| # taz.de -- Koalitionsverhandlungen in Berlin: Voller Energie voraus | |
| > SPD, Linke und Grüne vereinbaren in einer Nachtsitzung wichtige | |
| > ökologische Ziele, darunter den Ausbau des Radverkehrs und des | |
| > Stadtwerks. | |
| Bild: Lange Verhandlungsnacht hinter sich: Antje Kapek und Andreas Geisel (im V… | |
| Man sieht den drei VerhandlungspartnerInnen die anstrengende Nacht an: | |
| Zwölf Stunden haben SPD, Linke und Grüne am Freitag zusammen gesessen und | |
| über weitreichende Themen wie Radverkehr und Stadtwerk, Rekommunalisierung | |
| und Bürgerbeteiligung geredet. | |
| Überwiegend mit Erfolg, wie Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) | |
| am Samstag morgen beim langen Pressestatement betont: Es habe wenig | |
| Kontroversen in den für das Profil einer künftigen linken Koalition | |
| wichtigen Politikbereichen gegeben. Dass die Verhandlungen bis zwei Uhr am | |
| Samstagmorgen gedauert haben, liege laut Geisel daran, dass die vielen | |
| wichtigen Themen intensiv und grundlegend diskutiert und dabei auf ihre | |
| Umsetzbarkeit auch im Detail geprüft würden. | |
| Einig sind sich die drei etwa beim Thema Energiepolitik – und sie haben in | |
| den nächsten Jahren dabei Großes vor. So soll das bisher wegen seiner | |
| wenigen Kompetenzen als „Bonsai-Stadtwerk“ verspottete Projekt massiv | |
| erweitert werden und eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielen. Das | |
| Stadtwerk müsse künftig mit Strom handeln können, solle wenn nötig mit bis | |
| zu 150 Millionen Euro Eigenkapital ausgestattet werden, und: „Jeder | |
| Berliner soll Kunde werden können“, berichtet Michael Efler als Vertreter | |
| der Linkspartei. | |
| Das Stadtwerk, letztlich entstanden aus einem knapp gescheiterten | |
| Volksentscheid 2013, war vor allem beim Noch-Koalitionspartner CDU verhasst | |
| und deshalb von der Union klein gehalten worden. Nun soll es, wenn das Land | |
| wie von Rot-Rot-Grün am Freitag verabredet die Strom- und Gasnetze | |
| zurückkaufen kann, deren Betrieb übernehmen. | |
| Auch die vollständige Rekommunalisierung der Gasag wird – sollte sich das | |
| rechnen – von der künftigen Koalition angestrebt, betont Efler. Der | |
| geplante Rückkauf des vor 20 Jahren privatisierten Gasversorgers war | |
| allerdings erst vor wenigen Monaten am Widerstand der aktuellen Eigentümer, | |
| darunter Vattenfall, gescheitert. Efler gab sich dennoch optimistisch, dass | |
| der Plan im zweiten Anlauf erfolgreich sein könne. | |
| Zudem seien die Grundlagen für den Ausstieg aus dem Verbrauch von Kohle | |
| gelegt, erklärt für die Grünen deren Fraktionsvorsitzende Antje Kapek. Bis | |
| 2030 will das Land auf Steinkohle für die Stomerzeugung verzichten; bereits | |
| im kommenden Jahr ist Schluss mit der Verbrennung von Braunkohle. Kapeks | |
| Fazit: „Berlin wird grüner.“ | |
| Bereits am Freitagabend hatten die VerhandlungspartnerInnen bekannt | |
| gegeben, dass sie in der Verkehrspolitik weitgehend Übereinstimmung erzielt | |
| hätten. Für die Grünen wichtigster Programmpunkt: Die Forderungen des | |
| Fahrrad-Volksentscheids werden übernommen, erklärte Kapek. Auf allen | |
| Hauptstraßen soll es bald Radwege geben, dazu mehr mehr Fahrradstraßen und | |
| entschärfte Kreuzungen. | |
| Die Aktivisten des Radentscheids, die im Frühsommer in wenigen Wochen knapp | |
| 90.000 Unterschriften für ihre Ziele gesammelt hatten, zeigten sich voll | |
| zufrieden. „Wenn das Gesetz bis März kommt, gibt es keinen Grund | |
| weiterzumachen“, kündigte Initiator Heinrich Strößenreuther an. | |
