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# taz.de -- Drohende Privatisierung der Autobahnen: Projekt Superbehörde
> Die Bundesregierung arbeitet heimlich am Aufbau einer
> Bundesfernstraßengesellschaft. Das Ergebnis könnte die Privatisierung
> aller Autobahnen sein.
Bild: Der Bund zahlt für Bau, Erhaltung und Betrieb der Autobahnen, die Lände…
BERLIN taz | Wie Arterien durchziehen 13.000 Kilometer Straßennetz das
Land. Autobahnen: Für viele symbolisieren sie ein Stück deutsche Identität.
Finanzanalysten aber erkennen etwas anderes: unerschlossene Anlageprodukte
aus Asphalt.
In Frankreich, das seine Autobahnen bereits privatisierte, werden
Gewinnmargen von acht Prozent erzielt. Deutschland ist viel attraktiver,
gilt es doch als eines der stabilsten Länder der Erde. So sicher, dass
„Negativzinsen“ herrschen. Investoren zahlen dafür, dass sich
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ihr Geld leiht.
Das weckt Begehrlichkeiten. Und so will die Bundesregierung Investoren die
Hand reichen. Mit Anlagemöglichkeiten in deutsche Infrastruktur. Auf Kosten
der Steuerzahler. Denn wegen solcher öffentlich-privater „Partnerschaften“
(ÖPP) kassiert die Regierung häufig Rügen. Fast alle Gutachten der
Rechnungshöfe kritisieren diese als nachteilig.
Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte zuletzt zehn neue privat
finanzierte Autobahnprojekte mit einem Volumen von 14 Milliarden Euro an.
Doch die Bundesregierung will mehr. Sie plant eine Superbehörde: Die
Bundesfernstraßengesellschaft. Bisher öffentlich kaum wahrgenommen, könnte
daraus eins der größten Privatisierungsvorhaben seit Jahrzehnten entstehen.
Denn diese Gesellschaft könnte wie eine ÖPP-Maschine arbeiten.
## Im Bermuda-Dreieck der Zuständigkeiten
Der teuer erkaufte Vorteil von ÖPP besteht in einem Finanztrick: Die Kosten
können über Jahre gestückelt, über eine Maut finanziert und im Schatten
regulärer Staatshaushalte versteckt werden. So können Bauvorhaben trotz
Schuldenbremse realisiert werden.
Das Problem: Es kostet viel mehr als herkömmliche Verfahren. Kein Investor
kann so günstig Geld leihen wie der Staat. Zudem erwarten Anleger Renditen.
Die bezahlen die Steuerzahler der Zukunft. Vorher schmücken sich Politiker
mit Bauvorhaben. Mache lassen sich ihr Engagement – exemplarisch: Peer
Steinbrück – mit horrende Vortragshonoraren veredeln.
Die Bundesregierung arbeitet mit drei Ministerien an der Superbehörde:
Wirtschafts-, Verkehrs- und Finanzministerium. Alle verschleiern. Das
Wirtschaftsministerium dementiert gegenüber der taz, dass es um eine
Privatisierung ginge. Konkrete Antworten: verweigert. Angeblich nicht
zuständig. Das Verkehrsministerium verweist auf das Finanzministerium und
dieses aufs Verkehrsministerium. Ein Bermuda-Dreieck.
Tatsächlich ist das Wirtschaftsministerium seit zwei Jahren mit der
Superbehörde befasst. Die taz berichtete 2014 darüber. In einem
vertraulichen Protokoll, das der taz vorliegt, hatte Jeromin Zettelmeyer,
Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik im Ministerium, formuliert: „Ziel
sei die Schaffung eines Organisationsrahmens für privat finanzierte
Infrastrukturinvestitionen“. ÖPP.
## „Die Bundesregierung bastelt im Dunkeln“
Zettelmeyer arbeitete bei der von Sigmar Gabriel (SPD) eingesetzten
Fratzscher-Kommission mit, die schließlich die
Bundesfernstraßengesellschaft aus dem Hut zauberte.
