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# taz.de -- Ermordete Säkulare in Bangladesch: Mörderische Konkurrenten
> Seit 2013 sind 25 Menschen von Islamisten ermordet worden. Dahinter
> stecken zwei Gruppen, die dem IS und al-Qaida nahestehen.
Bild: „Die Luft wird dünn“: Ein Student gedenkt des ermordeten Professors …
BERLIN taz | Ein italienischer Priester, ein japanischer Bauer und ein
hinduistischer Schneider. Dazu viele atheistische und säkulare Blogger,
aber auch Universitätsdozenten und homosexuelle Verleger – inzwischen gibt
es gut zwei Dutzend Ermordete überall in Bangladesch. Mal wurden sie mit
Macheten zu Tode gehackt, mal erschossen. Meist haben sie wenig miteinander
zu tun – außer dass sie für Islamisten ein Feindbild darstellen:
„Ungläubige“, „Irregeleitete“, „Gotteslästerer“, „Unnatürliche…
2013 begann in Bangladesch die islamistisch motivierte Mordserie,
prominente Fälle gab es zuletzt Ende April. Xulhaz Mannan, der Herausgeber
von Bangladeschs erstem LGBT-Magazin, wurde gemeinsam mit einem Bekannten
in seiner Wohnung mit Macheten niedergestreckt. Eine Islamistengruppe mit
Verbindungen zu al-Qaida bekannte sich zu dem Mord. Nur zwei Tage zuvor war
im Nordwesten des Landes der Englischprofessor Rezaul Karim Siddique
enthauptet worden. Der sogenannte Islamische Staat (IS) übernahm die
Verantwortung und schrieb, Siddique habe zum Atheismus aufgerufen.
Al-Qaida und die Terrormiliz IS, zwei weltbekannte Terroristengruppen,
agieren in Bangladesch? Das ist neu. Obwohl es in Bangladesch bereits
mehrere Islamistengruppen gegeben hat und Islamisten sogar an Regierungen
beteiligt waren, bestand selten eine Verbindung zum internationalen
Dschihadismus. So behauptet auch die Regierung seit 2013 hartnäckig, in
Bangladesch gebe es weder al-Qaida noch den IS. Wären da nicht die Toten.
Seit 2011 ist die al-Qaida nahestehende Gruppe „Ansarullah Bangla Team“
(ABT) aktiv. In den letzten drei Jahren soll die Gruppe zehn Menschen
ermordet haben, darunter Blogger und Publizisten und zuletzt auch Xulhaz
Mannan und Tanay Majumder. Zunächst waren Mitglieder der Gruppe lediglich
als Übersetzer aktiv: Im Mai 2012 veröffentlichte sie eine bengalische
Übersetzung von „The Dust Will Never Settle Down“, einem Vortrag des
jemenitisch-amerikanischen Al-Qaida-Ideologen Anwar al-Awlaki.
Es folgten weitere dschihadistische Texte, Anleitungen zur anonymen
Internetnutzung sowie ein Handbuch über „Techniken des stillen Tötens“.
## Schwierige Geschichtsaufarbeitung
2013 ging die Gruppe von der Theorie zur Praxis über. Das erste Opfer des
ABT war der Blogger Rajib Haider, der am 15. Februar 2013 überfallen und
ermordet wurde. Haider war kein zufälliges Opfer: Die Gründe, die
neuerdings „atheistische Blogger“ ins Visier der Islamisten gerückt haben,
hat mit Bangladeschs Aufarbeitung seiner Geschichte zu tun.
Seit 2010 laufen in Bangladesch Kriegsverbrecherprozesse, angeklagt sind
vor allem Politiker der islamistischen Partei Dschamaat-i-Islami (JI), die
im Unabhängigkeitskrieg 1971 mit den besetzenden pakistanischen Truppen
kollaborierte. Im Februar 2013, wenige Tage vor Haiders Ermordung,
verhängte das Gericht ein Urteil: lebenslange Haft für Abdul Kader Mollah,
dem Hunderte Morde aus der Zeit des Unabhängigkeitskriegs zur Last gelegt
wurden. Vielen Bangladeschern erschien die Strafe zu gering.
Bei einer Antiregierungsdemonstration in der Hauptstadt Dhaka forderten
rund 100.000 Teilnehmern die Todesstrafe für Mollah. Unter Druck geraten,
veränderte die Regierung Gesetze so, dass er noch nachträglich zum Tode
verurteilt werden konnte. Ende 2013 wurde er gehängt.