| „Die wachsende Stadt Berlin kann nicht allein über das Auto wachsen“, hatte | |
| Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) betont. Deswegen sollen auch | |
| Straßenbahnlinien ausgebaut und in den Westen der Stadt geführt werden. | |
| Konkret seien die Vorstellungen bereits für vier Linien, weitere sollten | |
| geplant werden. Doch es gibt auch Zugeständnisse an die Nutzer von PKW: Vom | |
| Vorschlag, innerhalb des S-Bahnrings eine Parkraumbewirtschaftung | |
| einzuführen, nehmen SPD, Linke und Grüne Abstand. Das werde zunächst nur | |
| geprüft, sagte Kapek. | |
| Entschärft wurde der Streitpunkt A 100: An der Verlängerung der | |
| Stadtautobahn werden die Koalitionsgespräche anders als 2011 diesmal nicht | |
| scheitern. SPD, Linke und Grüne sind hier zwar weiter unterschiedlicher | |
| Meinung. Für den möglichen Koalitionsvertrag einigten sie sich aber darauf, | |
| die Autobahn am Treptower Park so abzuschließen, dass man sie hier auch | |
| beenden könnte. Weitere Bauabschnitte sollen in den nächsten fünf Jahren | |
| erst einmal nicht geplant werden. Die Arbeiten für den aktuellen Abschnitt | |
| laufen allerdings auch noch bis 2020. | |
| Konsens herrscht dageben bei dem Plan, die Straße Unter den Linden ab etwa | |
| 2019 weitgehend autofrei zu halten und in eine Fußgängerzone zu verwandeln. | |
| Hier herrsche akuter Handlungsbedarf, erklärte Geisel. Denn die | |
| überirdischen Bauarbeiten für die U-Bahnlinie 5 sollen Ende 2018 fertig | |
| sein, im Jahr darauf könnten die Bahnhöfe eröffnen. Wolle man die | |
| Straßenführung ändern, müsse das nun angestoßen werden. | |
| Hintergrund sind die steigenden Besucherzahlen in der Stadtmitte durch das | |
| voraussichtlich ebenfalls 2019 fertige Humboldt Forum. Statt wie bisher von | |
| 1,5 Millionen Touristen geht Geisel dann von 3 Millionen aus. „Und die | |
| müssen ja auch wo hin.“ Deswegen soll, von einer oder vielleicht auch zwei | |
| Querungen abgesehen, Unter den Linden künftig vom Brandenburger Tor bis zum | |
| Humboldt Forum künftig frei von Individualverkehr sein. | |
| „Ein Attraktion mehr“ werde das, verspricht Geisel. Und ein | |
| symbolträchtiges Zeichen von Rot-Rot-Grün ist es noch dazu. Vor dem | |
| U-Bahnbau nutzten täglich rund 30.000 Autos die Verbindung, derzeit sind es | |
| noch rund 8.000. Sie sollen dann über die Leipziger Straße im Süden und die | |
| Hannoversche Straße im Norden umgeleitet werden. | |
| Doch es herrschte nicht nur eitel Sonnenschein in den Verhandlungsräumen im | |
| Roten Rathaus während dieser Freitagsschicht. So besteht offener Dissens | |
| bei der Frage, ob die bisher unbebaute und nicht an den Nahverkehr | |
| angeschlossene Elisabeth-Aue in Nord-Pankow ein Wohnquartier für 10.000 | |
| Menschen werden soll, wie es Senator Geisel sich wünscht. | |
| Man habe intensiv darüber diskutiert, so Geisel. Ergebnis: Für den dortigen | |
| Bau von Wohnungen gebe es gute Gründe; dagegen aber auch. Klarer | |
| formulierte es Kapek: „Wir sind der SPD stark entgegen gekommen, dennoch | |
| haben wir hier keine gemeinsame Basis erarbeiten können.“ | |
| Am Montag gehen die Koalitionsverhandlungen weiter, wohl auch mit dem Thema | |
| Elisabeth-Aue. Und mit weiteren, tendenziell konfliktträchtigen Themen, wie | |
| dem Wohnungsbau allgemein, der Mietpolitik – und damit letztlich der | |
| zentralen Frage, wie die Verdrängung von Menschen an den Stadtrand gebremst | |
| werden kann. | |
| 5 Nov 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bert Schulz | |
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