Die Beteiligten gehen äußerst vorsichtig vor. Abgeordnete der Regierung
sind darüber empört. Die Opposition ist konsterniert. „Die Bundesregierung
bastelt im Dunkeln an ihrem Projekt Autobahngesellschaft“, sagt
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter der taz. „Wir wissen bis heute nicht,
was die da treiben“. Dabei kursiert bereits der Entwurf einer Änderung des
Grundgesetzes.
Diese ist eine Voraussetzung für die Superbehörde. Das liegt an der
bisherigen föderalen Struktur: Die Bundesfernstraßen gehören dem Bund, der
für Bau, Erhaltung, Unterhaltung und Betrieb zahlt. Die Länder übernehmen
Verwaltung, Planung sowie die dafür anfallenden Kosten. Alles geregelt in
Artikel 90 Grundgesetz. Den will die Regierung ändern.
Dort soll später stehen: „Die Bundesautobahnen werden in Bundesverwaltung
geführt. Aufgaben der Planung, des Baus, des Betriebs, der Erhaltung, der
vermögensmäßigen Verwaltung und der Finanzierung der Bundesautobahnen
können durch Bundesgesetz einer Gesellschaft in privatrechtlicher Form
übertragen werden“.
## Kritik an der „Mammutorganisation auf Bundesebene“
Für diese Änderung ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat nötig. Dabei
hatten die Verkehrsminister gerade einstimmig beschlossen, eine
Zentralisierung abzulehnen. Eine Umfrage der taz bei allen Ländern
bestätigt dies. Selbst in Dobrindts Heimat Bayern will das niemand;
Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) sagt, dass eine „Mammutorganisation
auf Bundesebene nicht weiterhilft. Bei Großprojekten ist ein guter Kontakt
zu den Bürgern vor Ort unverzichtbar.“
Die Bundesregierung agiert sehr geschickt. Am Donnerstag trifft sie sich
mit den Ministerpräsidenten. Hier könnte das Projekt Superbehörde mit
anderen Vorhaben in einem Paket verschnürt werden. Denn die Länder wollen
Milliarden wegen der Flüchtlingskrise. Gute Verhandlungsmasse. Sauber
verpackt könnte so durch die Hintertür doch noch das Grundgesetz geändert
werden.
Trotz der Dimension des Vorhabens gab es weder im Bundestag noch im
Bundesrat eine Anhörung. Lediglich bei einer Plenardebatte sprach Sabine
Leidig von der Linken das Thema kurz an. Sie kritisierte die mangelnde
Beteiligung der Länder. Dobrindts parlamentarischer Staatssekretär, Norbert
Barthle, antwortete: „Es gilt bei diesem Vorgang die alte Volksweisheit,
die da lautet: Man sollte Frösche nicht mit dem Auspumpen des Sees
beauftragen.“
Zu diesem Demokratieverständnis passt, dass die grüne Bundestagsfraktion
den Regierungsentwurf für die Gesetzesänderung unter der Hand besorgen
musste. Sie ließ ihn von dem Rechtswissenschaftler Christoph Möllers der
Humboldt-Universität zu Berlin untersuchen. Die Expertise wird heute
veröffentlicht und liegt der taz vor.
## Eine Möglichkeit, die Schuldenbremse auszuhebeln
Der Wissenschaftler schreibt, private Investoren eröffnen „für den Bund die
Möglichkeit, Investitionen in den Straßenbau ohne eine öffentliche
Kreditaufnahme zu finanzieren, die durch die Schuldenbremse des Art. 115
Abs. 2 GG begrenzt ist“. 2009 wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz
verankert. Demnach darf die jährliche Neuverschuldung nicht über 0,35
Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen.
Das Bundesfinanzministerium schloss gegenüber der taz aus, dass die
Grundgesetzänderung dazu geeignet sei, die Schuldenbremse auszuhebeln.
Rechtswissenschaftler Möllers sieht das anders. Er kritisiert, dass erst
die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert worden sei, „um diese Regelung
dann mittels einer anderen Grundgesetzreform zu umgehen“.
