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# taz.de -- AfD-Richter in Dresden: Herr Maier erwacht
> Früher war Jens Maier in der SPD, seit 2013 ist er AfD-Mitglied. Der Mann
> ist Richter – und Protagonist des völkischen Parteiflügels.
Bild: Ist für Richter Jens Maier wohl eher Feindin denn Freundin: Frauke Petry
DRESDEN taz | An dem Tag, an dem über die Zukunft des Richters Jens Maier
entschieden wird, liegen graue Wolken über der Elbe, der getaute Schnee ist
zu Harsch gefroren. Nach der Mittagspause zieht Maier, 54, die Haare licht,
die Brillengläser ohne Rand, langsam einen Rollwagen voll Akten über den
Flur des Landgerichts in Dresden. Es ist der 30. Januar. Maier, von
unauffälliger Gestalt, trägt Robe, weißes Hemd, weiße Krawatte.
Er legt die Akten auf den Richtertisch und drückt die Aufnahmetaste seines
Diktiergeräts. Ein Verkehrsunfall aus dem Jahr 2014 steht an, Schaden:
8.236 Euro. Maier zieht etwas Schnupftabak. Der Beschuldigte, ein
armenischer Lkw-Fahrer, kann kaum Deutsch, die Geschädigte sich nicht mehr
erinnern, wie das damals nun war. Sie gibt trotzdem dem Armenier die
Schuld, widerspricht sich aber. Maier nimmt es hin, freundlich, geduldig
wie ein Mediator. „Sie sind ein gefragter Mann“, sagt er, ohne Schärfe, als
das Handy des Anwalts zum zweiten Mal klingelt. Die Frau sagt, dass
vielleicht doch sie dem Armenier ins Auto gefahren ist. „Erledigt“, sagt
Maier. Dann eben kein Schadenersatz.
„Konsenskultur“ nennt er das. „Im Gericht wollen wir, dass die Leute sich
einigen.“ Draußen ist es anders. Da geht es nicht um Blechschaden, sondern
um Deutschland. Und „im Politischen“, sagt Maier, herrsche „Streitkultur�…
da „gilt die Freund-Feind-Unterscheidung“.
Zwei Wochen ist es her, da ist Jens Maier endgültig in diese Welt getreten.
Es ist der 17. Januar, als Maier klarstellt, wer sein Freund ist:
Thüringens AfD-Chef und Partei-Rechtsaußen Björn Höcke. Und „das ist
natürlich eine Kriegserklärung an zig andere“. Zum Beispiel an die
AfD-Vorsitzende und Höcke-Gegnerin Frauke Petry, auch sie ist aus Dresden.
## Einheizer für Björn Höcke
An jenem 17. Januar lädt die Junge Alternative Höcke ein in das Brauhaus
Watzke in Dresden, die „Hauptstadt des Widerstands“, wie sie es nennt. Als
Einheizer verpflichtet sie Maier. „Wir haben es da schon richtig krachen
lassen“, sagt Maier später über den Abend. Draußen demonstrieren Grüne und
Antifas, drinnen sitzen Pegidisten bei Altpieschner Pilzgulasch und
Watzke-Pils. „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein
Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“, sagt
Höcke. Das macht Schlagzeilen. Maier aber geht weiter: Den Deutschen sei
„nach 1945 vor allem von den Westalliierten eingeredet worden, dass wir
Sauhunde, Verbrecher, nichts wert sind“, sagt er. Er klagt über
„Umerziehung“, nach der „Auschwitz praktisch die Folge der deutschen
Geschichte wäre“. Er raunt von einer „Zuspitzung der Verhältnisse“, die
„bald eintreten wird“, beklagt die „Herstellung von Mischvölkern“, die…
„nationale Identität auslöschen und dann die Abgabe der Souveränität an d…
EU“ folgen lassen. Und dann erklärt er „hiermit diesen Schuldkult für
beendet, für endgültig beendet“.
Die AfD Sachsen setzt ihn dafür zehn Tage später auf Platz 2 ihrer
Landesliste – gegen den Willen Petrys. Im Bundestag ist er so fast sicher.
Petry will ihn aus der Partei werfen lassen, wird dafür aber heftig
angefeindet, ihr entgleiten weite Teile der sächsischen Parteibasis.
Maier stammt aus Bremen, bis 1986 ist er dort in der SPD. Die ist heute für
ihn nur noch „Instrument der Asylindustrie und der Bankerlobby“. 1991 zieht
er nach Dresden, 1997 kommt er an das Landgericht, 2013 zur AfD.
