# taz.de -- Urteil zu direkter Demokratie: Das Volk darf doch nicht alles | |
> Hamburgs Verfassungsgericht stärkt die Rechte des Parlaments. Das | |
> Volksbegehren zur Rettung des Volksentscheids sei unzulässig. | |
> Volksinitiativen müssen künftig höhere Hürden überwinden | |
Bild: Vorerst gerettet: Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg im Ple… | |
HAMBURG taz | Die Volksgesetzgebung in Hamburg muss nicht gerettet werden. | |
Das geht aus dem Urteil hervor, mit dem das Landesverfassungsgericht am | |
gestrigen Donnerstag das Volksbegehren „Rettet den Volksentscheid“ für | |
unzulässig befunden hat. Einstimmig erklärte der neunköpfige Senat, der | |
Gesetzesentwurf der Initiative verstoße gegen das Demokratieprinzip: Weil | |
das Ziel „die grundsätzliche Schwächung der parlamentarischen Demokratie“ | |
sei, so Gerichtspräsident Friedrich-Joachim Mehmel in der mündlichen | |
Urteilsbegründung, sei der Entwurf „nicht verfassungskonform“. | |
Schwer enttäuscht von dem Urteil zeigte sich Manfred Brandt von der | |
Initiative: „Das ist die Heiligsprechung der Parteiendemokratie“, befand | |
das Vorstandsmitglied des Bürgerrechtsvereins „Mehr Demokratie“. Dagegen | |
freute sich Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) darüber, „dass die | |
Vorrangstellung der parlamentarischen Demokratie bestätigt worden ist“. | |
Unter anderem hatte die Initiative gefordert, das Zustimmungsquorum bei | |
Volksentscheiden auf ein Viertel der in der Bürgerschaft repräsentierten | |
Stimmen zu senken – nach dem Wahlergebnis von 2015 würden derzeit dann rund | |
13 Prozent aller Wahlberechtigten reichen, um die Hürde zu nehmen. Aus | |
Sicht von Hamburgs höchstem Gericht aber ist das nicht vereinbar mit dem | |
Mehrheitsgrundsatz. | |
## Mit Demokratie-Prinzip nicht vereinbar | |
Zudem wollte die Volksinitiative das im vorigen Jahr erst eingeführte | |
„Bürgerschaftsreferendum“ wieder abschaffen, bei dem im November 2015 die | |
Mehrheit eine Hamburger Olympia-Bewerbung ablehnte. Denn auch wenn Senat | |
und Bürgerschaftsmehrheit bei jener Abstimmung unterlegen waren, sei diese | |
doch ein „Referendum von oben“ gewesen, und also ein Instrument zur | |
Verhinderung von Volksinitiativen, so das Argument. | |
Stattdessen sollte ein Parlamentsreferendum eingeführt werden, bei dem | |
Gegenvorlagen von nur 2,5 Prozent der Wahlberechtigten unterstützt werden | |
müssten. Das aber sei mit dem Demokratieprinzip unvereinbar, so die | |
Richter: „Der Schutz der Mehrheit vor einer gut organisierten Minderheit“ | |
müsse gewährleistet bleiben, damit nicht „Partikularinteressen“ über „… | |
Gemeinwohl“ siegten. | |
Auch sei der Vorschlag, dass das Parlament Verfassungsänderungen sich in | |
einer Volksabstimmung absegnen lassen müsse, nicht vereinbar mit der | |
Grundentscheidung des Grundgesetzes für eine repräsentative Demokratie. | |
Denn dadurch würde die verfassungsändernde Gesetzgebung des Parlaments | |
benachteiligt gegenüber einer Verfassungsänderung durch die | |
Volksgesetzgebung. | |
Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip läge aus Sicht des | |
Verfassungsgerichts auch in dem vorgeschlagenen fakultativen | |
Wahlrechtsreferendum vor: Danach müssten Änderungen des Wahlrechts durch | |
die Bürgerschaft auf Verlangen von nur 2,5 Prozent der Wahlberechtigten | |
durch ein Referendum bestätigt werden. Dieses solle ohne Zustimmungsquorum | |
durchgeführt werden und würde somit kleinsten Gruppen einen Sieg über die | |
Bürgerschaft ermöglichen, sofern nur die Mehrheit der Bevölkerung nicht an | |
der Abstimmung teilnimmt. | |
## SPD, CDU, Grüne und FDP freut das Urteil | |
In einer Demokratie aber müssten „Minderheiten Mehrheiten suchen“, so | |
Gerichtspräsident Mehmel. Andernfalls würden in letzter Konsequenz | |
„Nicht-Wähler das Funktionieren des Staates gefährden können“. Um das zu | |
vermeiden, sehe das Grundgesetz eben keine Mindestbeteiligung bei | |
Parlamentswahlen vor – damit nicht durch Wahlboykott Unregierbarkeit | |
herbeigeführt werden könne. | |
Aus all diesen Gründen dürfe das Volksbegehren „Rettet den Volksentscheid“ | |
weder in Gänze noch in Einzelfragen weiter verfolgt werden. In allen Teilen | |
sei es „mit der Hamburgischen Verfassung unvereinbar“. | |
Der Senat ebenso wie SPD, CDU, Grüne und FDP in der Bürgerschaft begrüßten | |
das Urteil. Nun seien die Regeln der Volksgesetzgebung „klar abgesteckt“, | |
kommentierte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit. Damit sei auch geklärt, | |
„dass Entscheidungen ohne Mehrheiten gegen das Demokratieprinzip | |
verstoßen“. | |
13 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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