Nach Plänen der Regierung wäre die Superbehörde nur für Autobahnen
zuständig. Also eben jene Straßen, in denen viel Verkehr, viel Maut und
entsprechende Renditen zu erwarten sind. Anders als bei Fernstraßen. Diese
Differenzierung, schreibt Möllers, habe „augenscheinlich keine
regulierungstechnische Rechtfertigung“. Die als ineffizient kritisierten
Doppelstrukturen von Bund und Land würden fortbestehen. Möllers schreibt:
„Erkennbar liegt der Regelung damit ein fiskalisches Motiv zugrunde“.
Kritiker wie Carl Waßmuth von der NGO Gemeingut in BürgerInnenhand hegt den
Verdacht: „Die Schuldenbremse funktioniert wie ein Motor für die
Privatisierung des Gemeinwesens. Vielleicht wurde sie genau dafür gemacht.“
## „Dobrindt liebt Aktionismus“
Während die Regierung ihre eigenen Regeln außer Kraft setzt und dabei
vorgibt, ineffiziente Strukturen zu straffen, kommt Rechtswissenschaftler
Möllers zu einer anderen Diagnose: „Viele der beklagten Fehlentwicklungen
erscheinen auch einer Nichtwahrnehmung von Kontrollrechten durch die
Bundesregierung geschuldet.“ Statt des Radikalumbaus empfiehlt er eine
Reform der föderalen Aufgabenteilung. Möglich sei, dass der Bund
„stringentere Verfahrensregeln in Form allgemeiner Verwaltungsvorschriften
erlässt“.
Differenzierte Vorschläge unterbreiteten auch die Landesverkehrsminister
und eine Studie der FU Berlin im Auftrag des ADAC. Der Verkehrsminister aus
Baden-Württemberg ließ ebenso eine Expertise zur Grundgesetzänderung
erstellen. Tenor: Äußerst fragwürdiges Unterfangen.
Insgesamt bestätigen die Gutachten, das die Änderung des Grundgesetzes
nicht nur eine „formelle Privatisierung“ – die Beteiligung von Privaten �…
sondern auch eine „materielle Privatisierung“ ermöglichen würde: die
völlige Privatisierung der Autobahnen. Mit der PKW-Maut arbeitet Dobrindt
bereits an einem Hebel dafür.
Als es bei einer Sitzung des Verkehrsausschuss im April um das Thema ging,
war auch Frank Hollweg eingeladen. Er arbeitet für die Straßenbauverwaltung
in NRW. Er fragte: „Warum reißt man das Haus ein, wenn man mit der Zufahrt
nicht mehr zufrieden ist?“ Anton Hofreiter erklärt das so: „Schäuble will
die Schuldenbremse umgehen, Gabriel will Banken und Fonds stützen und
Dobrindt liebt Aktionismus.“
## Gutachten sollen unter Verschluss bleiben
Doch ein Eckpunktepapier aus Dobrindts Ministerium spricht für gezielteres
Vorgehen. In dem Dokument von Dezember 2015, das der taz vorliegt, verweist
sein Staatssekretär darauf, dass die Behörde „über eine eigene Kapazität
zur Kreditaufnahme verfügen“ müsse. Zudem müsse die „Möglichkeit gescha…
werden, dass sich Private am Netzausbau und -erhalt beteiligen können“. Der
Einstieg in die Privatisierung.
Wird das Gemeinwesen zum Anlageprodukt für Investoren, verschwinden wie bei
TTIP Daten und Fakten in Tresoren. Gutachter Möllers erkennt daher „bei der
parlamentarischen Kontrolle beträchtliche Probleme“. Zumal Artikel 12 des
Grundgesetze relevant würde: Der Schutz von Betriebs- und
Geschäftsgeheimnissen. Die Gutachten, die Dobrindt für die Superbehörde
beauftragte, sollen derweil unter Verschluss bleiben.
Mitarbeit: Jasmin Sarwoko
7 Jul 2016
## AUTOREN
Kai Schlieter
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