Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mordserie in Bangladesch: Todesdrohungen für Religionskritik
> Der Blogger Mishu Dhar steht auf einer Todesliste von Islamisten. Wie
> können bedrohte Journalisten besser geschützt werden?
Bild: Protestkundgebung in Bangladesch gegen die islamistischen Bloggermorde
Berlin taz | „Ich könnte der nächste Tote sein“, sagt der 28-jährige Mis…
Dhar am Telefon. Der Blogger ist 2015 mit einem Studentenvisum aus
Bangladesch nach Schweden eingereist. Sein Asylantrag wurde kürzlich
abgelehnt, auch sein Einspruch wurde jetzt von der dortigen
Migrationsbehörde zurückgewiesen. Nun könnte er jeden Tag abgeschoben
werden. In seinem Heimatland wird der Blogger von Islamisten bedroht – weil
er über Frauenrechte, Demokratie, Säkularismus und den Schutz religiöser
Minderheiten schreibt.
Seit dem [1][Mord an dem atheistischen Blogger Ahmed Rajib Haider] im
Februar 2013 werden religionskritische Publizisten und Wissenschaftler dort
angegriffen und getötet. Mishu Dhar wurde bereits im Sommer 2014 in
Bangladesch verprügelt, nachdem er jahrelang per Telefon und Mails
Drohungen erhalten hatte. Die Täter entkamen unerkannt. Dennoch behauptet
das schwedische Migrationsamt, dass die Behörden in Bangladesch an dem
Problem arbeiten und weitere Gewalt verhindern würden.
Das Gegenteil ist der Fall, vielmehr gilt eine Kultur der Straflosigkeit:
Kein einziger der Morde wurde vollständig aufgeklärt, nur die wenigsten
Täter wurden verhaftet. „Die mangelnde Verfolgung von Gewalttaten ist nicht
nur in Bangladesch eines der größten Hindernisse für einen besseren Schutz
von Medienschaffenden bei ihrer Berufsausübung“, sagt Christian Mihr,
Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Die Organisation setzt sich
deshalb für einen Sonderbeauftragten zum Schutz von Journalisten in
Konfliktgebieten ein.
Dieser soll dem UN-Generalsekretär unterstehen und die Befugnis für
eigenständige Untersuchungen haben, wenn Staaten nach Gewalttaten gegen
Journalisten nicht ermitteln. Solch ein Sonderbeauftragter hätte allein in
Bangladesch ausreichend zu tun. Denn anstatt, dass dort wirksam ermittelt
wird, wurden in Bangladesch die Blasphemiegesetze verschärft: zum Teil
reichen kritische Facebook-Postings für Verhaftungen aus. In den letzten
Monaten wurde zudem der Zugang zu einigen säkularen Blogs gekappt.
## Verharmlosung der Morde
Statt sich auf die Seite der Opfer zu stellen, werden diese von der
Regierung der „Verletzung religiöser Gefühle“ beschuldigt. [2][Nach einem
Mord an LGBT-Journalisten] warf die Premierministerin Sheikh Hasina diesen
die Verbreitung von Pornografie vor und sprach verharmlosend von
„Zwischenfällen nach Veröffentlichungen anstößiger Dinge“.
„Nicht nur die Extremisten sind gegen uns Blogger, auch die Regierung
arbeitet gegen uns. Viele wurden bereits verhaftet, einige wurden sogar von
den Behörden schikaniert und gefoltert“, berichtet der Mathematikabsolvent
Dhar. So wurden laut ihm allein in den letzten zwei Monaten vier Personen
wegen kritischen Facebook-Posts verhaftet, zwei davon arbeiten selbst bei
Strafverfolgungsbehörden. „Selbst die werden Opfer des
Blasphemieparagrafen.“
Dhar will nicht zurück nach Bangladesch. Er will nicht so enden wie der
säkulare Blogger [3][Ananta Bijoy Das]. Dieser hatte ebenfalls über
religiösen Fundamentalismus und Sexualität geschrieben. Nach der
Veröffentlichung einer Todesliste von 84 Bloggern durch Islamisten im Jahr
2015 war er vom Autorenverband P.E.N. nach Schweden eingeladen worden, sein
Visaantrag wurde allerdings von der schwedischen Botschaft in Bangladesch
mit der Begründung abgelehnt, er könnte versuchen, dort zu bleiben.
Wenige Tage später folgten ihm auf seinem Weg zur Arbeit vier maskierte
Männer und hackten so lange mit Macheten auf ihn ein, bis er verblutete.
Wegen solcher Fälle hatte Dhar eigentlich erwartet, dass sein Asylantrag
angenommen wird. Die meisten religionskritischen Blogger haben Bangladesch
verlassen und leben im Exil in Großbritannien, Deutschland, Schweden,
Kanada und in den USA.
