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# taz.de -- LGBTI-Community in Bangladesch: Endlich frei sein
> Im April wurden in Bangladesch zwei LGBTI-Aktivisten von Islamisten
> ermordet. Seither lebt die Szene in Angst. Wie soll es nun weitergehen?
Bild: Solidarität in Indien: LGBTI-Aktivisten protestieren gegen den Mord an X…
DHAKA taz | Es ist Mitte April in Bangladesch und im ganzen Land finden die
Feierlichkeiten zum Bengalischen Neujahr statt. Wie in den beiden Jahren
zuvor planen Xulhaz Mannan und seine Freunde, sich in der Hauptstadt Dhaka
mit einer sogenannten Rainbow Rally an den riesigen Straßenfesten zu
beteiligen. Mannan ist Schwulen- und Lesbenaktivist und Chefredakteur des
ersten und einzigen Magazins für die LGBTI-Community mit dem Namen
Roopbaan.
Doch in diesem Jahr sollte es anders kommen: Konservative islamische
Prediger brandmarken die Kundgebung als „unislamisch“, Islamisten kündigen
daraufhin gewalttätige Proteste an. In letzter Minute verbietet die Polizei
daraufhin die geplante Bürgerrechtsdemonstration. 60 mutige Aktivisten
wollen sich den Einsatz für Sichtbarkeit und Vielfalt nicht nehmen lassen
und erscheinen trotzdem im Shabag-Viertel, vier von ihnen werden daraufhin
festgenommen.
Mannan bleibt den ganzen Tag vor der Polizeiwache und setzt sich
erfolgreich für die Freilassung der Inhaftierten ein: Nachdem ihre Eltern
über die sexuelle Identität ihrer Söhne informiert wurden, dürfen sie
gehen.
Elf Tage später ist Xulhaz Mannan tot, genau wie sein Freund und
Mitarbeiter Mahbub Tonoy. Fünf Männer hatten sich als Kurierdienst
ausgegeben, um zu seiner Wohnung im Dhakaer Stadtviertel Kalabagan zu
gelangen. Dort hacken sie so lange mit Macheten auf die Körper der
Aktivisten ein, bis diese verbluten.
Neben seinem gesellschaftlichen Engagement arbeitete Mannan für eine
US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit und die US-Botschaft, Tonoy war
Theaterschauspieler. Ein bangladeschischer Ableger von al-Qaida bekennt
sich zu der Tat und bezeichnet die Opfer in einem Bekennerschreiben als
„Pioniere der Förderung von Homosexualität in Bangladesch“. Dieselbe Grup…
hatte zuvor auch schon für eine Mordserie an religionskritischen
Publizisten und Verlegern verantwortlich gezeichnet. Vermutlich war sie
Mannan auf dem Nachhauseweg von der Polizei gefolgt, um seinen Wohnort
ausfindig zu machen.
## LGBTI in ständiger Lebensgefahr
Die meisten Aktivisten verstecken sich jetzt, kein einziges Treffen hat es
seit den Morden gegeben. Von der Regierung erhalten die Bedrohten keinerlei
Unterstützung. Im Gegenteil – Innenminister Asaduzzaman Khan machte die
Opfer zu Tätern: „Unsere Gesellschaft unterstützt in keiner Weise die
Förderung von unnatürlichem Sex. Wer das tut, begeht eine Straftat“, sagte
er kurz nach der Tat.
Die Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender ist in der
konservativen Gesellschaft Bangladeschs ohnehin schwierig, da
Homosexualität von vielen als unpassend für die soziale, kulturelle und
religiöse Ordnung des Landes gesehen wird. Homosexuelle Handlungen können
zudem mit bis zu lebenslanger Haft bestraft werden. Dieses Gesetz ist ein
Relikt aus der Zeit der britischen Besatzung und wurde noch nie angewandt.
Doch seit dem Aufstieg von islamistischen Gruppierungen und immer neuen
Todesdrohungen leben LGBTI in ständiger Lebensgefahr. „Die meisten outen
sich nicht und leben isoliert unter heterosexuellen Freunden und
Familienmitgliedern“, berichtet der 21-jährige Aktivist und Blogger Riamoni
Chisty. „Es ist ein andauerndes Versteckspiel, in der dortigen
LGBTI-Community aktiv zu sein. In ständiger Angst vor Fundamentalisten ist
es sehr schwer, Veranstaltungen oder Treffen zu organisieren.“
## Mannan wollte das Land nicht verlassen
Dass es dennoch einige szenespezifische Veranstaltungen gab, lag vor allem
am ermordeten Aktivisten Mannan. Er war der Kopf der Bewegung und fungierte
als zentraler Ansprechpartner. Seine Wohnung diente als Hauptquartier der
Aktivisten, dort entstanden große Teile seines Magazins. Im Januar 2014
erschien die erste Ausgabe. Da es auf Bengalisch erschien, war es nicht nur
der englischsprachigen Oberschicht zugänglich. In der Zeitschrift waren
Artikel über Bürgerrechte, Mode, Dating, sexuelle und reproduktive Rechte
und Safer Sex zu lesen.
