# taz.de -- Debatte Niedergang von Attac: Erstarrte Bewegung | |
> Misstrauen gegen die traditionellen Eliten ist weit verbreitet. Doch es | |
> fehlt auch an Vertrauen in soziale Bewegungen. Was bleibt? Ratlosigkeit. | |
Bild: Die Reste von Attac. Hier bei einer Demo gegen das Bankensystem in Paris | |
Es ist still geworden um Attac. Vorbei scheinen die Zeiten von 2007 in | |
Heiligendamm, in denen die NGO eine wichtige Scharnierfunktion zwischen | |
radikalen und weniger radikalen Gruppierungen gegen die neoliberale | |
Ausrichtung der Globalisierung hatte. | |
Die Mittlerrolle platzte bei der großen und gewaltgetränkten Demonstration | |
in Rostock – und fegte mit wenigen Ausnahmen die Attac-Gründergeneration | |
aus ihren Ämtern. Im Gedächtnis geblieben ist seitdem eine sinkende | |
Präsenz: ein vorzeigbares Bankentribunal in Berlin, eine gelungene | |
Antiprivatisierungskampagne gegen die Bahn; ein harmloses und nach der | |
Bundestagswahl 2013 beerdigtes Bündnis mit Gewerkschaften und | |
Sozialverbänden zur „Umfairteilung“; eine gescheiterte Verbindung zur | |
Occupy-Bewegung, deren Reste man in der Blockupy-Bewegung gegen | |
Austeritätspolitik und Finanzmärkte zu verbinden suchte: mit mäßigem Erfolg | |
in der Mobilisierung, einer grundgesetzwidrig eingekesselten Demonstration | |
in Frankfurt bis zu den zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen um die | |
Einweihung der EZB 2015 in Frankfurt. | |
Attac ist im Rahmen des sehr engen Blockupy-Bündnisses seitdem ohne ein | |
erkennbares Anschlussprojekt. Die Internationalisierung mit Spanien, | |
Italien und Griechenland hatte eher bescheidene Erfolge. Gegen TTIP, Tisa | |
und Ceta gelang dann allerdings die Mobilisierung in einem beeindruckend | |
breiten Bündnis mit 250.000 TeilnehmerInnen in Berlin. | |
Die letzte schlagzeilenträchtige Meldung zu Attac war dann die vorläufige | |
Aberkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt Frankfurt. Sie wird | |
vermutlich von den Gerichten gekippt werden und hat Attac bisher nicht | |
erkennbar geschadet. Die Mitglieder zahlen ihre Beiträge, mit 170 Lokal- | |
und ca. 40 bundesweiten Arbeitsgruppen sieht sich Attac einem bunten Feld | |
von vielen Aufgaben verpflichtet. So bunt, dass eine wirkliche | |
Prioritätensetzung schwer erkennbar ist. Attac zerfließt. Die Mischung aus | |
NGO, sozialer Bewegung und Netzwerk: schwierig. | |
## Nicht mehr ernst genommen | |
Aber warum ist es so still um Attac geworden? Könnte es sein, dass der | |
„repräsentative Absolutismus“ (Wolf-Dieter Narr) die sozialen Bewegungen | |
nicht mehr sehr ernst nehmen muss und dass diese Bewegungen selbst in | |
erheblichen strukturellen Schwierigkeiten stecken? Und besteht das | |
demokratische Problem darin, dass zwar der Verdruss an der repräsentativen | |
Demokratie gewaltig angewachsen ist, aber die außerparlamentarischen | |
Bewegungen daraus keinen Honig ziehen können? | |
Der deutsche Michel und die deutsche Michaela vertrauen immer weniger den | |
traditionellen Eliten – aber der Zulauf aus der jüngeren Generation zu den | |
sozialen Bewegungen verebbt. So spannend scheint Attac bei den jungen | |
Leuten nicht mehr zu sein: kein Wunder bei einem Medienkonsum von täglich 8 | |
bis 10 Stunden der 16- bis 29-Jährigen. Das Gefährliche ist das doppelte | |
Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger – man vertraut weder Bänkern, | |
Politikern und Gewerkschaftern noch den Akteuren aus den sozialen | |
Bewegungen von Attac, Campact oder der Anti-AKW-Bewegung. Kurz: Man bleibt | |
bestenfalls ratlos hocken. | |
## Drohgebärde der Zivilgesellschaft | |
Attac ist eine der Drohgebärden der Zivilgesellschaft. Der Name steht für | |
unbequeme und herausfordernde Fragestellungen. Von bald 30.000 Mitgliedern | |
sind vielleicht 1.000 wirklich aktiv. Das sind in der Mehrheit Alte, Männer | |
– und kaum Migranten. Mittelschicht. Die „Ratschläge“ von Attac, immerhin | |
dem wichtigsten demokratischen Gremium, werden in den letzten Jahren von | |
150 bis 250 Mitgliedern besucht. Das intellektuelle Niveau ist bescheiden | |
geworden. Die Geschäftsstelle ist mit ihrer Alltagsarbeit ausgelastet, da | |
bleibt wenig Raum für Inspiration und Vision in der Professionalität. | |
Genauer: Es gibt eine Unterprofessionalisierung in den Sachthemen und eine | |
