# taz.de -- Olympische Demokratie: Volksentscheid von oben | |
> Wegen der Olympia-Bewerbung wollen SPD, Grüne und CDU in Hamburg | |
> Volksbefragungen einführen. Der Verein „Mehr Demokratie“ sieht darin eher | |
> eine Gefahr. | |
Bild: De Deutsche Olympische Sportbund hat sich für Hamburg entschieden - jetz… | |
HAMBURG taz | Der rot-grüne Hamburger Senat möchte bei einer | |
Olympia-Bewerbung auf Nummer sicher gehen. Aus Sorge, dass die Stadt sich | |
um die Austragung der Spiele 2024 bewirbt [1][und die Bürger das dann | |
später ablehnen], will der Senat sie vorher verbindlich nach ihrer Meinung | |
fragen. Doch um eine solche Volksbefragung ansetzen zu können, muss die | |
[2][Verfassung geändert] werden. Nun zeichnet sich ab, dass SPD, Grüne und | |
oppositionelle CDU sich da einig werden könnten. | |
Kritik kommt aus der Wissenschaft und [3][vom Verein „Mehr Demokratie“], | |
der die schwer errungene Volksgesetzgebung in Gefahr sieht. „Die Grünen | |
werfen ihre bisherigen demokratischen Grundsätze aus dem Rathausfenster“, | |
sagte Manfred Brandt von „Mehr Demokratie“. „Das kann man auch Verrat | |
nennen.“ | |
Hamburgs Verfassung sieht derzeit auf Landesebene [4][nur Volksentscheide | |
vor, die von unten], also durch Volksinitiativen, initiiert werden können. | |
Mit der Volksbefragung käme eine Art „Volksentscheid von oben“ dazu, denn | |
die Bürgerschaft soll ihn „auf Vorschlag oder mit Zustimmung“ des Senats | |
mit einer Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder beschließen können. | |
Der Rechtsanwalt [5][Walter Scheuerl], der 2010 die rot-schwarze | |
Schulreform in Hamburg per Volksentscheid zu Fall brachte, kritisierte, mit | |
dieser Formulierung werden die drei Fraktionen „das Parlament zum Büttel | |
des Senats machen“. Die Parteien hätten offenbar das Prinzip der | |
Gewaltenteilung nicht verstanden. | |
Als einmalige Ausnahme, etwa bei Olympia, möge eine Volksbefragung angehen, | |
kritisierte auch der frühere Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, | |
Hans Meyer, bei einer Anhörung der Bürgerschaft. Doch bei mehrfacher und | |
dauerhafter Anwendung von Referenden könnte die gegenseitige Kontrolle der | |
Verfassungsorgane beeinträchtigt werden. Schließlich könnte dann jede | |
Regierung im Falle des Scheiterns eines von ihr selbst zur Abstimmung | |
gestellten Projekts sagen, sie könne nichts dafür. | |
Der Grüne Farid Müller sieht darin kein Problem: „Wir wollen, dass das Volk | |
mehr abstimmt als bisher.“ Die Grünen hätten Volksbefragungen mehrfach in | |
ihr Wahlprogramm geschrieben. Die Idee sei es, Fragen von grundsätzlicher | |
Bedeutung dem Volk vorzulegen, wie die unter schwarz-grün gescheiterte | |
Einführung einer Straßenbahn oder die Schulreform. | |
Dadurch werde das Volk mitnichten mehr zu sagen haben, kritisierte Brandt. | |
Er gehört zu jenen, die die Hamburger Volksgesetzgebung in den vergangenen | |
15 Jahren in mehreren Anläufen durchgekämpft haben. Seine Hauptsorge ist, | |
dass Volksbefragungen dazu missbraucht werden könnten, Volksinitiativen | |
auszuhebeln. „Das Volk wird entmachtet“, warnte er. | |
Zwar sieht der Entwurf vor, dass laufende „Volksbegehren“ einer | |
Volksbefragung als Gegenvorlage beigelegt werden sollen. Schwieriger wird | |
es bei der Vorstufe – der Volksinitiative. Diese kann zum Volksbegehren mit | |
anschließendem Volksentscheid werden, wenn ihr binnen drei Wochen 65.000 | |
Menschen beitreten – nach vier Monaten Zeit für eine Kampagne. Der Entwurf | |
für die Verfassungsänderung zur Volksbefragung verkürzt die Vorlaufzeit auf | |
14 Tage. „Sie kriegen mit einer Vorlaufzeit von 14 Tagen keine | |
Volksbegehren organisiert“, sagte Brandt. Und ohne den Vorlauf verliere die | |
direkte Demokratie auch ihren so wichtigen Prozesscharakter. | |
Der Grünen-Abgeordnete Müller erinnert daran, dass große Fragen zur | |
Abstimmung gestellt würden, über die in der Öffentlichkeit breit diskutiert | |
werde. Es wäre also viel leichter Stimmen zu mobilisieren, als bei einer | |
Frage, die von einer Initiative aus dem Stand aufgebracht werde. Auch | |
zeitlich sei der Vorlauf laut Müller wegen der Debatte de facto länger als | |
die 14 Tage: „Hier wird nichts ausgehebelt.“ | |
5 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Protest-gegen-Spiele-in-Hamburg/!158991/ | |
[2] /Ringen-um-Ringe/!158748/ | |
[3] http://hh.mehr-demokratie.de/hh_newseinzelansicht.html | |
[4] http://www.hamburg.de/volksabstimmungen/ | |
[5] /Verhandlungen-um-Schulpolitik/!155542/ | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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