# taz.de -- Rot-Rot-Grün in Berlin: Das wird kein Spaß | |
> Kommenden Donnerstag soll der Koalitionsvertrag stehen: Welche Lehren für | |
> Rot-Rot-Grün in Berlin kann man aus der USA-Wahl ziehen? | |
Bild: Protest von Berliner US-Amerikanern gegen Donald Trump. | |
Zwei epochale Ereignisse innerhalb von zehn Tagen: Am Dienstag wurde Donald | |
Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt, am kommenden Donnerstag soll – | |
wenn die Verhandlungen wie geplant über die Bühne gehen – die erste | |
rot-rot-grüne Koalition in Berlin stehen. Beides sind Zäsuren, über ihren | |
jeweils engeren Kontext hinaus. Und beides lässt sich in Verbindung setzen. | |
Die Wahl von Trump ist das vorerst letzte und stärkste Signal, dass | |
bestimmte Gruppen von Menschen, von der die Mehrzahl der Publizisten, | |
Wissenschaftler, Politiker etc. es nicht mehr erwartet hat, die Geschicke | |
der Politik entscheidend bestimmen können. Vermeintliche Underdogs, | |
enttäuscht von der Politik und bisweilen ihrer eigenen Lage, sagen „denen | |
da oben“ mal so richtig, wo es langgeht; sie wählen jemanden, der offenbar | |
glaubhaft vermittelt hat, dass er ganz anders sei – obwohl er auch aus dem | |
Establishment massiv unterstützt wurde. Kein Wunder, dass die Berliner AfD | |
die Wahl Trumps bejubelt. | |
Weder der Einzug der AfD ins Abgeordnetenhaus mit 14 Prozent noch der Sieg | |
Trumps waren eine Überraschung, sondern immer eine mögliche Option. Viele | |
haben dennoch gehofft, dass es nicht so kommen werde. Doch hoffen reicht | |
nicht: Wie kann eine linke Koalition die Underdogs wieder ansprechen, ohne | |
paternalistisch und heuchlerisch zu wirken? | |
## Harte Opposition | |
Machen wir uns nichts vor: das wird schwierig, und diese Legislaturperiode | |
– wenn sie Rot-Rot-Grün durchsteht – wird kein Zuckerschlecken. Die | |
Erwartungen der eigenen Klientel sind groß. Und allen Abgrenzungen zum | |
Trotz muss man davon ausgehen, dass die Opposition aus | |
Tegel-Propaganda-FDP, frustrierter CDU und tiefrechter AfD sich als Block | |
gegen die „Linksfront“ inszenieren will. Dabei gilt, wie Trump- und | |
AfD-Erfolg gezeigt haben: Schimpfen und Poltern ist nicht nur einfacher, | |
sondern oft auch erfolgreicher. | |
Dieser Demagogie entgegentreten kann Rot-Rot-Grün nur mit politischen | |
Inhalten für Gruppen auch jenseits ihrer Wählerschaft, speziell für | |
tendenzielle Nicht- und Protestwähler. Die Umsetzung einer radikalen Rad- | |
und Verkehrspolitik, ein Test für die Abgabe von Cannabis oder eine | |
ausgewogene Mieten- und Baupolitik sind Grundlagen für eine linke Politik | |
in Berlin. Eine über eine Legislaturperiode hinausgehende gemeinsame | |
Perspektive können SPD, Grüne und Linke aber nur entwickeln, wenn sie im | |
Bereich der Sozialpolitik und der Integration Fortschritte erreichen. | |
Trotz der wirtschaftlichen Verbesserungen verglichen mit den 90er und 00er | |
Jahren ist Berlin eine arme Stadt – nur fällt es in der Innenstadt nicht | |
mehr so auf. Dass jedes dritte Kind auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen ist, | |
dass sich ein guter Teil der (migrantischen) Jugendlichen auf ein Leben in | |
prekären Jobs eingerichtet hat, dass Armut innerhalb der Familie vererbt | |
wird – damit darf sich eine linke Regierung nicht abfinden. | |
## Ein Plan für die Zukunft | |
Sie muss da durch schnelle, weitreichende (und wohl nicht ganz billige) | |
Maßnahmen dagegenhalten, auch symbolisch. Etwa, indem eine Senatorin oder | |
ein Senator allein für diesen Bereich zuständig ist. Indem Politiker, die | |
authentisch vermitteln können, dass Aufstieg sozial wie finanziell in | |
dieser Stadt möglich ist, sich für diese Klientel engagieren. Nur wenn am | |
Donnerstagmorgen die Entscheidung in diese Richtung gefallen ist, kann man | |
sagen: Rot-Rot-Grün hat Zukunft. | |
Denn die Politik – auch das hat die Wahl von Donald Trump final bewiesen – | |
hat zuletzt deutlich weniger Spaßfaktor als noch in der Ära Wowereit. Die | |
Verteilungskämpfe werden härter, die Auseinandersetzungen schärfer geführt. | |
Das ist auch richtig, weil die soziale Spaltung wächst und weil Reibung die | |
Profile schärft. Das heißt aber auch: Rot-Rot-Grün darf nicht als | |
Spaßprojekt verstanden werden, das nur mit Wohlfühlthemen punktet. | |
Zumal in zehn Monaten Bundestagswahl ist. Auch wenn es rechnerisch derzeit | |
unwahrscheinlich wirkt: Die Ablösung der „Großen“ Koalition macht auf | |
Bundesebene genauso Sinn wie auf Landesebene. In Berlin haben SPD und CDU | |
die Stadt in einen kaum mehr zu ertragenden Stillstand versetzt. Die Stadt | |
da herauszureißen, ihr die ihr eigene Dynamik wieder zu gönnen und die | |
krassen Widersprüche anzugehen: Wenn das gelänge, wäre es ein weiteres | |
Argument, auch im Bund den Aufbruch zumindest zu versuchen. | |
Und so letztlich vielleicht sogar auf ganz großem politischem Parkett | |
Donald Trump entgegentreten zu können. | |
13 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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