## In ständiger Angst vor Abschiebung
Der für den Großteil der Fälle verantwortliche Al-Qaida-Ableger Ansarullah
Bangla Team (ABT) erklärte immer wieder freimütig, dass die Mordserie
weitergehen solle. Als beispielsweise im November 2014 der
Soziologie-Professor Shafiul Islam erstochen wurde, weil er seinen
Studentinnen das Tragen der Burka verbot, tauchten Ankündigen von ABT auf:
„Wir werden niemanden vergessen!“
Mishu Dhars Fall liegt aktuell wieder bei der Migrationsbehörde, da der
junge Autor die Entscheidung angefochten hat. Wenn sein Antrag wieder
abgelehnt wird, bekommt er eine Frist, bis wann er das Land freiwillig
verlassen kann. Sonst wird er abgeschoben. Als er darüber spricht, kommt er
gerade aus dem Krankenhaus. Herzprobleme quälen ihn, er vermutet Stress und
ständige Spannung als Ursache. Mit jeder Nachricht eines neuen brutalen
Mordfalls in Bangladesch wird Dhar besorgter und trauriger.
„Es ist sehr schwer, in dieser ständigen Angst zu leben, und es hat massive
psychische Probleme zur Folge“, berichtet er. „Es fällt mir schwer, mich zu
konzentrieren. Eigentlich ist es mir gar nicht möglich, meine aktuelle
Situation zu beschreiben, ich kann nur sagen, dass jede Sekunde ein
Albtraum ist und ich es mir nicht schlimmer vorstellen kann.“
Wie kann es sein, dass verfolgte JournalistInnen in Europa nicht besser
geschützt werden? Wie können die Betroffenen ihre Arbeit und Kritik an
ihren Heimatländern im Exil fortführen? Das Asylrecht geht an diesen
Bedürfnissen oftmals vorbei: Nur schwer kann während des Verfahrens
gearbeitet werden, zudem geht es oft eher um vorübergehenden Schutz.
Bislang gibt es in Deutschland nur wenige Anlaufstellen für bedrohte
JournalistInnen, beispielsweise das PEN-Zentrum und die Hamburger Stiftung
für politisch Verfolgte bieten Stipendien an, die allerdings nur für einen
begrenzten Zeitraum Zuflucht bieten.
## Die Erleichterung der Visavergaben
Reporter ohne Grenzen (ROG) will daher die Erleichterung der Visavergaben
erreichen. Michael Brandt, menschenrechtspolitischer Sprecher der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, widerspricht: Es wäre falsch, „über pauschale
Visavergabe ungewollte Anreize zu setzen, Länder zu verlassen“. Sein
Kollege Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion,
fordert, dass sich die Bundesregierung endlich deutlicher gegen die
vermeintliche Allianz zwischen bangladeschischer Regierung und Islamisten
stellt.
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr fordert von der Bundesregierung klarere
Worte zur Verfolgung von JournalistInnen. Diese müsste bei der spontanen
Nothilfe mehr tun und schneller handeln. „In aller Regel reichen vage
Äußerungen über den Verfall der Pressefreiheit nicht aus.“ In der Debatte
über sichere Herkunftsländer müsse unbedingt die Situation der Journalisten
beachtet werden. „Wenn ich wirklich zurück müsste, wäre ich der einzige
Blogger, der auf der Todesliste steht und in Bangladesch leben muss“, sagt
Dhar. „Doch ich kann nichts tun, außer auf die endgültige
Gerichtsentscheidung zu warten.“
9 Apr 2017
## LINKS
[1] /Nach-Mord-an-atheistischem-Blogger/!5018397
[2] /LGBTI-Community-in-Bangladesch/!5324500
[3] /Gewalt-in-Bangladesch/!5008415
## AUTOREN
Frederik Schindler
## TAGS
Lesestück Meinung und Analyse
Schwerpunkt Pressefreiheit
Islamismus
Bangladesch
Religionskritik
Blogger
Lesestück Meinung und Analyse
Österreich
Lesestück Recherche und Reportage
Bangladesch
Bangladesch
Bangladesch
## ARTIKEL ZUM THEMA
LGBT in Bangladesch: Unter ständiger Beobachtung
Zwei Morde sorgten 2016 dafür, dass die hoffnungsvolle Bewegung abflaute.
Jetzt wollen Aktivist*innen sie erneuern und planen ein queeres Archiv.
Österreichs Presseförderung: Es gibt mehr – und keiner jubelt
Der Staat will die Medien stärker subventionieren. Doch es gibt Streit
darum, wer das Geld bekommen soll. Auch Gratisblätter und rechte Seiten?
LGBTI-Community in Bangladesch: Endlich frei sein
Im April wurden in Bangladesch zwei LGBTI-Aktivisten von Islamisten
ermordet. Seither lebt die Szene in Angst. Wie soll es nun weitergehen?
Ermordete Säkulare in Bangladesch: Mörderische Konkurrenten
Seit 2013 sind 25 Menschen von Islamisten ermordet worden. Dahinter stecken
zwei Gruppen, die dem IS und al-Qaida nahestehen.
Aktivistin aus Bangladesch: Kampf um Identität „Mensch“
Shammi Haque setzte sich in Bangladesch für Frauenrechte und Säkularismus
ein. Nach mehreren Morddrohungen ist sie nun geflohen.
Kommentar Morde in Bangladesch: Fatale Dynamik der Gewalt
In Bangladesch werden Zivilisten ermordet. So sollen Menschen, die einen
liberalen Islam pflegen, in Richtung Islamismus gezwungen werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.