem derart selbstreferenziellen und
„Schaut her, ich hab recht“ schreienden Buch wie Jarett Kobeks „I Hate the
Internet“ naheliegt.
Aber blenden wir das mal aus. Kobek, der schon einen Roman über Mohammed
Atta geschrieben und in der kalifornischen Techszene gearbeitet hat,
veröffentlicht ein Buch, das ebenjene zum Teufel wünscht – und das
Scheißsystem gleich mit.
## Klingt nach schlechten Witzen
Sein Titel „I Hate the Internet“ wurde indes schlecht übersetzt: „Ich ha…
dieses Internet“. Das klingt nach schlechten Witzen: Schatz, ich habe
dieses Internet gelöscht. Oder nach Kulturpessimismus: In diesem Internet
geht es beängstigend wenig um Thomas Mann. Und um mich, den
Großfeuilletonisten.
Dass er ein schlechter Roman ist, steht drin, muss so – als Gegenstück zum
gemeinhin verfassten guten Roman. Der sei belanglos, meint Kobeks Erzähler,
dazu da, die kulturelle Dominanz der Oberschicht zu bewahren, und hätte bei
der Thematisierung dessen, was schiefläuft, versagt. Oder es erst gar nicht
mitbekommen.
Was aus Erzählersicht dafür sorgt, dass das, was schiefläuft, schiefläuft:
die Degradierung von Frauen zu Objekten männlicher Begierde, das fehlende
Bewusstsein über die Verbrechen der Kolonialzeit, die fundamentale
Ungleichheit, der noch immer grassierende Rassismus, Hass und Angst
gegenüber Queeren, das ungerechte Wirtschaftssystem, der Aufstiegsmythos
des American Dream, die Tristesse der Vorstädte, der Terror der Werbung,
Fernsehen, das Twittern übers Fernsehen, Indigokinder (obwohl, nein, die
kamen gut weg), die Folgenlosigkeit der Vergehen der Reichen,
Deregulierung, die Aufwertung des Kapitals gegenüber der Arbeit, die
Prekarisierung und Ausbeutung der Massen durch die Privilegierten, Hass und
Angst im Internet, das Quälen von Ziegen durch Sekten, das Internet.
Kurz: alles scheiße. Ihr eigentlich auch, weil ich, Kobek, erst kommen und
euch das aufschreiben musste. Mein schlechter Roman: „die einzige Lösung“.
Selbstverständlich hat er einen schlechten Stil. Das soll die
aufmerksamkeitsdefizitäre Internetsprache nachbilden.
Kurze, einfache Sätze.
Häufige Absätze.
Sinnlose Listen. Diffusion und Chaos. Endlose Wiederholung. Der ständige
Versuch, witzig zu sein. Das ständige Scheitern des ständigen Versuchs,
witzig zu sein.
## Blasse Figuren
Internetkonzerne und Start-ups gentrifizieren in den Jahren 2013 und 2014,
in denen die Handlung spielt, die einstige Freakoase San Francisco kaputt
und vertreiben die Kreativen und Ausgegrenzten.
Ihr Erfolg basiere, ähnlich wie der der Comicbranche, auf Heeren billiger
Arbeiter*innen und williger Konsumkonformist*innen, die für scheinbar
kostenlose Dienste permanent Daten preisgäben und ohne Geld Inhalte
produzierten, die zumeist jeglicher Ansprüche an die Intelligenz derer
entbehrten, die sie rezipieren. Die Chefs seien dumme, verklemmte und
selbstbesoffene Nerds, die, wie unermüdlich behauptet wird, (wirklich)
schlechte Scifi- und Jugendbücher läsen, oder die Werke der libertären
Pseudophilosophin Ayn Rand.
Genau wie alle anderen Figuren wirkt ihre Darstellung aber blutleer und
blass. Das einzig Schlimme, was der Protagonistin Adeline, Comiczeichnerin
und reiche Erbin, zustößt, die nach einem unbemerkt aufgezeichneten
Vortrag, in dem sie Madonna und Beyoncé desavouiert, anfängt zu twittern,
ist, dass sie anfängt zu twittern. Was ihr sogar Spaß macht, trotz
Shitstorms und Beleidigungen. Sie steht über allem so drüber, dass es
nervt.
Etwas mitnehmen tut sie dann doch, dass auch ihre Freund*innen wegziehen
müssen, früher oder später. Für Christine ist das ein echtes Problem, da
sie als Transsexuelle nicht überall auf ein gewaltfreies Leben hoffen kann.
## Digitaler Marxismus
Das Leben Ellen Flitcrafts, das einen separaten Handlungsstrang bildet,
wird wegen ins Netz gestellter Sexbilder zur Hölle. Aber selbst das bleibt
abstrakt.
Statt Spannung aufzubauen, werden mit enzyklopädischem Eifer und dem
Impetus eines YouTube-Kommentators sämtliche Verfehlungen der weißen,
männlichen, heterosexuellen Mittel- und Oberschicht (und aller anderen
Bevölkerungsgruppen) rekonstruiert, gesammelt und geordnet.
