# taz.de -- Prozess gegen Extremismus-Forscher: Eine Frage der Neutralität | |
> Der Politologe Steffen Kailitz steht vor Gericht, weil er die NPD | |
> kritisiert. Der Richter: Jens Maier, ein AfD-Mann. Kann das gutgehen? | |
Bild: Richter am Dresdner Landgericht und Mitglied der AfD: Jens Maier | |
Dresden/Karlsruhe taz | Jetzt ist der Tag, auf den viele gewartet haben“, | |
sagt Richter Jens Maier und grinst in den Saal. Links vor ihm sitzen der | |
Politikwissenschafter Steffen Kailitz und sein Anwalt, rechts NPD-Chef | |
Frank Franz und Peter Richter, der Anwalt der rechtsextremen Partei. Der | |
Zuschauerraum im Dresdner Landgericht ist bis auf den letzten Platz belegt. | |
Wegen des erwarteten Besucherandrangs hat das Gericht die Verhandlung in | |
den lichten Saal A1.64 verlegt. Eigentlich finden hier Strafprozesse statt. | |
Dass eine Zivilverhandlung so viel Aufmerksamkeit erregt, ist selten. Dass | |
sich hier ein Politikwissenschaftler für seine Schlussfolgerungen | |
verantworten muss, auch. | |
Seit 2007 arbeitet Kailitz am Hannah-Arendt-Institut der TU Dresden. Der | |
47-Jährige forscht zu Extremismus, seit mehr als 16 Jahren auch zur NPD. | |
Für seinen Fachbereich war er neun Jahre lang Sprecher der Deutschen | |
Vereinigung für Politische Wissenschaft. Kailitz ist als Experte anerkannt. | |
Im März war er als Sachverständiger vor das Bundesverfassungsgericht | |
geladen – in die Verhandlung über das NPD-Verbot. | |
[1][Vor einem Monat aber erteilte Maier dem Politikwissenschaftler einen | |
Maulkorb]. Kailitz, entschied der Richter, dürfe nicht mehr behaupten, die | |
NPD plane „rassistisch motivierte Staatsverbrechen“ und wolle „acht bis e… | |
Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben, darunter mehrere Millionen | |
deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund“. Bei Zuwiderhandlung droht | |
ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro oder bis zu sechs Monate Haft. | |
Kailitz hatte die Äußerungen in einem Beitrag unter dem Titel „Ausgrenzen, | |
bitte“ für Die Zeit geschrieben, der [2][auch bei Zeit Online wurde der | |
Beitrag veröffentlicht wurde]. NPD-Anwalt Peter Richter beantragte eine | |
einstweilige Verfügung – gegen Kailitz persönlich. Richter vertritt die NPD | |
auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Maier gab den Rechtsextremen recht. | |
Auf eine Anhörung des Wissenschaftlers verzichtete er, wegen | |
„Dringlichkeit“. Die NPD jubelte: Der Kritiker sei „in die Schranken | |
verwiesen“ worden. Kailitz dagegen sah die Freiheit der Wissenschaft in | |
Gefahr. Und fürchtete, zentrale Forschungsergebnisse nicht mehr | |
publizieren zu dürfen. Der Skandal war perfekt. | |
Denn hinzu kommt: Richter Jens Maier, 54, ist in der AfD und Mitglied des | |
Schiedsgerichts des Landesverbands. Der Partei, die beklagt, die | |
Meinungsfreiheit gelte hierzulande nicht mehr, obwohl sie „eines der | |
wichtigsten Güter der Gesellschaft“ sei. | |
## Unruhe in NPD-Reihen | |
Kailitz hat Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt. Jetzt, | |
im Saal A1.64, geht es erst einmal nicht um Inhalte. Sein Mandant habe | |
seine Forschungsergebnisse seit 2007 bereits mehrfach publiziert, sagt Jörg | |
Nabert, Kailitz’ Anwalt. Die NPD habe deshalb sogar einmal mit Kailitz | |
Kontakt gehabt, seine Erkenntnisse seien also bekannt, Dringlichkeit | |
bestehe nicht. Deshalb müsse die einstweilige Verfügung aufgehoben werden. | |
Tatsächlich hatte Kailitz seine Position auch ganz ähnlich vor dem | |
Bundesverfassungsgericht vorgetragen. Am Zeugenpult hatte er vor sich die | |
roten Robenträger, hinter sich die NPD-Leute und eine Phalanx an | |
Innenministern und Verfassungsschützern. Die NPD strebe nach einer | |
„ethnisch möglichst homogenen Volksgemeinschaft“, sagte Kailitz damals. | |
Migranten bezeichne sie als „Bastarde“. Für diese plane die Neonazi-Partei | |
eine „Rückkehrpflicht“, ein „Vertreibungsprogramm“. Wer so denke, müs… | |
„zwangsläufig Arier-Nachweise“ einführen. Das reiche, um die Partei zu | |
verbieten. | |
Die Verfassungsrichter hörten aufmerksam zu. In den NPD-Reihen brach Unruhe | |
aus. Ihr Anwalt Richter schritt empört zum Mikro. Welches Programm Kailitz | |
denn bitte gelesen habe? „Mit Sicherheit nicht das der NPD.“ | |