Am Morgen des Tages, an dem Höcke und Maier im Watzke das Ende deutscher
Nationalschuld ausrufen, weist das Bundesverfassungsgericht den
NPD-Verbotsantrag des Bundesrats zurück. „Ich nehme an, dass viele der
Kameraden jetzt am Feiern sind“ – so beginnt Maiers Rede im Watzke.
## Darf so jemand politische Verfahren führen?
Das Verbotsverfahren hatte ihm Bekanntheit gebracht. Sachverständiger dort
war der Dresdner Politologe Steffen Kailitz. Der wirft der NPD vor,
„Millionen deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund“ vertreiben zu
wollen. Die NPD verklagt ihn deshalb – am Landgericht Dresden. Zuständig
für das Verfahren: Jens Maier. Am 10. Mai 2016 entscheidet er, dass Kailitz
seinen Befund über die NPD nicht wiederholen darf. Im Watzke nennt Maier
die NPD „die einzige Partei, die immer geschlossen zu Deutschland gestanden
hat“. Wegen „Nazi-Nostalgie“ sei sie allerdings „nicht zukunftsfähig�…
jetzt, sagt Maier, „sind wir da, die neue Rechte“.
„Maiers Radikalisierung ist für mich keine Überraschung“, sagt Kailitz
heute. Als die Klage der NPD gegen ihn läuft, entdeckt er unter Maiers
zwischenzeitlich offenbar gesäuberter Liste mit Facebook-Freunden führende
NDP-Politiker. Seit dem Abend im Watzke sei eine Radikalisierung der
sächsischen AfD „klar zu beobachten“, sagt Kailitz. Maier sei mittlerweile
eine zentrale Figur im Landesverband, wichtiger Protagonist des völkischen
Flügels.
Darf so jemand als Richter politische Verfahren führen? Nach der Rede im
Brauhaus „war natürlich gleich Krisensitzung“, sagt Maier. Das Landgericht
prüft, ob er gegen das sogenannte Mäßigungsgebot für Richter – also die
Pflicht, sich so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Unabhängigkeit des
Amtes nicht gefährdet wird – verstoßen hat. „Hoffentlich bleibe ich
Richter“, sagt Maier bei einer AfD-Veranstaltung. Die entscheidende Sitzung
des Gerichtspräsidiums ist am Abend des 30. Januar.
## Auf Fragen keine Antworten
Kurz davor endet die Verhandlung gegen den Lkw-Fahrer. Maier packt
zusammen. „Sie sind wegen dem Nazi-Richter hier, stimmt’s“?, fragt er.
Immerhin. Die Presse wolle ja nie mit ihm reden. Die Sache mit dem Abend im
Brauhaus Watzke sei vor allem ein Missverständnis, sagt er. Aufgebauscht.
Eine Kampagne der Medien gegen die AfDler, die keine Profis, sondern „nur
eine Laienspielschar“ seien. Es gäbe viel, was man ihn fragen wollte. Wie
er eigentlich so geworden ist, das vor allem. Doch Maier lehnt ab. Alles
werde immer aus dem Zusammenhang gerissen. Schriftlich könnte er antworten.
Aber Antworten auf die Fragen kommen nie. Mails und Anrufe ändern daran
nichts.
Am Abend entscheidet das Gerichtspräsidium: Maier bleibt Richter. „Wir
haben den Geschäftsverteilungsplan geändert“, sagt der Sprecher Thomas
Ziegler. Prozessbeteiligte, so das Gericht, hätten Zweifel, dass Maier als
AfDler „unbefangen“ über „stark politisch geprägte Fragen“ richten k�…
Maier darf jetzt keine Mediensachen und Klagen wegen Verletzung des Rufes
und der Ehre verhandeln. „Auch zu seinem Schutz“, sagt Ziegler. „Es ist ja
ungünstig wenn man wegen Befangenheit abgelehnt wird.“
Maier kann die Radikalisierung der Partei, die Gauland von oben betreibt,
von nun an ungehindert an die sächsische Basis bringen. Hier füllt er
offensiv die Leerstelle am rechten Rand, die die sich gemäßigt gebende
Petry lässt. Er zeigt sich mit Höcke, nennt ihn „meine Hoffnung“ und füh…
die AfD in ihrem Kernland Sachsen so weg von Petry. Er bildet ein neues
Machtzentrum des „Flügels“, wie der Höcke-Trupp sich nennt.