Herauskommt digitaler Marxismus. Über die Massen der Geknechteten breiteten
die Internetjünger einen Schleier aus Popstars, Pornos, Peergroup-Pressure:
„Nichts zeugt so sehr von persönlicher Einzigartigkeit wie 500 Millionen
von Sklaven zusammengebaute Elektrogeräte. Willkommen in der Hölle.“
Fortschritt, Demokratie, Weltverbesserung, Erlösung durch Technik – alles
bloß geschickte, unkritisch übernommene Narrative. Ein Cover des Time
Magazine von 2013, das im Buch abgebildet ist, wirkt geradezu grotesk: „Can
Google solve death?“
Doch normale Menschen ohne Ruhm und Macht und Geld könnten dort kaum etwas
bewirken – und seien in Wahrheit nur Vehikel zur Generierung von
Werbeeinnahmen.
## Twittern über das N-Wort
Wenn sie im Medium des Kritisierten erfolge, wirke Kritik kontraproduktiv.
Die wahren Gegner*innen gerieten aus dem Blick: die Hoodie-Reichen des
Silicon Valley zum Beispiel, die nach dem Prinzip „teile und herrsche“
potenziell endlosen Streit stifteten. Je emotional bedürftiger und
hassvoller, desto besser: „Google verdiente Geld an Diskussionen darüber,
ob Präsident Obama in der Hölle Schwänze lutschte, während er Amerika
zugrunde richtete. Mit gelegentlich eingestreuten Kommentaren dazu, ob
Schwarze %&$#?@e waren.“
Adeline twittert also auch über das N-Wort. Kobeks Alter-Ego-Figur im Buch
wettert leidenschaftlich gegen „Sprachpolitik“. Zu Beginn des Buchs steht
nicht umsonst eine (ironische) „Triggerwarnung“.
Aber was folgt aus dieser profunden wie polemischen Kritik? Revolution?
Halluzinogene Drogen?
Lebkuchenverse wie: „Das Räderwerk des Kapitalismus kann man nicht
aufhalten. Aber man kann das nervige Körnchen Sand im Getriebe sein.“
Wieder Eigenlob, diesmal durch die Alter-Ego-Figur: „Büchermenschen sind
die Einzigen, die halbwegs interessant gegen das Internet angehen könnten!“
Und Pragmatismus: „Ihr müsst nur in jedem Browser einen Adblocker
installieren!“
## Dem Scheißsystem entgeht auch er nicht
So ergibt auch die Übersetzung Sinn: „Ich hasse dieses Internet“ – ein
anderes, ohne Werbung und böse Konzerne, das wär ja irgendwie voll dufte.
Die Rückkehr zum verlorenen Ursprung.
Und dann? Was, wenn alle das Buch gelesen und tatsächlich Adblocker
installiert haben, das Internet besser und Kobek etwas reicher ist als
jetzt? Hier – haha, doch Metakritik! – bleibt seine sonst schonungslose,
als Roman getarnte Analyse stehen.
Doch dem Scheißsystem entgeht auch er nicht. Auf der Rückseite der
deutschen Ausgabe steht sogar ein Hashtag, unter dem man über das Buch
twittern kann. Was wohl ironisch sein soll – und es auch ist, nur eben
anders als erhofft.
Also los, verändern Sie! Entrüsten Sie! Und kaufen Sie Konsumkritik! 350
Seiten Selbsterhebung! Welterklärung! Erlösung von dem Bösen!
Gönnen Sie sich hart. Aber vielleicht doch lieber halluzinogene Drogen.
Woher? Schauen Sie doch mal in diesem Internet.
Wo denn sonst?
24 Oct 2016
## AUTOREN
Adrian Schulz
## TAGS
Internet
Twitter / X
Buch
Juli Zeh
Roman
Coming-Out
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Internet
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Leere Herzen“ von Juli Zeh: Verschwurbelter Kulturpessimismus
Sie erzählt nicht unspannend. Aber Juli Zeh entwirft in „Leere Herzen“ ein
so überkonstruiertes Szenario, dass es kaum ernstzunehmen ist.
Fil Tägerts Buch „Mitarbeiter des Monats“: Früher war ich ein Idiot
Antinostalgie, Sex und viel Punk – Fil Tägerts neuer Roman wirft Fragen
auf. Etwa: Sollten Männer wirklich ihre präsenilen Penispossen
aufschreiben?
Kolumne Jung und Dumm: Coming out of a twentysomething
Ich bin 20 geworden. Auf dem Bild schaue ich ernst, vielleicht auch eher
ausdruckslos. Und dann muss ich noch etwas sagen.
Neues Buch von Carolin Emcke: Verstörung und Kusshand
Carolin Emcke wird mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
ausgezeichnet. Nun ist ihr neues Buch „Gegen den Hass“ erschienen.
Margarete Stokowski zu „Untenrum frei“: „Jetzt bin ich selber so dreist“
Die Autorin Margarete Stokowski erzählt, warum sie Kolumnen früher zu krass
fand und Janosch sie dann doch nicht aufgeklärt hat.
Digitale Fährtenleserin Ingrid Burrington: Das Internet sehen
Die Künstlerin Ingrid Burrington untersucht Spuren der technischen
Infrastruktur – auch in ihrer Ausstellung „Reconnaissance“ in Berlin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.