Erschöpfung in der Routine. Der wissenschaftliche Beirat spielt nur eine | |
geringe Rolle. Er ist mit den Kampagnen wenig verzahnt und eine bunte Schar | |
kluger Individualisten mit wenig kollektiven Anstrengungen. | |
Der Koordinierungskreis erstarrt in Routine. Zukunftsdebatten über die | |
Rolle von Attac: weitgehend Fehlanzeige. Aufarbeitung von erfolgreichen und | |
missglückten Kampagnen: Fehlanzeige. TTIP ist das einzig vorzeigbare | |
Projekt, aber unter den Anti-TTIPlern sind Attacies eine nicht mehr sehr | |
einflussreiche Gruppe. In vielen Großstädten und Regionen ist Attac keine | |
mitprägende Kraft: in Berlin eher ein gehobenes Kaffeekränzchen, in | |
Stuttgart ohne Rolle beim Widerstand gegen das Bahnhofprojekt S21. Positive | |
Beispiele: Augsburg, Hamburg, Köln. | |
Attac hat bis heute nicht analysiert, warum es so viele gute eigene | |
Aktivisten verloren hat. Attac hat ein eklatantes Nachwuchsproblem. Schüler | |
und Studierende waren einmal eine feste Bank für Attac – passé. Zivilen | |
Ungehorsam trägt man kämpferisch auf den Lippen, aber wenn es ernst wird, | |
sind die Hosen nicht nur wegen der Gemeinnützigkeitsfrage eher gestrichen | |
voll. Kurz: Attac ist kreuzbrav, man betrachtet es schon als großes Glück, | |
vor dem Kanzleramt von den Medien wahrgenommen zu werden. Das Projekt | |
Finanztransaktionsteuer liegt brach. Der Versuch, Attac durch eine | |
unabhängige und kritische Untersuchungsgruppe evaluieren zu lassen, um zum | |
Beispiel endlich zu wissen, was die Basis wirklich denkt, wird mit spitzen | |
Fingern angefasst. | |
## Das Potenzial | |
Es wäre schade, wenn das Schiff Attac sinkt. Denn das Potenzial von | |
Aktivisten in der Fläche ist und bleibt unerreicht. Allein die | |
Abertausenden von Bildungsveranstaltungen leisten mehr als alle | |
Volkshochschulen. | |
Attac wird mit seinem widersprüchlichen, vielfältigen Potenzial gebraucht. | |
Aber es muss sich einen Kopf über veränderte Prioritäten machen. Die | |
Demokratiefrage gehört wie die Flüchtlingsproblematik ins Zentrum von Attac | |
und wird an der Basis auch schon heftig diskutiert. Es geht um eine | |
überfällige strategische Debatte; um Klarheit über Kampagnen, eine | |
Offensive für mehr aktive Schüler und Studierende sowie einen Schub für | |
mehr kompetente Professionalität – das wäre schon was. | |
9 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Peter Grottian | |
## TAGS | |
Schwerpunkt TTIP | |
Schwerpunkt Occupy-Bewegung | |
Globalisierungskritik | |
Attac | |
Gastkommentar | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt TTIP | |
Yanis Varoufakis | |
Schwerpunkt TTIP | |
Schwerpunkt Hambacher Forst | |
Gemeinnützigkeit | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gastkommentar zu Rot-Rot-Grün in Berlin: Mehr APO wagen | |
Grüne und Linke wollen Demokratie auch jenseits der Parlamente fördern. Die | |
Berliner Initiativen sollten sich deswegen zu einem Netzwerk | |
zusammenschließen. | |
Blockupy reagiert auf Brexit: Dann knallt das halt | |
Als Antwort auf die europäische Krise plant das linke Blockupy-Bündnis | |
Großproteste in Berlin. Es fordert eine soziale Antwort auf die Krise | |
Europas. | |
CDU Rheinland-Pfalz zu TTIP: Nein, äh, ja | |
In Rheinland-Pfalz kündigt die Partei eine Ablehnung des | |
Freihandelsabkommen an, meint diese aber nicht ernst. Was denn nun? | |
Varoufakis’ paneuropäische Bewegung: Die Bündelung demokratischer Kräfte | |
Yanis Varoufakis will eine Bewegung formen, um den „Zerfall Europas“ zu | |
stoppen. Nationalismus sei keine Lösung. | |
Protest gegen Freihandelsabkommen: Links der Mitte | |
Wissenschaftler haben Anti-TTIP-Demonstranten befragt und herausgefunden: | |
Die Mehrzahl ist hoch gebildet und protesterfahren. | |
Konflikt um Hambacher Forst: Schlichtung mit Joschka Fischer? | |
RWE und Waldbesetzer suchen Wege aus der Gewalt – doch beide Seiten sind | |
skeptisch. Unterdessen ermittelt die Staatsanwalschaft. | |
Datenschutz und Gemeinnutz bei Campact: „Empörungsmaschine“ in der Kritik | |
NGOs kämpfen für ein neues Gemeinnützigkeitsrecht. Nun melden sich ihre | |
Gegner. Im Fokus steht vor allem das Kampagnenportal Campact. | |
COP21-Demos in Paris: Die gegen den Gipfel tanzen | |
In Paris protestiert die Zivilgesellschaft zum Abschluss des | |
Weltklimagipfels in großem Stil – trotz des offiziellen | |
Demonstrationsverbots. |