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# taz.de -- Historiker über „Volksgemeinschaft“: Neuauflage des Nazi-Jargo…
> Ausgrenzung steht im Mittelpunkt: Der Historiker Michael Wildt krtisiert
> den AfD-Gebrauch des NS-Kampfbegriffs „Volksgemeinschaft“.
Bild: Eier spüren keinen Ausschluss, Menschen schon
taz: Herr Wildt, der Begriff der Volksgemeinschaft ist eine tragende Säule
rechter Bewegungen. Teile der Alternative für Deutschland (AfD) versuchen
nun, ihn positiv zu besetzen und in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.
Ist der Begriff der Volksgemeinschaft untrennbar verbunden mit der
Nazizeit?
Michael Wildt: Der Begriff der Volksgemeinschaft wurde vor 1933 von vielen
Parteien in der Weimarer Republik, auch von demokratischen, verwendet. Sie
verwendeten ihn eher inklusiv. Auf der Rechten, insbesondere bei der NSDAP,
ging es dagegen vor allem darum, zu definieren, wer nicht zur
Volksgemeinschaft dazugehören darf. Wer daher, wie die AfD heute, wieder
mit dem Begriff der Volksgemeinschaft politisch hantiert, muss schon
erklären, wie er es mit dem Antisemitismus hält, der mit der
„Volksgemeinschaft“ nach 1933 untrennbar verbunden war.
Gibt es also eine gute und eine schlechte „Volksgemeinschaft“?
Ja und nein. Mit dem Wort „Volksgemeinschaft“ versuchten in der Weimarer
Republik die demokratischen Parteien, die sehr zersplitterte Weimarer
Gesellschaft zusammenzubringen und in die Republik zu integrieren. Das
hatte nichts mit dem nationalsozialistischen Verständnis von
Volksgemeinschaft zu tun. Aber die Nazis konnten durchaus an diesen Begriff
anknüpfen, um ihre antisemitisch und rassistisch ausgrenzende Politik zu
legitimieren.
Wie ging das vor sich?
Es gab in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert die Gegenüberstellung von
Gesellschaft und Gemeinschaft, die man von dem Soziologen Ferdinand Tönnies
kennt, der, nebenbei gesagt, ein Nazigegner war. Tönnies’ Buch wurde viel
in den zwanziger Jahren gelesen. Man las es als Kritik an einer kalten,
marktorientierten, individualistischen Gesellschaft, in der sich jeder
selbst der Nächste ist. Gemeinschaft galt dagegen als warme, solidarische,
genossenschaftlich wirtschaftende Einheit. Diese politische Idealisierung
der Gemeinschaft und noch dazu einer kollektiven Volksgemeinschaft war dann
verbunden mit einer Kritik an individualistischen, liberalen Werten.
Überzogenen Egoismus zu kritisieren muss aber nicht unbedingt antiliberal
sein.
Selbstverständlich nicht. Es geht vielmehr darum, dass eine Gesellschaft
keine nahe Gemeinschaft sein kann. Gesellschaften sind dafür zu groß und zu
heterogen. Diese Vielfalt und Unterschiede homogenisieren zu wollen muss
schon fast zu totalitärem Terror führen, wie bereits Helmuth Plessner in
den zwanziger Jahren in seinem Buch über sozialen Radikalismus geschrieben
hat. Es ist sinnvoller, Gemeinschaft und Gesellschaft nicht als
ausschließende Gegensätze zu verstehen. Gesellschaften brauchen
Gemeinschaften, und Gemeinschaften können nur in Gesellschaften existieren.
Die AfD spricht hauptsächlich davon, was und wer nicht zur
Volksgemeinschaft gehört. Muslime beispielsweise, die nicht vollständig
assimiliert sind, gehörten ausgeschlossen. Und auch Schwule und Lesben
sollten nicht mehr halb nackt öffentlich tanzen dürfen.
Das ist zwar kein Nationalsozialismus, aber dass die Ausgrenzung ein so
zentrales Thema ist, verweist darauf, wie die AfD „Volksgemeinschaft“
versteht. Nicht die Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger, gleich welchen
Geschlechts, welcher Religion oder Hautfarbe, steht im Mittelpunkt, sondern
die Ausgrenzung – wer zu Deutschland dazugehören darf und wer nicht. Und
wer bestimmt denn über diese Kriterien? Wollen wir eine Bundesamt für
deutsche Leitkultur, das vorschreiben würde, was deutsch ist und was nicht?
In der AfD stellt man sich eine völkische Homogenität vor, die es nie gab.
In Deutschland lebten immer verschiedene Ethnien zusammen, und von einer
einheitlichen Kultur kann keinesfalls die Rede sein, wenn man betrachtet,
wie zersplittert die Gesellschaft auch schon vor der Zeit der Weimarer
Republik war. Wenn es denn einen Moment gab, im dem die „Deutschen“ am
ehesten unter sich waren, dann nach dem Zweiten Weltkrieg, als die
Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten kamen.
Von denen erzählte meine schwäbische Großmutter einmal: „Da sind die Männ…
aus dem Osten gekommen und haben uns die Häuser genommen.“
Genau, diese Deutschen aus dem Osten wurden damals als fremdartig und
bedrohlich wahrgenommen. Auch wenn der Vergleich mit den heutigen
Flüchtlingen an manchen Stellen hinkt, gibt es einige Parallelen. In meiner
Nachbarschaft wohnten damals Flüchtlinge aus Schlesien, die wurden generell
als „Polacken“ bezeichnet. Das hat Andreas Kossert sehr schön in seinem
Buch „Kalte Heimat“ dargestellt.
Die Ostvertriebenen stießen auf starke Vorurteile, die man gegen Menschen
aus dem Osten hegte. Ihnen wurde alles Mögliche unterstellt: Wenn etwas
verloren ging oder wenn die Geburtenrate in die Höhe ging, wurde es ihnen
angelastet, selbst für Ungezieferbefall wurde ihnen die Schuld gegeben.
Der rechte Flügel der AfD spricht ja auch gerne von der „Volksgesundheit“,
als wäre das „Volk“ ein Lebewesen, das eben auch krank werden kann und
außerdem einen einheitlichen Willen hat.
Wer ist das Volk? Es gibt einen demokratischen Begriff vom Volk der
Staatsbürger, in dem es um Rechte und um Partizipation geht. Man kann das
Volk aber auch völkisch, ja biologistisch ideologisieren. Dann wird das
Volk zu einem „Volkskörper“, um dessen Gesundheit man sich kümmern müsse.
Und all diejenigen, die angeblich den „Volkskörper“ krank machen, wie
Juden, „Fremdvölkische“, „Gemeinschaftsfremde“ müssen dann „entfern…
werden.
Wenn es nach den „besorgten Bürgern“ geht, ist „Leitkultur“ unsere let…
Rettung.
Nicht eine „Leitkultur“, sondern den Rechtsstaat gilt es zu verteidigen.
Menschen sind mit Rechten ausgestattet, egal welche Sprache sie sprechen
oder woher sie kommen. Menschen haben Rechte und müssen ihrerseits die
Rechte anderer achten. Freiheit kann es nur mit dem Recht geben. Das ist
unsere demokratische Verfassungskultur, die Grundlage für ein
selbstbestimmtes wie soziales Zusammenleben. Wer das angreift, greift
unsere Gesellschaft an.
15 Jul 2016
## AUTOREN
Houssam Hamade
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Volk
Deutsche Leitkultur
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Völkisch
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Lesestück Meinung und Analyse
Antisemitismus
Ambros Waibel
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