| # taz.de -- Potsdamer Tagung über AfD und FPÖ: Von Natur aus widersprüchlich | |
| > Rechte sehen ihre völkische Ideologie als naturgegeben. Die | |
| > Widersprüchlichkeit ihrer Argumentation ist kein Problem, sondern höchst | |
| > erfolgreich. | |
| Bild: Klare Botschaft, ganz naturverbunden | |
| Wenn Rechtsextreme und Rechtspopulisten von „der Natur“ sprechen, dann | |
| meinen sie nicht nur den deutschen Wald. Sie formulieren einen Begriff, mit | |
| dem wesentliche Elemente einer völkischen, antiliberalen und | |
| antiuniversalistischen Ideologie begründet werden sollen. | |
| Der Verweis auf vermeintlich naturgegebene Verhältnisse verleiht nicht nur | |
| dem Unbehagen an der Moderne Ausdruck, sondern eignet sich gut dazu, | |
| Demokratie und individuelle Freiheitsrechte anzugreifen und einzelne | |
| Gruppen als Zersetzer der natürlichen Ordnung zu brandmarken. Wo von der | |
| „natürlichen Ungleichheit“ der Völker, Menschen oder Geschlechter, wo von | |
| homogener Volksgemeinschaft die Rede ist, da ist auch der Antisemitismus | |
| nicht weit. | |
| So könnte man die Ergebnisse der von Stephan Grigat initiierten Tagung „AfD | |
| und FPÖ. Ein Vergleich“ in Potsdam zusammenfassen, die das dort ansässige | |
| Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien (MMZ) in | |
| Kooperation mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands | |
| (DÖW) aus Wien am Montag im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte | |
| organisiert hatte. Programmatik und politische Praxis von AfD und FPÖ | |
| sollten unter den Aspekten Antisemitismus, Nationalismus und | |
| Geschlechterbilder untersucht werden. | |
| ## Organische Gemeinschaften | |
| Heribert Schiedel vom DÖW arbeitete anfangs die Programmatik der FPÖ | |
| heraus, zu der zentral die Behauptung einer „natürlichen Ungleichheit“ von | |
| Menschen und Völkern gehört, die schon im Begriff des „Freiheitlichen“ | |
| sichtbar wird, das eben nicht liberal ist: Die Völker, jene angeblich | |
| „organischen Gemeinschaften“ mit unveränderlichen Identitäten, sind | |
| individuellen Rechten übergeordnet. Eine Menschheit gibt es für die | |
| Freiheitlichen nicht. | |
| Dass die völkisch-nationalen Burschenschaftler wieder stark auf allen | |
| Ebenen der Parteiorganisation vertreten sind, zeigte Schiedels DÖW-Kollege | |
| Bernhard Weidinger. In der Bevölkerung regt sich aber kein großes Bedürfnis | |
| nach einem Anschluss. Auf etwa vier Prozent schätzt Weidinger den Anteil | |
| der Österreicher, die lieber Deutsche wären. Die deutsch-nationale | |
| Ausrichtung schade der FPÖ daher mehr, als sie ihr nütze. | |
| Als Jörg Haider die FPÖ verließ, um 2005 das „Bündnis Zukunft Österreich… | |
| zu gründen, sagte er: „Wir befreien uns aus dem braunen Sumpf.“ Unter dem | |
| Vorsitzenden Heinz-Christian Strache sei die FPÖ dann wieder zurück nach | |
| extrem rechts gerückt, behaupte aber das Gegenteil, konstatierte Heribert | |
| Schiedel. Seit einigen Jahren bekennt sich die FPÖ wieder zur „deutschen | |
| Volksgemeinschaft“. Haider hatte dieses Bekenntnis in den späten Neunzigern | |
| aus dem Parteiprogramm streichen lassen. | |
| Wo die Volksgemeinschaft angestrebt werde, sei der Antisemitismus nicht | |
| weit, argumentiert Schiedel mit Verweis auf Sartre, der meinte, „dass der | |
| Antisemitismus ein verzweifelter Versuch ist, gegen die Schichtung der | |
