| # taz.de -- Fil Tägerts Buch „Mitarbeiter des Monats“: Früher war ich ein… | |
| > Antinostalgie, Sex und viel Punk – Fil Tägerts neuer Roman wirft Fragen | |
| > auf. Etwa: Sollten Männer wirklich ihre präsenilen Penispossen | |
| > aufschreiben? | |
| Bild: Das ist auch Punk! | |
| Es muss eine schreckliche Zeit gewesen sein. So mit blutenden Schwänzen und | |
| altem Sperma im Pornokino. Mit Kloppereien und unerfüllten Begierden, die | |
| bis zur Spitze des eigenen Iros hinaufreichen. Mit Ökos, die nerven, und | |
| Scheiße neben dem Damenklo. | |
| Nick, der eigentlich Thomas heißt, ist neunzehn Jahre alt, genau wie ich | |
| also, als er 1985 durch Westberlin deliriert. Er arbeitet bei McDonald’s, | |
| aber nie als „Mitarbeiter des Monats“, das gibt es da nicht. Gleichwohl | |
| heißt so der neue Roman des Cartoonisten und Bühnenunterhalters Fil Tägert, | |
| der eigentlich Philip Tägert heißt, und 1985, ebenfalls neunzehn, für zwei | |
| Jahre weggezogen war, ansonsten aber auch durch Westberlin delirierte; sich | |
| vornahm, ein Buch zu schreiben, und in einem halben Jahr kein Wort zu | |
| Papier brachte; in Hamburg jobbte, bei Macces auch er; sich auszog, als | |
| Aktmodell, „so schielemäßig“, wie er am Telefon sagt. „Da war ich, der | |
| junge Dürre, und ein alter Dicker. Uns beide mochten die am liebsten.“ | |
| Solche Situationen gibt es auch im Buch, allerdings zieht sich hier der | |
| junge Mann nicht aus, sondern gehört zur Partei der Schauenden und malt | |
| begierig eine nackte Frau. | |
| Doc Martens, Irokesenschnitt, „Clockwork Orange“-Kostüme. Irgendwas mit | |
| Punk ist das, was Nick und seine schrägen Freunde so machen, die Burner | |
| genannt werden, Speichel, La Boum, Rocky, Milbe, Bernd, und – wovon | |
| eigentlich? – leben, immer pleite und sich zur Not auch mit | |
| Psychopharmakatests da durchschlagend. „Linientreu“, so heißt ihr Club: | |
| „Ins Linientreu gingen die Leute, die sich was in die Haare machten. Das | |
| waren unsere Leute.“ | |
| ## „Die 80er waren tausendmal schlimmer“ | |
| Die sind „New Romantics“, „Skins“ und „Rockabillys“, warten jeweils… | |
| ihre Lieder, tanzen, warten wieder: „Zwischen den verschiedenen Gruppen | |
| fand kein wie auch immer gearteter Austausch statt. Es gab allerdings einen | |
| Vietnamesen, der manchmal Rockabilly war und manchmal Neuer Romantiker. | |
| Vielleicht gab es aber auch zwei Vietnamesen.“ | |
| Es passiert also recht viel, aber auch immer das Gleiche. Hauptsache: „Die | |
| Zeit verging. Das ist eigentlich das Beste an der Zeit: dass sie vergeht.“ | |
| Bloß schnell raus da, erwachsen ist die Hölle, weiß jeder, der es machen | |
| musste. „Egal, wann und wo: Der junge Mann ist irgendwie immer fehl am | |
| Platz“, sagt Tägert und verweist auf einen Ausspruch bei Shakespeare, in | |
| „The Winter’s Tale“: „Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen 10 u… | |
| 23, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit; denn dazwischen ist | |
| nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen und | |
| balgen.“ | |
| „Wir waren damals zu jung und eigentlich nur Punks in Ermangelung eines | |
| besseren Wortes. Damals sind ja schon die ersten Punks in Werbungen | |
| aufgetreten und so“, erzählt Fil. Die Jugendbewegungen, die danach kommen, | |
| vermögen ihn nicht zu begeistern. „Es war einfach’ne Scheißzeit“, finde… | |
| im Rückblick: „Ich wurde wegen des Irokesen mit Steinen beworfen, von Omas | |
| verflucht. Überhaupt gab es damals auch viel mehr Nazis. Die Achtziger | |
| waren tausendmal schlimmer als heute.“ | |
| Immer wieder geht Nick also zurück zu seinem Store und führt Gespräche mit | |
| dem durch die McDonald’s-Karriere kaputten Chef Czewinski („‚Herr Nick, S… | |
| sind so gut zu mir‘“), an deren Ende er zur Bestrafung zum Schichtleiter | |
| befördert oder gekündigt wird und dann doch wieder erscheinen soll: „Du | |
| fliegst bei McDonald’s nicht raus.“ Die Hygiene ist miserabel, das | |
| Pommesproletariat der Kolleg*innen zerstritten: das stotternde | |
| Kollegenschwein Rainer gegen Murat, der immer wieder schwört: „Ich töte | |
| ihn.“ Der geile Eugen, der von scheint’s jeder Frau die vulvatische | |
| Viskosität weiß. Skinhead Doris, die was von Nick will. | |
| ## Jacky streichelt lieber ihre Katze | |
| Von seiner Zeit als Aktiver berichtet Fil: „Die Schwester meiner Freundin | |
| hat damals sogar mit Wallraff zusammengearbeitet. Die wussten natürlich, | |