Islamisten bedrohten im vergangenen Jahr kooperierende Druckereien und
konnten so eine Veröffentlichung der dritten Ausgabe verhindern. Jedoch
konnte eine Studie unter knapp 600 LGBTI-Personen und Workshops für
Jugendliche durchgeführt werden, zudem wurde das erste
Roopbaan-Filmfestival ausgetragen. Das alles organisierten freiwillige
Helfer der Community. Ohne die Initiativen von Mannan wäre dies aber nicht
möglich gewesen.
Immer häufiger erlebte Mannan Drohungen, auch am Telefon. „Vier Tage vor
dem Mord hat Xulhaz mich über die Anrufe informiert. Doch er wollte sich
nicht dazu überreden lassen, das Land zu verlassen, da er sein Engagement
in Bangladesch unbedingt fortsetzen wollte“, erzählt Chisty. Auch er kennt
solche Drohungen und musste sogar mehrfach körperliche Gewalt über sich
ergehen lassen.
Mit 15 Jahren zerren ihn unbekannte Männer in ein Auto, schlagen ihn
bewusstlos und fesseln und knebeln ihn an Händen und Füßen. Dann wird er
gefoltert und vergewaltigt. Erst am nächsten Tag kann sich der Jugendliche
befreien und wird anschließend tagelang im Krankenhaus behandelt. Später
verweist ihn seine Schule mit dem Hinweis auf „homosexuelle und
antireligiöse Aktivitäten“.
## Auch Zeitungen drucken jetzt sein Foto ab
Nichtsdestotrotz bloggt er weiter, schreibt für eine Tageszeitung über
Menschenrechte und engagiert sich in der kleinen, lokalen LGBTI-Szene. Vor
allem schwule Männer organisieren sich dort. „Das Leben von lesbischen
Frauen ist noch schwieriger, da Männer in Bangladesch unabhängiger sind.
Frauen können deshalb nur schwer an Veranstaltungen teilnehmen.“ Die
Bildung von Frauen sei durchschnittlich niedriger und in der Öffentlichkeit
werde nicht über Sexualität diskutiert. Auch die Situation von Transgendern
sei miserabel. „Die meisten werden von ihrer Familie verstoßen und viele
begehen Selbstmord, da sie keinen Ausweg aus ihrer Lage sehen.“
Im Januar 2015 wird Chisty erneut von einer islamistischen Männergruppe
attackiert. Wieder kann er sich nur dank eingreifender Passanten retten,
die ihn ins Krankenhaus bringen. „Eine Anzeige bei der Polizei wurde mir
verweigert, da ich mich erst von der Homosexualität abwenden müsse“,
erzählt er. Zu seinem Entsetzen wird allerdings gegen ihn Anzeige
erstattet. Mit seinen Forderungen zur Entschädigung misshandelter
Homosexueller und der Nennung von LGBTI in Schulbüchern würde er zur
Rebellion anstiften. Auch Zeitungen drucken jetzt sein Foto ab und
diffamieren ihn. „Das hat meinen Aktivismus tatsächlich gestoppt.
Islamisten wollten mich töten und die Polizei wollte mich verhaften.“
In seiner aussichtslosen Lage verlässt er das Elternhaus und versteckt sich
bei einem Freund. Mithilfe von Amnesty International kann er schließlich
Anfang 2016 nach Deutschland einreisen und stellt dort einen Asylantrag.
Auch andere Mitstreiter versuchen nach Europa zu kommen. Einige von ihnen
haben Visaanträge bei europäischen Botschaften in Bangladesch gestellt und
warten dort noch auf die Entscheidungen. In Deutschland wurden im ersten
Halbjahr 2015 22 Prozent der Asylbewerber aus Bangladesch als
schutzbedürftig anerkannt, dennoch will die CSU ein Rückübernahmeabkommen
abschließen und das südasiatische Land trotz der Mordserie als sicheren
Herkunftsstaat klassifizieren. Chisty wird jetzt ein Buch über das Leben
von Lesben und Schwulen in Bangladesch schreiben. Der Titel: „Und
hoffentlich endlich frei sein.“
10 Aug 2016
## AUTOREN
Frederik Schindler
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Bangladesch
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Dhaka
Schwerpunkt LGBTQIA
Indien
Schwerpunkt LGBTQIA
Schwerpunkt LGBTQIA
Lesestück Meinung und Analyse
orthodox
Rodrigo Duterte
Botswana
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