# taz.de -- Verdeckte Ermittler: Illegal oder nur verwerflich?: „Ein Stück w… | |
> Die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes über den verdeckten Einsatz von | |
> Astrid O. in der Hamburger linken Szene. | |
Bild: Zeitweise sollen sogar zwei verdeckte Ermittlerinnen gleichzeitig im Umfe… | |
taz: Frau Zerbes, war der verdeckte Einsatz von Astrid O. in der linken | |
Szene illegal? | |
Ingeborg Zerbes: Nicht von vornherein: Es gibt zwei mögliche | |
Rechtsgrundlagen, um einen solchen verdeckten Einsatz zu legitimieren, | |
einmal nach § 110a der Strafprozessordnung zur Aufklärung einer Straftat … | |
… aber das scheint es ja hier nicht gewesen zu sein. | |
Nein, aber es gibt auch die Möglichkeit eines vorbeugenden Einsatzes: | |
Dessen Rechtsgrundlage findet sich im Gesetz über die Datenverarbeitung der | |
Polizei. | |
Das PolDVG. Das war Grundlage, das bestätigt die Hamburger Polizei. | |
Das PolDVG erlaubt in § 12 den Einsatz eines verdeckten Ermittlers, wenn | |
dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person | |
erforderlich ist, oder aber, und da wird es ein wenig schwammig, wenn | |
erwartet wird, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden | |
sollen und der Einsatz des verdeckten Ermittlers zur Verhütung dieser | |
Straftaten erforderlich ist. Dieses Einsatzfeld ist von vornherein eher auf | |
die Ermittlung innerhalb von Gruppen zugeschnitten, da für eine Ausrichtung | |
auf bestimmte Personen weitere Voraussetzungen erforderlich sind. Außerdem | |
muss die Staatsanwaltschaft den Einsatz bewilligen, außer es wäre Gefahr im | |
Verzug gegeben, aber das können wir bei dieser langen Einsatzdauer | |
ausschließen. | |
Frau O. scheint allerdings Interesse an mehr als nur einer Gruppe gehabt zu | |
haben, sie hat Jugendarbeit gemacht, Gruppen mitgegründet und war später in | |
der sehr angesehenen Antirepressionsgruppe aktiv. Also scheint die ganze | |
Szene für sie wichtig zu sein: Wo verlaufen die Grenzen eines solchen | |
Einsatzes? | |
Problematisch ist, dass man das nicht ganz genau sagen kann. Es steht eben | |
gerade nicht fest, ab welchem Zeitpunkt eine Person als Teil einer Szene | |
bewertet und deshalb Gegenstand der Beobachtung wird. Das ist weniger eine | |
Frage der Legalität, denn der Einsatz findet ja auf gesetzlicher Grundlage | |
statt, wir stehen vor einem Legitimationsproblem: Der eigentliche | |
Eingriffsanlass lässt sich nicht mehr klar definieren. Eine Vielzahl sozial | |
völlig adäquater Verhaltensweisen lässt sich theoretisch bereits als | |
Hinweis auf Szenenzugehörigkeit deuten, eine Art sich zu kleiden etwa, eine | |
bestimmte Frisur, bestimmte Redensarten, bestimmte Kontakte. | |
Frau O. soll sich sogar ein rückenfüllendes Tattoo habe stechen lassen … | |
So etwas und auch sonstige alltägliche Vorgänge und Verhaltensweisen | |
könnten grundsätzlich dazu führen, dass man mit ins Visier der Ermittlungen | |
gerät: dass ich mit Ihnen, einem Journalisten eines politisch klar | |
definierten Blattes, spreche, oder Sie mit mir, dass man der Szene | |
zugerechnete Personen rechtlich berät – in Österreich waren etwa radikale | |
Tierschützer eine Zeit lang Gegenstand intensiver verdeckter | |
Ermittlungsarbeit – oder dass man Freunde hat, die einer als gewaltbereit | |
geltenden Gruppe zugerechnet werden und so weiter. Nun sind derart diffuse | |
Eingriffsanlässe bei langfristigen verdeckten Ermittlungen in einer Szene | |
geradezu zwingend, und es stellt sich die Frage, ob sie mit unserem | |
rechtsstaatlich-liberalen Freiheitsverständnis vereinbar sind. | |
Das heißt …? | |
Damit meine ich Folgendes: Wer nicht unter Verdacht steht, eine Straftat | |
begangen zu haben oder eine solche zu planen, muss grundsätzlich nicht mit | |
Eingriffen gegen seine Person rechnen. Er hat, wie es Erhard Denninger, ein | |
berühmter Polizeirechtler, einmal formuliert hat, „das Recht, vom Staat in | |
Ruhe gelassen zu werden“. Eingriffsanlässe, die an so etwas wie | |
Szenenzugehörigkeit oder Szenenkontakt anknüpfen und daher jenseits eines | |
