# taz.de -- Essay 70 Jahre Freie Universität Berlin: Hochschule in der Isolati… | |
> Jahrzehnte lang haben Lehrende und Studierende in die Stadt | |
> hineingewirkt. Das ist vorbei. Die Folge: Lehre und Forschung im | |
> Elfenbeinturm. Ein Gastkommentar. | |
Bild: Elfenbeinturm Marke Freie Universität: Blick auf die Bibliothek | |
Bemooste Karpfen sind Nostalgiker. Deshalb ist Vorsicht geboten, wenn ein | |
Hochschullehrer a. D., der von 1973 bis 2007 an der FU war, seine | |
Universität porträtiert. Ein wenig beschreibt, wie lebendig eine | |
Universität sein kann, das Band charakterisiert, mit dem die Freie | |
Universität mit verschiedenen Feldern der Stadtpolitik Berlins verbunden | |
war, und wie Studierende das Bild der Stadt mitgeprägt haben. | |
Fast vergessen ist, wie in den 1970ern Berlin zum Mekka der Selbsthilfe- | |
und Alternativbewegung wurde – ein Ausläufer der Studentenbewegung von | |
1968, in der die Eigentums-, Arbeits-, Geschlechter- und Kapitalfrage | |
geklärt werden sollte. Und Studierende und Professoren mittenmang: als | |
Gründer, Besetzer, als gemeinsame Anstifter. | |
Fast vergessen ist der Beitrag der FU zur Instandbesetzerbewegung 1981/82. | |
Viele Studierende besetzten die 163 Häuser, die von Spekulanten | |
heruntergewirtschaftet waren. Sie hatten Modelle von Leben und Arbeiten im | |
Kopf. Hochschullehrer und Studenten zogen in besetzte Häuser ein, um die | |
Besetzer vor Räumungen im Stile des Heinrich Lummer (CDU-Innensenator) zu | |
schützen. Kolleginnen und Kollegen verlegten ihre Seminare in besetzte | |
Häuser. Studierende der FU wurden zu maßgeblichen Verhandlungsführern für | |
nicht legalisierte und legalisierte Häuser. | |
Fast vergessen ist auch der Berliner Bankenskandal im Jahr 2001, ein | |
Vorläufer der Finanzmarktkrise von 2008/09. Hier zogen beherzte | |
FU-Professoren und Studierende die „Initiative Berliner Bankenskandal“ auf, | |
die gegenmächtigste Bürgerinitiative gegen Banken- und Politikermacht. | |
Berlin erzitterte, als die „schwarzen Listen“ erschienen und ans Licht kam, | |
wer alles in den Skandal verwickelt war. Der Grunewald vibrierte, als wir | |
die Politiker, Banker und Baulöwen im Grunewald „besuchten“, um deren | |
Verwicklungen sichtbar zu machen. Über Jahre blieb die CDU die Partei, die | |
den Berlinern eine Schuldenlast von 21,6 Milliarden Euro aufbürdete. | |
Fast vergessen sind die erfolgreichen Versuche der FU, eine | |
wissenschaftliche Infrastruktur für die Universität und die Stadt Berlin | |
aufzubauen. Es gab eine Berlin-Forschung, die die Probleme Berlins | |
bearbeitete: die Arbeitslosigkeit spezifischer Gruppen, die Defizite der | |
Kulturszene, die verkehrspolitischen Alternativen oder die Berliner | |
Gewässer. | |
Hinzu kamen Tutorien-Projekte, in denen Studierende im Hauptstudium ohne | |
Professor selbstständig forschen konnten. Aus diesen Projekten ist zum | |
Beispiel der Reformstudiengang Medizin (Charité) hervorgegangen, Zentren | |
für feministische Forschung oder Gewässer-Atlanten Berliner Seen. All diese | |
produktiven Pflänzchen der FU fielen den Einsparbeschlüssen zum Opfer. | |
Wollte die Hochschule verlorenes Terrain zurückgewinnen, müsste sie selbst | |
analysieren, wie das Band von Forschung, Lehre und Berliner Praxis | |
aussieht. Dass weder Politikwissenschaft noch die inzwischen fast | |
gestorbene Soziologie einen Lehrstuhl zur Stadtentwicklung Berlins | |
vorzuweisen haben, spricht Bände. Das Otto-Suhr-Institut für | |
Politikwissenschaft hatte sechs Experten als Hochschullehrer und Mittelbau. | |
Da die HU auch kräftig gerupft wurde und die TU ihren | |
sozialwissenschaftlichen Anteil abgebaut hat, ist die Feststellung nicht | |
übertrieben, dass das Band zwischen den Universitäten und der | |
Stadtentwicklung weitgehend gerissen ist. Studentisches Engagement in der | |
Flüchtlingskrise war zwar beeindruckend, aber Mieterinitiativen, | |
Kulturprojekte und soziale Initiativen müssen fast ohne Schüler und | |
Studierende auskommen. | |
Die Berliner Hochschulen sind isoliert, die strukturelle Verdummung – vor | |
allem der B.A.-Studiengänge – lässt kaum den Atem, sich für ein spannendes | |
Projekt in der Stadt oder einem Seminar mit Stadtbezug zu engagieren. Wer | |
keine Lehrstühle mit Studierenden hat, die sich auf die Metropole Berlin | |
beziehen, der fällt selbst weiter hinter Wilhelm von Humboldt zurück. | |
4 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Peter Grottian | |
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