# taz.de -- Tage der Architektur in Berlin: Mein Haus, das hat vier Ecken … | |
> Berlin wächst, und in der Stadt wird gebaut wie nach dem Mauerfall. Doch | |
> es fehlen Konzepte, vor allem für den sozialen Wohnungsbau. | |
Bild: So sieht die Vergangenheit des Wohnungsbaus aus – aber was ist die Zuku… | |
Neulich brauchte es mal wieder eine ganze Menge Humor, um nicht am | |
Euphemismus unserer Bauherren zu verzweifeln. „Wohnen wie in der | |
französischen Provence“ stand da auf einem Plakat, hinter dem zwischen der | |
Steglitzer Curtiusstraße ein gutes Dutzend Vier- und Fünfgeschosser | |
hochgezogen werden. Man wohnt dort in Kürze „mit Urlaubsgefühlen“, | |
„paradiesisch“ und ziemlich teuer, obwohl die Architekturen allesamt wie | |
banale Klötzchen aussehen: Quadratisch, langweilig, mit Flachdach, | |
tiefemBalkon, und drinnen hat jede Wohnung eine amerikanische Wohnküche. | |
Von Provence keine Spur. „Paradise lost“ wäre die bessere Bezeichnung. Und | |
gilt das nicht für viele neue Wohnstandorte in Berlin ebenso? | |
Wohl kaum, meint die Berliner Architektenkammer, die an diesem Wochenende | |
den „Tag der Architektur“ mit dem Schwerpunkt Wohnungsbau veranstaltet. Was | |
teilweise stimmt. Denn unter den präsentierten 31 Bauwerken und in den 23 | |
offenen Planungsbüros in der ganzen Stadt finden sich auch gelungene | |
Beispiele für neuen Wohnungsbau: Die große luftige „Drachenburg“ am | |
Lietzensee (Architekten Arnold und Gladisch), der lange Tetris-Riegel in | |
Adlershof (Eyrich/Hertweck) oder der „Plattenpalast“ an der Wolliner Straße | |
(WHS). | |
Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer, lobt die | |
„gestalterische und konzeptionelle Qualität der vorgestellten Bauten“. Sie | |
spricht zugleich von „Vielfalt und Innovation für einen zeitgemäßen | |
Wohnungsbau, der richtungsweisend für unser städtisches Zusammenleben in | |
Berlin ist“. Das sind viele schöne Worte. Und es sind notwendige Worte. | |
Denn Berlin wächst. In der Stadt wird gebaut wie in den Tagen nach dem | |
Mauerfall. Derzeit entstehen für 30.000 neue Berliner 20.000 Wohnungen. In | |
den kommenden Jahren wird der Zuzug noch steigen, prognostiziert eine | |
Studie der Senatsbauverwaltung. Bis 2030 sollen darum Gebäude und | |
Mietshäuser für 400.000 zusätzliche Einwohner realisiert werden, davon | |
70.000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau. | |
## Nicht nur Quantität zählt | |
Doch wer meint, dass dies nun die Stunde der Architekten und der | |
Architektur ist, sollte sich – angesichts anderer vorgestellter Projekte | |
und jener vielen „provencalischen“ Quartieren – gedulden. Gute | |
Architekturen für den Wohnungsbau scheinen nach 25 Jahren Bürobau, | |
Privatisierung der Innenstädte, Bauten für Malls oder Luxuslofts erst | |
allmählich in der Branche anzukommen, findet sogar Engelbert Lütke Daldrup, | |
Staatssekretär in der Berliner Senatsbauverwaltung. | |
Und Niklas Maak, Architekt und Kritiker, betont, dass der Wohnungsbau, | |
insbesondere der soziale, noch immer darunter leidet, „dass man ihn vor | |
allem als quantitatives Problem“ begreift und wenig neuen Ideen und | |
Konzepte im Spiel sind. | |
Auf jeden Fall, sagt Edmaier, bedeute es ein Qualitätssprung, dass mit den | |
jetzigen beiden „Tagen der Architektur“ die Themen „Wohnungsbaupolitik“… | |
die Fragen nach „Qualität und Vielfalt“ wieder ins Zentrum der öffentliche | |
Debatte rückten. Man kann es auch so sagen: Mit etwas Verspätung hat die | |
Architektenschaft erkannt, dass die Entwicklung des Wohnungsbaus, besonders | |
der für den sozialen und experimentellen Wohnungsbau, zur aktuellen Aufgabe | |
– und Chance zählt. | |
Zudem steht Berlin vor der Herausforderung, dass neben den geplanten Bauten | |
neue Unterkünfte für zigtausende Flüchtlinge und Migranten entwickelt | |
werden müssen, welche architektonisch und städtebaulich etwas taugen. In | |
der gängigen Praxis ist derzeit kaum mehr herausgekommen als | |
Containerdörfer für 15.000 Menschen oder geplante 60 „Modulare | |
Unterkünfte für Flüchtlinge“, genannt MUFs, die in Wirklichkeit nichts | |
weiter als Modulsysteme für Plattenbauten sind. | |
## Architektur für Geflüchtete | |
Dass dies der Vergangenheit angehören sollte und es Beispiele gibt, wie | |
dauerhafte Unterkünfte entworfen, geplant und gebaut werden könnten, | |
veranschaulicht eine kleine Schau in Tempelhof mit dem Titel „Heimat in der | |
Fremde“. Dort werden die vor einer Woche mit dem Berlin Award 2016 | |
preisgekrönten Projekte für innovative Gebäude zur Unterbringung | |
Geflüchteter ausgestellt. | |
Es sind zwar zum Teil Bauten für das Existenzminimum. Ungeeignet sind sie | |
dennoch nicht, um weiter zu experimentieren für die vielen zukünftigen | |
Wohnformen und urbanen Strukturen, die Berlin insgesamt zu stemmen hat. Das | |
ist eine Chance. Und gehörte Berlin mit seinen innovativen Wohn- und | |
Siedlungsbauten der 1920er Jahre nicht schon einmal zu den Vorreitern des | |
Wohnungsbaus? „Das gehört zu den wesentlichen Herausforderung für unsere | |
Stadt“, sagt dazu Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Es gelte, gute, | |
innovative und funktionale Architekturen zu entwerfen. „Es ist notwendig, | |
schnell angemessenen Wohnraum zu schaffen und Schnittstellen des Wohnens | |
mit dem Stadtraum herzustellen.“ Darauf darf man gespannt sein. | |
25 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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