In Saal A1.64 des Dresdner Landgerichts liest Maier aus einem Text von | |
Kailitz aus dem Jahr 2007 vor. Es ist der Aufsatz, gegen den die NPD damals | |
wegen eines Zitierfehlers einschritt. „Das ist das Gleiche, was sie in der | |
Zeit geschrieben haben“, sagt Maier. Da ist klar: Der Richter scheint seine | |
Meinung geändert zu haben. Für die einstweilige Verfügung sieht es schlecht | |
aus. | |
Später aber wendet sich der Richter doch den Inhalten zu. Er sagt, er habe | |
nicht den Eindruck, dass Kailitz’ Ergebnisse aus dem NPD-Programm ableitbar | |
seien. Schon in der Verfügung, die er verfasst hatte, hatte er festgelegt, | |
was das Gericht unter Vertreibung versteht: Menschen von einem an den | |
anderen Ort zu schaffen – mit staatlicher Gewalt, ohne gesetzliche | |
Grundlage. Ein solcher Plan finde sich im NPD-Parteiprogramm nicht. Dann | |
liest Maier aus dem Programm der NSDAP vor. Das sei „schon ganz anders in | |
der Diktion“. | |
Kailitz aber geht davon aus, dass es Vertreibungen mit gesetzlicher | |
Grundlage geben kann, er bezieht sich auf das Bundesvertriebenengesetz. Er | |
zieht den Schluss, dass die rechtsextremistische Partei solche | |
Vertreibungen plane. Und ohnehin: Gehört es nicht zur Freiheit der | |
Wissenschaft, dass man seine Begriffe definieren kann? | |
Kailitz hat auch, nicht lange vor der einstweiligen Verfügung, die | |
sächsische Landtagsfraktion der AfD in Interviews als | |
„unterdurchschnittlich“ kritisiert. Auch attestierte er der AfD – Maiers | |
Partei –, sich gerade in Ostdeutschland „Richtung Rechtsextremismus“ zu | |
radikalisieren. | |
Maier bestreitet, dass es hier einen Zusammenhang gibt. Der Wissenschaftler | |
Kailitz sei ihm bisher kein Begriff gewesen. Mit der NPD in Verbindung | |
gebracht werden will er nicht. „Ich bin in der NPD sicher nicht beliebt“, | |
sagte der Richter der taz. Schließlich sei es „eine wichtige Aufgabe des | |
Landesschiedsgerichts, Parteiausschlussverfahren wegen Kontakten zur | |
rechten Szene zu betreiben“. | |
## Auch Richter dürfen einer Partei angehören | |
Keine Verbindung zur NPD? Es gibt einen Facebook-Account eines Jens Maier | |
aus Dresden, Geburtsdatum und Studienort passen. Unter den Freunden finden | |
sich viele AfD-Leute – und zwei prominente Rechtsextreme: NPD-Chef Franz | |
und der NPD-Rechtsbeauftragte Frank Schwerdt. Maier bestätigte der taz, | |
dass er auf Facebook ist, zu dem Account aber will er sich nicht äußern: | |
„Dazu sage ich nichts.“ Nur so viel: „Mit der NPD habe ich nichts zu tun.… | |
Richter dürfen einer Partei angehören, auch der AfD. Je mehr Anhänger die | |
Rechtspopulisten gewinnen, desto häufiger werden sie auch in staatlichen | |
Institutionen vertreten sein. Schon heute gehören Professoren, Polizisten, | |
Lehrer der AfD an. | |
In Berlin arbeitet der AfD-Politiker Roman Reusch als Staatsanwalt – und | |
ist Leiter der Abteilung für die „Auslieferung ausländischer Straftäter“. | |
Am Landgericht Dresden gibt es neben Maier einen zweiten Richter, der | |
AfD-Mitglied ist. Aber: Ein AfDler als Richter in einem solchen Fall? Das | |
Landgericht verteidigt sich: Maier sei nach einem festen Schlüssel | |
zugeteilt worden. Ein Austausch wäre „nicht zulässig gewesen“. | |
Die Empörung aber bleibt. Politiker kritisierten die Entscheidung als | |
„gefährlich“. Günther Heydemann, Direktor des Hannah-Arendt-Instituts, | |
sprach von einer „Einschränkung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit“. | |
Die Vereinigung für Politische Wissenschaft protestierte. | |
Nach einer halben Stunde reagiert NPD-Anwalt Richter auf Maiers Signale: Er | |
zieht den Antrag auf die einstweilige Verfügung zurück, Maier hebt diese | |
auf. Kailitz darf seine Forschungsergebnisse wieder publizieren. Richter | |
kündigt auch an, bereits am Samstag Klage gegen Kailitz einzureichen. In | |
einem so genannten Hauptverfahren wird darüber – wohl nicht vor Ende des | |
Jahres – kein Einzelrichter entscheiden, sondern eine dreiköpfige Kammer. | |
Maier wird ihr aller Voraussicht nach angehören. | |
10 Jun 2016 | |
## LINKS | |
[1] /!5305814/ | |
[2] http://www.zeit.de/2016/18/npd-verbot-demokratie-rechte | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Konrad Litschko | |
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