# taz.de -- Gastkommentar zu Rot-Rot-Grün in Berlin: Mehr APO wagen | |
> Grüne und Linke wollen Demokratie auch jenseits der Parlamente fördern. | |
> Die Berliner Initiativen sollten sich deswegen zu einem Netzwerk | |
> zusammenschließen. | |
Bild: Stärker vernetzen sollen sich die außerparlamentarischen Inis, hier der… | |
Oft sind soziale Bewegungen der Zeit weit voraus, aber zuweilen pennen sie | |
gewaltig. Es gehört fast zum guten Ton in Berlin, von Rot-Rot-Grün nichts | |
zu erwarten – weder in der Mieten- noch in der Verkehrs-, Bildungs- oder | |
Kulturpolitik. Das ist ja so falsch nicht! | |
Aber zuweilen gibt es symbolische Blümchen, die sollte man schon pflücken | |
wollen: Rot-Rot-Grün steht unter erheblichem Legitimationsdruck. Die | |
Koalitionspartner müssen etwas vorweisen. Grüne und Linke planen deshalb, | |
etwas zu mehr Demokratie in den Koalitionsvertrag zu schreiben. Sie haben | |
erkannt, dass ein wenig mehr Demokratie in den Bürgerbegehren, | |
Transparenzversprechen und fleißigen Untersuchungsausschüssen zum BER der | |
verstockten Demokratie wenig auf die Beine helfen. | |
Kurzum: Grüne und Linke wollen zu mehr Demokratie ermuntern, die | |
Zivilgesellschaft stärken, demokratische Experimente in Maßen zulassen. | |
Michael Müller, der neue und alte Regierende Bürgermeister, ist, so hört | |
man auf den Verhandlungsfluren, eher noch zurückhaltend. | |
Es geht um eine Stabsstelle/einen Beauftragten für „Bürgerengagement und | |
Demokratie“ oder eine Stelle für „Mehr Demokratie“. Die soll sehr autonom | |
und nur formal dem Regierungschef Müller unterstellt sein. Diese soll mit | |
fünf bis sechs Mitarbeitern ausgestattet sein – ähnlich dem Modell bei | |
Kretschmann in Stuttgart –, und über einen Etat von 10 Millionen verfügen. | |
Sie hat vielfältige Aufgaben der Förderung von demokratischen Initiativen | |
der Zivilgesellschaft, soll Volksbegehren, Stadtteilinitiativen, | |
Zukunftswerkstätten, Öffentlichkeitskampagnen unterstützen, aber auch | |
Expertisen erstellen. | |
Umstritten ist, wer das Personal an der Spitze auswählt: ein | |
Koalitionsausschuss, der Regierende Bürgermeister – oder, was einer kleinen | |
Sensation gleichkommen würde: das Netzwerk der außerparlamentarischen | |
Initiativen. Noch ist in den Koalitionsverhandlungen nichts abschließend | |
entschieden – es köchelt und man kämpft. | |
Wie immer das auch ausgeht: Die Erwartungen sollten nicht zu hoch gesteckt | |
sein. Aber Politik als Symbol hat auch seine eigene Dynamik. Denn wie immer | |
knospenreich das Blümchen „Mehr Demokratie wagen“ ausfallen wird, klar ist | |
schon jetzt, dass die sozialen Bewegungen in Berlin auf eine solche | |
Innovation wenig vorbereitet sind. | |
Bisher galt: Jede Bewegung, ob Instandbesetzerbewegung, Mieterbewegung, | |
Stadtteilbewegung oder Rekommunalisierungsbewegung Wasser, machte ihr Ding | |
nach besten Kräften. Alle Versuche, über ein „Stadtforum von unten“, einen | |
permanenten Ratschlag oder das Berliner Sozialforum ein lockeres, aber | |
handlungsfähiges Netzwerk zu schaffen, das die jeweiligen Dynamiken | |
verstärkt, waren zum Scheitern verurteilt. Die Bewegungen und vor allem das | |
Personal waren überfordert. | |
Aber jetzt steht durch die grün-linke Initiative möglicherweise ein | |
Gelegenheitsfenster offen, das es zu nutzen gilt. Hamburg hat eindrucksvoll | |
vorgemacht, dass so ein Bewegungsnetzwerk möglich ist – organisatorisch, | |
dezentralisiert und sogar bei den Konflikten zumindest teilweise | |
erfolgreich. | |
Berlin sollte rasch von den Erfahrungen in Hamburg, Stuttgart, Köln, Wien | |
und London profitieren und mit einem „Netzwerk i. G.“ zeigen, dass es einen | |
machtvollen Bewegungs- und Demokratieakteur gibt. Wer mehr direkte | |
Demokratie fordert, muss auch selbst demokratisch legitimierte | |
außerparlamentarische Strukturen schaffen. | |
So gesehen liegen die Hausaufgaben für die außerparlamentarischen | |
Initiativen auf der Hand: Aufbau eines Netzwerkes für außerparlamentarische | |
Initiativen (Napi). Mieterinitiativen, Haus der Demokratie, Wassertisch, | |
Mehr Demokratie e. V., Bürgerinitiativen, Bürgerrechts- und | |
Menschenrechtsgruppen, Ökoprojekte, Jugendorganisationen, | |
Flüchtlingsinitiativen, Sozialinitiativen, Attac, Greenpeace, | |
Interventionistische Linke (IL) und viele andere mehr müssten sich zu einem | |
Ratschlag treffen und über eine vorläufige Aufgabenstellung, Organisations- | |
und Personalstruktur entscheiden. Eine eher kleine Erfahrungskonferenz mit | |
anderen Bewegungsnetzwerken wäre gut – und müsste wieder gelernt werden. | |
Kurzum: Napi ist das Gebot der Stunde. | |
15 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Grottian | |
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