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# taz.de -- LGBT in Bangladesch: Unter ständiger Beobachtung
> Zwei Morde sorgten 2016 dafür, dass die hoffnungsvolle Bewegung abflaute.
> Jetzt wollen Aktivist*innen sie erneuern und planen ein queeres Archiv.
Bild: Transgender protestieren im September 2016 gegen die Ermordung des LGBT-A…
Queer ist in Bangladesch in diesen Tagen nicht queer – „eigenartig“ –,
sondern unauffällig, angepasst. Nur und Tasnim identifizieren sich beide
nicht eindeutig mit einem Geschlecht, doch auf den ersten Blick ist das
nicht zu erkennen: Nur ist groß, in Hemd und Hose gekleidet, und trägt
Vollbart. Tasnim klein und zierlich in einem Salwar Kamis. Auf der Straße
würden sie Fremde klar einordnen: Nur ist ein Mann, Tasnim eine Frau. Sie
sind es nicht, aber in Dhaka ist es heutzutage sicherer, nicht aufzufallen.
Deshalb haben die beiden Aktivist*innen hier keinen Nachnamen.
Wir treffen uns absichtlich nicht in der Öffentlichkeit, um freier sprechen
zu können. Sie empfangen mich deshalb im Wohnzimmer eines Apartments – für
das Gespräch bleibt die Tür zu. Beide fasten nicht, trotzdem gibt es
abendliche Snacks wie zum Fastenbrechen. Nichts soll eigenartig, queer
wirken. Um ihrer Sicherheit willen heißen sie für diesen Artikel ganz
anders.
„Die Szene in Dhaka war schon immer sehr geheim, sehr vorsichtig“, sagt
Tasnim. „Es gibt wenige Orte, an denen man sich treffen und austauschen
kann – alle, die es gibt, sind sorgfältig ausgesucht und meist selbst
eingerichtet.“ Oft habe man jahrelang mit jemandem zusammengearbeitet und
erst dann herausgefunden, dass die Kolleg*in queer sei. Heute ist die
Szene noch verschüchterter, nachdem sie zunächst von Islamisten angegriffen
wurde und inzwischen auch aktiver vom Staat verfolgt wird. Ende Mai wurden
27 Männer auf einer Party festgenommen. Offiziell sind sie wegen
Drogenbesitz angeklagt, doch die Polizei erklärte öffentlich, dass dies
eine „Schwulenparty“ war.
Was Nur und Tasnim mit einer kleinen Gruppe Aktivist*innen planen, soll das
Selbstbewusstsein der Szene wieder stärken und ist alles andere als
unauffällig: ein queeres Archiv, erstellt von queeren Menschen im Land.
Hier sollen Erfahrungen und Geschichten der Szene dokumentiert werden. „Es
soll gemeinschaftsbildend werden“, sagt Nur. „Sichtbarkeit ist für uns
gefährlich, aber gleichzeitig gibt es Geschichten, die erhalten werden
müssen.“ Die Community müsse reflektieren, was ihre eigene, regionale
Geschichte sei, und zugleich, wie diese von NGOs, Botschaften und
Menschenrechtsgruppen überformt wird.
## Selbstbewusstsein und Backlash
Erst vor wenigen Jahren hatte die LGBT-Bewegung in Bangladesch Hoffnung
geschöpft. Anfang 2014 erschien das LGBT-Magazin Roopban, und zur selben
Zeit erkannte die Regierung ein drittes Geschlecht auf offiziellen
Ausweisen an. Nur wenige Monate darauf liefen bei der Neujahrsparade
Aktivist*innen in den Farben des Regenbogens mit. Es war zwar keine
richtige Gay Pride – die Organisatoren sprachen von einem „Fest der
Freundschaft und Vielfalt“ –, doch für viele im Land und außerhalb war es
ein Zeichen, dass inzwischen mehr Offenheit möglich war.
2015 lief erneut eine „Rainbow Rally“ bei der Neujahrsparade mit, und im
Herbst wurde „Dhee“ präsentiert, eine lesbische Comicfigur, die über das
Leben Homosexueller in Bangladesch aufklären sollte. Doch mit dem
Selbstbewusstsein kam auch der Backlash. In derselben Zeit entwickelten
sich [1][aktive Islamistengruppen], die Blogger*innen und Atheist*innen
angriffen und in vielen Fällen auch ermordeten.