| Gesellschaft in Klassen eine nationale Union zu verwirklichen“. Der | |
| strukturelle, „codierte“ Antisemitismus komme heute ohne Verweis auf Juden | |
| aus, als „frei flottierender Irrationalismus“ nimmt er in | |
| Verschwörungstheorien Gestalt an. | |
| ## Von Zersetzung bedroht | |
| Eine homogen gedachte Gemeinschaft ist ständig von Zersetzung bedroht. | |
| Draußen dräut der kapitalistische „Globalismus“, drinnen haben sich | |
| antisemitische Stereotypen auf Künstler, Intellektuelle, Muslime | |
| verschoben, sagt Schiedel. Man könnte die Liste wohl auch durch Lesben, | |
| Schwule, Transpersonen, metrosexuelle Männer und alle anderen ergänzen, die | |
| eine natürlich gedachte Geschlechterordnung bedrohen, aber dazu später | |
| mehr. | |
| Sowohl FPÖ als auch AfD versuchen durch einen taktischen Move den Vorwurf | |
| zu entkräften, Teile ihrer Programmatik seien strukturell antisemitisch: | |
| Sie beziehen sich positiv auf Israel. FPÖ-Chef Strache, der früher Kontakte | |
| zur Neonaziszene pflegte, brachte es allerdings fertig, bei einem Besuch | |
| der israelischen Gedenkstätte Jad Vaschem die Kappe der schlagenden | |
| Burschenschaft „Vandalia“ zu tragen. | |
| An Schiedels Überlegungen zum Antisemitismus schloss Karin Stögner an. „Der | |
| verwirrenden Vielfalt des Lebendigen“ werde von den neuen Rechten mit der | |
| Behauptung klarer Identitäten gegenübergetreten. Projektionsflächen für die | |
| ausgelagerten gesellschaftlichen Widersprüche seien historisch Jüdinnen und | |
| Juden gewesen, die als unauthentisch und unverwurzelt betrachtet wurden. | |
| Jüdische Männer gelten aber auch als effeminiert, jüdische Frauen als | |
| Agentinnen der Emanzipation, die sich „dem Primat der Prokreation“ | |
| entziehen. | |
| Stögner sieht eine „Mixophobie“ als wichtigen Bestandteil von Sexismus wie | |
| Antisemitismus. Wie dieses Denken in der Familienideologie der AfD zum | |
| Tragen kommt, zeigte Juliane Lang. Ihre These lautet, der AfD gehe es nicht | |
| um das Wohl von Kindern und Familien, sondern um eine Politik zulasten | |
| einer gesellschaftlichen Vielfalt von familialen Lebensformen. | |
| ## Unschuldsobjekt Kind | |
| Die AfD-Propaganda gegen „Gender-Wahn“, angeblich „staatlich geförderte | |
| Umerziehungsprogramme“ und gegen „Früh-Sexualisierung“ korrespondieren m… | |
| der Denunziation von Gender-Mainstreaming als „Menschenlabor“ durch | |
| FPÖ-Kader. In der Rhetorik der AfD werde das Unschuldsobjekt Kind durch | |
| Feminismus bedroht, meint Lang. | |
| Zur Illustration des Kampfs gegen die Idee der sozialen und sprachlichen | |
| Verfasstheit von Geschlechtsidentitäten verwies Lang auf eine Kampagne, die | |
| auf der Facebookseite der stellvertretenden Vorsitzenden der thüringischen | |
| AfD-Fraktion zu sehen ist. Sie zeigt das Porträt eines Manns in | |
| Ritterrüstung und den Slogan: „Männlichkeit ist kein soziales Konstrukt“. | |
| Ein Mann aus dem Publikum wandte ein, es sei doch widersprüchlich, dass | |
| das, was angeblich natürlich sein soll, durch sprachliche Eingriffe ins | |
| Wanken gebracht werden könne. | |
| Einig waren sich die Vortragenden an diesem Punkt darin, dass die | |
| Widersprüchlichkeit rechtsextremer und populistischer Politik, die den | |
| denkenden Menschen stört, gerade zu ihrer Wirksamkeit beiträgt. | |
| 22 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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