Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Analyse zum Volksgesetzgebungsurteil: Wider die Diktatur der Querul…
> Das Urteil des Verfassungsgerichts ist eine Niederlage für den Verein
> „Mehr Demokratie“, aber es ist ein Sieg für mehr Demokratie in Hamburg.
Bild: Unbeirrbarer Kämpfer für mehr Demokratie: Manfred Brandt.
Eine Niederlage kann ein Sieg sein. Dass der Bürgerrechtsverein „Mehr
Demokratie“ am Donnerstag vom Hamburgischen Landesverfassungsgericht in die
Schranken gewiesen wurde, ermöglicht mehr Demokratie im Stadtstaat an der
Elbe. Gestärkt wurde die direkte Demokratie der Volksgesetzgebung und damit
die Möglichkeiten der Bevölkerung, in Einzelfragen Regierung und Parlament
zu überstimmen. Verhindert wurde eine Diktatur der Querulanten.
„Mehr Demokratie“ hatte mit seinem nun als nicht verfassungskonform
untersagten Volksbegehren „Rettet den Volksentscheid“ den Bogen eindeutig
überspannt. Da Volksentscheide in Hamburg nicht bedroht seien, müssten sie
auch nicht gerettet werden, lautet der Tenor des Urteils, das auch
Signalwirkung auf andere Bundesländer haben wird. Die
verfassungsrechtlichen Leitplanken, die das höchste Gericht der Hansestadt
aufgestellt hat, werden nicht nur in Sachen eines „Referendums von oben“,
der Befragung des Volkes in einer Sachfrage durch Parlament und Regierung,
zu Diskussionen über seine Einführung in den Ländern führen, die dieses
Instrument noch nicht kennen.
Denn für Hamburg wurde klar gestellt, dass die Volksbefragung, erstmals
2015 zur Frage der Hamburger Olympia-Bewerbung – und im übrigen zeitgleich
im potenziellen Segelort Kiel, dort aber auf kommunaler Ebene –
durchgeführt, die Rechte des Volkes nicht schmälert. Wie sollte auch die
Bitte „der da oben“ an „die da unten“, in einer wichtigen Sachfrage sel…
zu entscheiden, eine Beschränkung der Mitwirkungsrechte des Volkes sein?
Eben das aber hatte „Mehr Demokratie“ behauptet. Jemanden aber dadurch zu
unterdrücken, dass man ihm das letzte Wort lässt – so eine Argumentation
taugt für einen Spitzenplatz in der Rangliste der gewagten Thesen.
Nein, die Galionsfiguren von „Mehr Demokratie“ in Hamburg, allen voran ihr
Oberhäuptling Manfred Brandt, haben sich verrannt, getrieben von einem fast
schon pathologischen Verfolgungswahn, der sie hinter nahezu jeder Äußerung
eines gewählten Volksvertreters einen Anschlag auf „das Volk“ wähnen läs…
Dessen Überhöhung indes ist am deutlichsten erkennbar in der geforderten
Absenkung von Beteiligungs- und Zustimmungsquoren.
Wie soll es zu mehr Demokratie führen, wenn rund 13 Prozent der
Wahlberechtigten ausreichen sollen, um Gesetze zu beschließen? Wie soll es
zu mehr Demokratie führen, wenn klare Minderheiten der Mehrheit ihren
Willen aufdrücken können? Minderheiten müssen Mehrheiten suchen oder
Kompromisse eingehen, die durch den Ausgleich widerstreitender Interessen
gebildet werden, stellt das Verfassungsgericht klar. Das mag wenig spannend
klingen, ist aber der Alternative vorzuziehen: Konfrontation bis zur
gnadenlosen Zuspitzung, wie sie beim abgewendeten Volksentscheid über die
Flüchtlingsunterbringung erfolgt wäre, mit Siegern und Besiegten.