Den Massenprotest hatte unter anderem Rajib Haider und andere säkulare
Blogger organisiert, die anschließend auch ein Verbot „religionsbasierter
Parteien“ forderten. Die Islamisten der JI versuchten im Gegenzug, die
Proteste und das Einknicken der Regierung als Angriff auf den Islam
darzustellen. Seine Mörder kamen nach Polizeiangaben sowohl aus der
JI-Jugendorganisation als auch aus dem ABT.
Inzwischen sind zwei Männer wegen des Haider-Mordes zum Tode verurteilt
worden, fünf weitere bekamen Haftstrafen. In den vergangenen Jahren hat die
Polizei knapp 40 mutmaßliche Mitglieder des ABT festgenommen, doch die
Morde gehen weiter. In nur zwei der restlichen Fälle sind bisher
Verdächtige ermittelt worden.
## Minister kritisieren die Mordopfer
Die Reaktion der bangladeschischen Regierung ist meist verhalten – oft
werden die Mordopfer sogar von Ministern für ihre „antireligiösen“ oder
„beleidigenden“ Aktivitäten kritisiert. Auch in der Bevölkerung haben
Atheisten oder Homosexuelle wenig Sympathien. Mit ihrer Zurückhaltung will
die Regierung wohl dem Vorwurf entgegentreten, antiislamisch zu sein.
Zugleich wird mit den getöteten Säkularen auch eine Opposition von links
zum Schweigen gebracht, deren Potenz im Frühjahr 2013 deutlich wurde.
In den vergangenen Jahren agiert die Mitte-links-Regierung unter
Premierministerin Sheikh Hasina Wajed von der Awami-Liga zunehmend
autokratischer. Mit den Kriegsverbrecherprozessen und einem anschließenden
Verbot der Islamistenpartei JI ist eine gut organisierte Oppositionspartei
ausgeschaltet worden. Die konservative Volkspartei Bangladesh Nationalist
Party (BNP) spielt auch nur noch eine marginale Rolle, seit sie die letzte
Wahl boykottierte, weil sie bezweifelte, dass diese fair ablaufen werde,
und das Parlament somit der Awami-Liga überließ.
Wajeds Regierung selbst ist in den vergangenen Monaten häufig gegen
Journalisten vorgegangen, unter anderem gegen den Chefredakteur der
liberalen englischsprachigen Zeitung Daily Star. „Die Luft für freie
Meinungsäußerung wird in Bangladesch dünn“, sagt die
Menschenrechtsaktivistin und Anwältin Sara Hossain der taz. „Säkulare und
progressive Stimmen sind gerade von allen Seiten unter Druck.“
## Pistolen und Macheten
Der erste Mord der IS-Gruppe fand erst im Herbst 2015 statt, als das ABT
bereits sieben Morde zu verantworten hatte. Seitdem hat der IS die
Konkurrenz aber locker überholt: 13 Tote gehen auf das Konto der
Terrormiliz. Deren Opfer sind selten Atheisten oder Säkulare, sondern vor
allem Ausländer, Hindus, aber auch muslimische Minderheiten, wie Schiiten
und Ahmadiyya. Und während das ABT meist mit Macheten mordet, haben die
Täter vom IS offenbar zudem Zugriff auf Pistolen mit Schalldämpfer und
sogar Maschinengewehre.
„Die Gruppen sind zweifellos Ableger von al-Qaida und IS“, sagt der
bangladeschisch-schwedische Journalist Tasneem Khalil der taz, der die
Aktivitäten der Islamisten seit einiger Zeit erforscht. „Sie beziehen sich
auf die Mutterorganisationen und werden von diesen anerkannt.“ Es gibt
mehrere Bangladescher, die inzwischen sowohl in Afghanistan für al-Qaida
als auch in Syrien für den IS kämpfen. So berichten in einem YouTube-Video
mehrere Männer von ihren Erfahrungen in Afghanistan, während die
Aprilausgabe des IS-Magazins Dabiq einen in Syrien getöteten Bangladescher
als „Märtyrer“ feiert.
Die Gruppen agieren offenbar nicht gemeinsam. Die Übergänge zwischen ABT
und der JI-Jugendorganisation sind fließend. Der angebliche IS-Kommandeur
für Bangladesch beschimpft dagegen im IS-Magazin die JI als Abtrünnige, die
sich der „Religion der Demokratie“ verschrieben hätten.
Die Hinrichtungen nach den Urteilen des Kriegsverbrechertribunals sieht er
als Strafe Gottes.
22 May 2016
## AUTOREN
Lalon Sander
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Bangladesch
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