| dass er kein Türke ist, aber das hat da niemanden groß gewundert, dass es | |
| halt ’nen deutschen Typen gibt, der tut, als wäre er ein Türke.“ Zum | |
| Nick-Cave-Konzert zieht er wie sein Held Nick eine McDonald’s-Uniform an. | |
| Punk oder Stockholm? | |
| Doris ist die einzige Frau, die was von ihm will, allen andern läuft er | |
| hinterher, erfolglos. Egal ob er Bilder mit seinem Blut malt, seine Band | |
| „Adolf And The Peoples“ zu straffen versucht („ ‚Lass uns erst mal einen | |
| baun‘, schlug La Boum vor“), oder seinen Schwanz gesund operieren lässt, | |
| das, natürlich, auch mit Blut. Die schöne, dürre Jacky streichelt zum | |
| Beispiel lieber ihre Katzen, die sie „Kackärsche“ nennt, während Nick für | |
| Wochen bei ihr schläft. Aber wie aussichtslos es auch sein mag, er gibt die | |
| Hoffnung nicht auf und verliert sich zuverlässig in Tagträumereien. | |
| Hach, Bonjour Tristesse, den Leser grüßt die gute alte Zeit, als es noch | |
| „150-Quadratmeter-Altbau, vier Meter hohe Decken, 250 Mark Miete, direkt am | |
| U-Bahnhof Voltastraße“ gab, dafür aber auch „das schmallippig | |
| selbstbesoffene Lächeln, das die Hippies immer parat hatten, die leider | |
| auch auf allen Feten rumfleuchten und mit dem sie nur zu sagen schienen: | |
| ‚Ich bin total zufrieden mit mir, meinen Socken und meinen parfürmierten | |
| Arschlochtees, und wer das nicht geil findet, den brauch ich nicht als | |
| Bruder.‘ “ | |
| Was würde Nick wohl heute machen? „Jura“, antwortet Fil Tägert wie aus der | |
| Fritteuse geschossen. „Er wäre Vater und würde im Prenzlauer Berg wohnen. | |
| Würde wahnsinnig viel Sport machen und nicht akzeptieren, dass er 50 ist.“ | |
| Tägert hat dazu schon eine Geschichte angefangen, berichtet er, der | |
| ebenfalls dort, in Prenzlauer Berg, wohnt. „Ich bleibe hier, bis meine | |
| Tochter erwachsen ist, danach ziehe ich weg“, erklärt er. Zum Schreiben sei | |
| es ihm hier zu homogen, „wenn ich ins Café gehe, sehe ich immer schon mich | |
| selbst da sitzen.“ Inspiration gebe es hier kaum für den Autor der | |
| Geschichten von gestern. | |
| ## Fils vs. Sloterdijks Penis | |
| Doch selbst erklärte Antinostalgiker*innen und radikale Gegenwartsfans | |
| sollten keine Scheu vor diesen Mecces-Memoiren haben. Fil Tägerts erster | |
| Roman, „Pullern im Stehn“, der vor zwei Jahren erschien, war die | |
| Aufarbeitung seiner traumatischen Außenseiterjugend im Märkischen Viertel, | |
| die Geschichte eines unsportlichen Jungen. „Zuerst dachte ich: Scheiße, der | |
| ist total misslungen. Doch dann habe ich viel positive Reaktionen bekommen, | |
| das hat mich ermutigt“, so Fil. | |
| Mit dem aktuellen Buch sei er zufrieden, „zufriedener als mit dem ersten“. | |
| Mittlerweile arbeite er schon am dritten Roman, außerdem an | |
| Horrorgeschichten, das sei noch spannender: „Ist so ein bisschen wie | |
| bei’nem Rentner, der jetzt sein Hobby entdeckt.“ Und dessen Held einfach | |
| nicht erwachsen wird und sucht und nicht findet. Um sein naives Losertum | |
| legt sich eine absurde Fastfoodpoetik, die gleichwohl kein „literarisches | |
| Fastfood“ (Löffler über Murakami) ist,und mit der er lakonisch vom | |
| Scheitern erzählt, was manchmal witzig ist, vor allem aber nicht nervt. | |
| Selbst nicht beim Augenzwinkern. Anders als etw der Shortlist-Roman „Skizze | |
| eines Sommers“, der in genau demselben Jahr spielt, nur wenige Kilometer | |
| südöstlich, in Potsdam. | |
| Außerdem gibt es tolle Gewaltszenen, aber das hatte ich, glaube ich, schon | |
| geschrieben. | |
| Klar: Es wäre sicher auch spannend, solche Geschichten verschwendeter (und | |
| damit natürlich toller) Jugend von älteren Damen der Bühnenunterhaltung | |
| oder des Comics oder der Gefriergefrostung zu lesen. Alte Männer, die über | |
| ihre postjuvenilen Penispossen schreiben, das hat schon ein Geschmäckle | |
| irgendwie. Andererseits: Sie haben ja so sehr gelitten. | |
| Allemal besser also das, als wenn sie es über ihre präsenilen Penispossen | |
| tun wie Peter Sloterdijk (denn darum geht es ja letztlich, selbst wenn er | |
| über Frauen schreibt: um seinen Penis). Das stinkt dann wie im Pornokino. | |
| Da gibt es keinen Punk, keine unschuldige Unbeholfenheit, keine Ideen oder | |
| Burger oder Pommes. Noch nicht einmal günstige Altbauwohnungen. Nur Ekel | |
| und Grauen. | |
| 28 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Adrian Schulz | |
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