Als 2016 die dritte „Rainbow Rally“ angemeldet wurde, mobilisierte ein
einflussreicher islamistischer Blog dagegen. Die Regierung entzog die
Erlaubnis für die Demonstration, und schließlich sagten auch die
Organisator*innen sie wegen Sicherheitsbedenken ab. Keine zwei Wochen
später [2][ermordeten Islamisten Xulhaz Mannan], der Chefredakteur von
Roopban war und die „Rainbow Rally“ angemeldet hatte, und seinen ebenfalls
schwulen Freund Mahbub Rabbi Tonoy. Die Regierung, die immer wieder
versucht, sich als konservativ und fromm darzustellen, verglich die Texte
von Roopban wenige Tage später mit Pornografie.
„Nach dem Mord hatte ich entsetzliche Angst“, sagt Nur. „Die großen
LGBT-Gruppen lösten sich auf, viele Aktivist*innen tauchten unter oder
suchten im Ausland Asyl.“ Die, die blieben, bekamen Morddrohungen. 2017
wurde erst gar nicht versucht, eine „Rainbow Rally“ anzumelden, Roopban
wurde eingestellt, und die queere Partyszene schlief ein. „Der Mord an
Xulhaz hat alle erschüttert“, sagt Tasnim. „Jetzt müssen wir unsere gesam…
Infrastruktur neu aufbauen.“
## Ein Neuanfang
Das queere Archiv soll nun ein Neuanfang sein. Zugleich soll es sich von
der Bewegung, wie sie vor dem Mord an Xulhaz entstanden war, abgrenzen.
„Damals ging es sehr stark darum, Akzeptanz in der Gesellschaft zu finden“,
sagt Nur. „Die Diskussion war stark von besser gestellten schwulen Männern
dominiert – für viele andere queere Menschen stehen aber ökonomische Fragen
im Vordergrund: Wie können sie sicheren Wohnraum finden oder Arbeit?“
Gerade queere Frauen hätten größere Probleme mit Sichtbarkeit als Männer:
Tasnim beispielsweise wohnt mit einer Frau zusammen, ohne „männlichen
Vormund“ – Vater, Bruder oder Ehemann – wie es in Bangladesch üblich wä…
„Wir sind ständig unter Beobachtung, und es ist unmöglich, befreundete
Männer oder Partner*innen zu Besuch zu haben.“ Andere Gruppen wie „Hijras�…
– das „dritte Geschlecht“ in Südasien – hätten Schwierigkeiten, ander…
traditionelle Jobs wie etwa Prostitution oder das Geldsammeln bei Feiern zu
finden.
„Uns ist wichtig, dass Menschen aus den Gemeinschaften selbst als
Archivar*innen arbeiten“, sagt Nur. „Sie müssen selbst bestimmen können,
wie sie dargestellt wurden. Als Hijras zum Beispiel als drittes Geschlecht
anerkannt wurden, versuchte die Regierung, sie als Transsexuelle zu
definieren, und viele Hijras selbst fragten: 'Warum soll ich sagen, dass
ich vorher ein Mann war und jetzt eine Frau bin? Ich bin Hijra.“ Da viele
Menschen aus queeren Gruppen niedrige Einkommen haben, sammelt Nur und
Tasnims Gruppe [3][Geld im Netz] – unter anderem um den Archivar*innen eine
Aufwandsentschädigung zahlen zu können.
Wenn alles läuft wie geplant, werden mit dem Archiv aber queere Menschen
wieder sichtbarer – und exponierter. „Wir brauchen einen festen physischen
Ort für das Archiv“, sagt Tasnim. „Sonst bleiben die Inhalte wieder nur
wohlhabenden Menschen mit der nötigen Hardware vorbehalten. Und die
Sicherheit? „Das wird eine wichtige Frage sein. Wir brauchen aber auch
einen Ort, wo wir hingehen, offen queer sein und miteinander sprechen
können.“
22 Aug 2017
## LINKS
[1] /Ermordete-Saekulare-in-Bangladesch/!5302904
[2] /Politische-Morde-in-Bangladesch/!5295384
[3] https://www.gofundme.com/thequeerarchive
## AUTOREN
Lalon Sander
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
Islamismus
Bangladesch
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Schwerpunkt LGBTQIA
Bangladesch
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