konkreten Verdachts oder einer konkreten Gefahr angesetzt sind, bewirken | |
eine Beschränkung dieses traditionell eingriffsfreien Bereichs. Dessen | |
müssen wir uns bewusst sein. | |
Nun hat diese Frau O. einen Antifa-Jugendclub mitgegründet, das Café | |
Mafalda, wo Filmabende mit veganem Kochen veranstaltet wurden, | |
Strickworkshops und dann noch einmal im Monat eine Urban Art Lounge, mit | |
Sprayerworkshop: Ist denn gemeinsam Stricken eine Straftat von erheblicher | |
Bedeutung? | |
Das Stricken sicher nicht: Dadurch versucht sie, die für ihren Einsatz | |
notwendige Legende glaubhaft zu machen. Sprayen aber kann zu einer | |
strafbaren Sachbeschädigung führen. | |
Eine Sachbeschädigung soll den Rechtsfrieden erheblich stören? | |
Im Einzelfall sicher nicht, aber eine organisierte Form der Begehung könnte | |
dazu führen, sie entsprechend zu bewerten. Ich würde das nicht, aber es | |
ließe sich wohl vertreten. | |
Aber wenn Sie dieses Café selbst mitgegründet hat, hätte sie ja überhaupt | |
erst die Basis dafür geschaffen, dass sich Gleichgesinnte zur gemeinsamen | |
Sachbeschädigung verabreden. Dann hätte der Einsatz den Einsatzgrund erst | |
hervorgerufen. Kann denn das sein? | |
Ihr Einsatz war nur dann legal, wenn die Erwartung, dass entsprechende | |
Straftaten begangen werden, schon vorher bestanden hat. Es muss einen | |
Einsatzbefehl geben, in dem der Eingriffsgrund – die Erwartung der | |
Straftaten – und die Ziele konkret bestimmt werden. Dass sie den | |
Eingriffsgrund erst selbst schafft, ist rechtlich nicht gedeckt. | |
Dann wäre wahrscheinlicher, dass sie die Jugendarbeit betrieben hat, um da | |
Szene-Credibility aufzubauen und dann die Antirepressionsgruppe entern zu | |
können? | |
Das kann sehr gut so sein. Man muss sich erst einmal in den Randbezirken | |
aufhalten, um in die Hardcore-Szene vorzustoßen. Es ist, denke ich, mit der | |
Idee des verdeckten Ermittlers verknüpft, dass man sich eine Zeit lang in | |
den Zusammenhängen bewegt, die man aufklären soll. Das ist gleichzeitig ein | |
Problem, weil dadurch der Einsatz verlängert wird und auch mehr | |
Unbeteiligte betroffen sind: Je länger ein Eingriff dauert, desto | |
schwerwiegender ist er – und desto schwerer müssten die Gründe wiegen, | |
damit er verhältnismäßig bleibt. Und bei sieben Jahren müsste man schon | |
sehr gut argumentieren: Der Einsatz muss jeden Tag begründet sein. | |
Müsste es dafür nicht erkennbare Erfolge geben? | |
Grundsätzlich ja. Wenn über lange Zeit keine Vorbereitung einer Straftat | |
beobachtet wird, dann lässt sich die Erwartung, dass es zu solchen kommt, | |
irgendwann nicht mehr aufrecht erhalten – und der Eingriffsgrund schwindet. | |
Spielt dabei eine Rolle, dass insbesondere Menschen zwischen 14 und 21 | |
Jahren betroffen waren? | |
Ja. Junge Menschen sind mit äußerster Schonung zu behandeln. Das gilt im | |
Strafrecht, das gilt auch im Polizeirecht. Der Verlust des Vertrauens in | |
soziale Bindungen wiegt schwerer als bei einem Erwachsenen. Jugendliche | |
sind verletzlicher. | |
Ist es nicht paradox, dass man eine Szene, die man für gefährlich hält, | |
stärkt, um sie zu beobachten – indem man über V-Leute Geld hineinpumpt, | |
oder wie hier, Strukturen und Institutionen wie das Café aufbaut und am | |
Laufen hält? | |
Ja, da besteht ein Widerspruch. Wenn man sich in eine Szene begibt, um | |
etwas über sie zu ermitteln, muss man sich dort integrieren und somit auch | |
Distanz zur Szene aufgeben. | |
Sich darauf ohne eine gewisse Nähe zu ihr einzulassen, geht nicht? | |
Ich halte das für ausgeschlossen. Das gibt es vielleicht im Film, aber in | |
der Wirklichkeit wohl nicht, schon gar nicht über so einen langen Zeitraum. | |
Man muss Teil einer solchen Szene werden, sich auf sie einlassen – dabei | |
kann man emotional nicht völlig unberührt bleiben. Das hinterlässt Spuren. | |
Frau O. hat sich laut Berichten tätowieren lassen, hat über sieben Jahre in | |
diesen Zusammenhängen gelebt, vieles mitgemacht, mitdiskutiert; das spricht | |