Im März nennt Maier Migration „umgekehrte Kolonialisierung“. Statt Kanonen
hätten die Migranten heute Bilder wie das des Toten syrischen Jungen Aylan
Kurdi, „um uns auszubeuten“. Das sei „die Strategie der Kriegsführung, d…
die fahren“. Von so erzeugtem „moralischen Gewäsch“ dürften „wir uns …
Land nicht kaputt machen lassen.“ Im April hört ein Zeit-Reporter, wie
Maier bei einer Veranstaltung bei Pirna sagt, der norwegische
Rechtsterrorist Anders Breivik sei „aus Verzweiflung heraus zum
Massenmörder geworden“, ob der Einwanderung von „Kulturfremden“. Petry
nennt dies eine „beispiellose Geschmacklosigkeit“ und beantragt Maiers
Parteiausschluss. Die Basis tobt. Maier unterläuft Petrys Bemühen um
bürgerliche Anschlussfähigkeit jetzt gezielt: Im Juni tritt Maier bei
Pegida auf, nennt die Anwesenden „Freunde“ und wirft Petry „Abgrenzeritis
von Pegida“ vor. Freund-Feind-Unterscheidung.
## Die Dresdner AfD hält zu ihm
Im August fordert er auf dem Dresdener Neumarkt unter „Maier, Maier“-Rufen
des Publikums „dass Deutschland wiederaufersteht“. Die Dresdner AfD steht
zu ihm. Die einen wegen seiner radikalen Töne, die anderen glauben, dass er
alles nicht so meint. An einem Freitag im September hat der Ortsverband
einen Stand vor der Universität aufgebaut. Höcke und Maier „die stehen für
Bismarck und für Deutschland und lassen sich nicht vom Zeitgeist
verbiegen“, sagt Hans-Joachim Klaudius. Warum Maier keine Interviews gebe?
Die Situation nach dem Abend im Watzke sei für Maier „schwierig“ gewesen.
„Er wollte eben keine Fehler machen“, sagt Klaudius. „Er hat keine Fehler
gemacht“, sagt ein Dabeistehender.
Ein alter Mann kommt zum Stand. Er will einen „Aufkleber vom Maier“. Er war
Elektroingenieur, den Namen „kann ich nicht sagen, es gibt ja keine
Sicherheit in diesem Land mehr“. Nach der Wende habe er die CDU gewählt.
Aber das sei nicht mehr möglich. „Dieser Staat hat total versagt“, nicht
nur in der Flüchtlingspolitik, „auch bei Schule und Familie“. Die FDP „h…
die Homosache so hochgespielt, wenn die jungen Leute so was sehen, dann
sagen die doch, das will ich auch ausprobieren. Das ist doch nicht normal.
Wenn es keine Familie gibt, gibt es keine Kinder. Aber das will dieser
Staat ja auch gar nicht mehr. Der holt hier lieber die Neger rein.“
Daneben steht Michael Baitinger, ein Chemiker am Max-Planck-Institut,
früher Linker, heute „weder links noch rechts“, sagt er. Als er in die AfD
eintrat, hatte er Zweifel, ob die Partei ihn, Mann einer Taiwanesin, mit
einem gemeinsamen Sohn, akzeptieren würden. Doch das sei geschehen. Für ihn
ein Beleg, dass die AfD „multiethnisch“ sei, „im Unterschied zur NPD“.
Maiers Rede hat ihn irritiert. „Ich habe ihn gefragt, ob er ein ethnisch
homogenes Deutschland will.“ Maier verneinte, sagt Baitinger. „Es war sehr
vernünftig, ohne Radikalität, hat sich stark abgegrenzt zum ethnischen
Nationalismus.“ Er fühle sich „missverstanden“, habe er Baitinger gesagt.
„Ich habe ihm gesagt, so jemand müsste in der Lage sein, sich klar
auszudrücken.“ Aber in einer Partei müssten ja auch nicht immer alle einer
Meinung sein.
So lässt der gemäßigte Teil der Partei Maier und Höcke gewähren. „Der
Einfluss des rechtsextremen, völkischen Flügels wächst“, sagt Kailitz. Wie
weit, ist offen. Nur Frauke Petry, glaubt er, werde aufgrund der
Kräfteverhältnisse „keine Zukunft in der Partei“ haben.
12 Sep 2017
## AUTOREN
Christian Jakob
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