Eine solche Polarisierung auf niedrigem Beteiligungsniveau würde eben nicht
für mehr Demokratie sorgen, weil sie die Spaltung der Gesellschaft
beförderte, statt sie zu lindern. In der Tendenz könnten wortmächtige und
gut organisierte Gruppen ihr Partikularinteresse ohne Rücksicht auf
Verluste durchsetzen. Es wäre der Triumph der durch Interessen gespalteten
Gesellschaft, in der sich in letzter Konsequenz verfeindete Clans
Dauerfehden liefern: Was die eine Minderheit heute durchsetzt, könnte die
andere Minderheit morgen wieder ändern.
Es ist schuldhaftes Verhalten von „Mehr Demokratie“, mit dem versuchten
Einreißen von Hürden faktisch für weniger Demokratie zu sorgen. Damit
erreicht der – gemeinnützige und somit dem allgemeinen Nutzen verpflichtete
– Verein das Gegenteil dessen, was er angeblich erreichen will. Durch eine
permanente Misstrauenserklärung an die Politik und die Politiker, an die
Parteien und Parlamente schürt „Mehr Demokratie“ eben die
Politik(er)verdrossenheit, zu deren Bekämpfung der Verein einst angetreten
ist. Manfred Brandt und seine Leute müssen sich der Frage stellen, ob sie
auf ihrem heiligen Kreuzzug für eine vermeintlich echte Volksdemokratie
nicht vollkommen den Kompass verloren haben.
Diesen Irrweg hat das Hamburgische Verfassungsgericht gestoppt. Zugleich
hat es damit die bestehenden Instrumente der Volksgesetzgebung mit ihren
Vorgaben und Quoren bestätigt und gestärkt. Bisher sind noch bei jedem
Volksentscheid in der Hansestadt – ob „von unten“ oder „von oben“ ini…
– Regierung und Parlamentsmehrheit vom Volk in ihre Schranken gewiesen
worden. So kann es auch beim nächsten Mal kommen, denn das Recht des
Volkes, die parlamentarische Demokratie zu ergänzen oder zu korrigieren,
wurde und wird nicht angetastet.
Das Urteil des höchsten Hamburger Gerichts ist eine Niederlage für den
Verein „Mehr Demokratie“ in seinem aktuellen und bedauernswerten
Aggregatzustand. Und ist deshalb ein Sieg für mehr Demokratie.
16 Oct 2016
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Direkte Demokratie
Volksbegehren
Volksgesetzgebung
Verfassungsgericht
Mehr Demokratie
Hamburg
Mehr Demokratie
Initiative Volksentscheid retten
Hamburg
Volksentscheid
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Reform der Volksgesetzgebung: Staatskrise durch Volkes Wille?
Rot-Grün will von Volksinitiativen realistische Finanzierungsvorschläge
für Volksentscheide verlangen. Der Verein „Mehr Demokratie“ hält nichts v…
der Idee.
Vorschlag von „Mehr Demokratie“: „Proteststimme“ für den Wahlzettel
So können Wähler ihren Unmut ausdrücken, ohne extrem zu wählen. Die Idee
ist Teil eines ganzen Paketes des Thüringer Landesverband von „Mehr
Demokratie“.
Urteil zu direkter Demokratie: Das Volk darf doch nicht alles
Hamburgs Verfassungsgericht stärkt die Rechte des Parlaments. Das
Volksbegehren zur Rettung des Volksentscheids sei unzulässig.
Volksinitiativen müssen künftig höhere Hürden überwinden
Nicht in meinem Hinterhof: Ausweitung der Kampfzone
In Hamburg kündigen die Gegner großer Flüchtlingsheime Bürgerbegehren an.
Damit sind sie auf dem Holzweg: Die Bezirke werden sie wohl für unzulässig
erklären.
Streit um direkte Demokratie: Hamburg klagt gegen Volksentscheid
Hamburger Senat reicht Klage gegen Volksinitiative „Rettet den
Volksentscheid“ ein. Geplante Gesetzesänderungen seien „nicht
verfassungsgemäß“.
Olympiabewerbungsende: Das Wunder von Hamburg
Die Hamburger haben abgestimmt , doch das Ergebnis fiel nicht so aus, wie
es die Regierenden erhofft hatten. Sind Visionen mit dem Volk nicht zu
machen?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.