alles für einen starken Bezug. Und gleichzeitig ist sie immer diejenige, | |
die alle verrät – das muss extrem belastend sein. Ein Stück weit tut sie | |
mir leid. | |
28 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
Hamburg Schanzenviertel | |
Rote Flora | |
Verdeckte Ermittler | |
Verdeckte Ermittler | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Verdeckte Ermittlerin | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
Verdeckte Ermittlerin | |
Spitzel | |
Rote Flora | |
Undercover | |
Hamburg | |
Verdeckte Ermittler | |
Staatsschutz | |
Spitzel | |
Innensenator Michael Neumann | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
Rote Flora | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verdeckte Ermittlerin bald vor Gericht: Spitzelin verklagt Bespitzelte | |
An der Roten Flora prangten die Gesichter verdeckter ErmittlerInnen. Eine | |
Beamtin fühlt sich nun in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt. | |
Marily Stroux über ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz: „Ich werde … | |
Die Fotojournalistin, die den Konflikt um die Hafenstraße begleitete, hat | |
ihre Akte eingesehen und wundert sich über die Bewertungen des | |
Geheimdienstes. | |
Handelte verdeckte Ermittlerin illegal?: In doppelter Mission | |
Die Enttarnung der verdeckten Ermittlerin Astrid O. in der linken Szene | |
Hamburgs beschäftigt erstmals das Parlament. Der Senat will schnell ein | |
neues Gesetz. | |
Verdeckte Ermittler in Hamburg: Die Polizei außer Rand und Band | |
In Hamburgs linker Szene ist die dritte Polizeispitzelin in eineinhalb | |
Jahren aufgeflogen. Was rechtfertigt eigentlich diesen Aufwand? | |
Affäre um verdeckte Ermittlerin: Hamburgs Polizei verfassungswidrig | |
Die Polizei verteidigt ihren Einsatz beim Radio FSK. Gegen ein Urteil des | |
Bundesverfassungsgerichts will sie den presserechtlichen Schutz aushebeln. | |
Kommentar Enttarnung in Roter Flora: Schlag ins Gesicht | |
Eine weitere Ermittlerin in der Roten Flora wurde enttarnt. Das | |
dokumentiert die Hinterhältigkeit und Fehlerhaftigkeit des Systems. | |
Dritte verdeckte Ermittlerin in Hamburg: Falsches Spiel mit falschen Haaren | |
In der Hamburger linken Szene ist eine weitere verdeckte Polizistin | |
enttarnt worden. Sie soll sich über Jugendprojekte eingeschleust haben. | |
Verdeckte Ermittlerin „Maria Block“: Undercover-Einsatz bricht mit Tabus | |
Die Polizistin Maria B. ermittelte zwischen 2008 und 2012 nicht nur in der | |
linken Szene Hamburgs. Auch Linke im EU-Parlament soll sie ausspioniert | |
haben. | |
Befugnisse überschritten: Polizei macht auf Spionage | |
Der jahrelange Einsatz der verdeckten Ermittlerin Maria B. hatte Züge von | |
Geheimdienstmethoden, die der Polizei ohne konkrete Gründe nicht zustehen. | |
Verliebt in die Falsche: Unter fremden Laken ermittelt | |
Hamburgs Parlament hat sich wieder mit den verdeckten Ermittlerinnen Iris | |
P. und Maria B. beschäftigt. Jetzt ist es offiziell: Es gab | |
Liebesbeziehungen zu Zielpersonen. | |
Undercover-Methoden in Hamburg: Verdeckter Einsatz kommt vor Gericht | |
Der Radiosender FSK klagt wegen der verdeckten Ermittlerin Iris P. gegen | |
die Innenbehörde. Auch eine Ex-Geliebte der Polizistin zieht vor Gericht. | |
Hamburger Szene-Spitzel: Langsame Aufarbeitung | |
Im Fall zweier Spitzel in der linken Szene sind viele Fragen offen. Ein | |
Untersuchungssausschuss findet noch keine breite Unterstützung. | |
Kommentar Spitzelaffäre Iris P.: Keine Vorwürfe an die Opfer | |
Die Vorwürfe von Innensenator Michael Neumann an die Opfer der | |
polizeilichen Spitzelaffäre sind verwerflich. | |
Ermittlungen gegen Ermittlerin: Überstunden auf Mallorca | |
Gegen die verdeckte Hamburger Ermittlerin Iris P. und zwei Vorgesetzte sind | |
Ermittlungen eingeleitet worden. Es geht um Liebesbeziehungen und | |
Urlaubsreisen. | |
Verdeckte Ermittlerin in der Roten Flora: Einsatz in rechtsfreiem Raum | |
Eine LKA-Beamtin spitzelte sechs Jahre lang in der linken Szene Hamburgs | |
und im autonomen Zentrum Rote Flora. Acht Jahre danach ist sie aufgeflogen. |