| # taz.de -- Aktivistin aus Bangladesch: Kampf um Identität „Mensch“ | |
| > Shammi Haque setzte sich in Bangladesch für Frauenrechte und Säkularismus | |
| > ein. Nach mehreren Morddrohungen ist sie nun geflohen. | |
| Bild: Mensch oder Frau? In Bangladesch anscheinend ein großer Unterschied | |
| Bis Februar 2013 ist Shammi Haque eine gewöhnliche BWL-Studentin in | |
| Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. Zwei Jahre später steht ihr Name mit 83 | |
| weiteren auf einer von Islamisten zusammengestellten Todesliste. Sie flieht | |
| nach Deutschland, im letzten Moment. Wo genau sie sich aufhält, darf hier | |
| nicht stehen. Was ist passiert? | |
| Zurück ins Jahr 2013. Nach der Uni bemerkt Shammi Haque eine Demonstration | |
| für die Bestrafung von Kriegsverbrechern aus dem Unabhängigkeitskrieg 1971. | |
| Sie ist fasziniert von der Menschenmasse, schon am nächsten Tag mobilisiert | |
| sie Dutzende Kommilitonen für die nächste Kundgebung. „Ich war nur noch für | |
| meine Seminare in der Universität und ging danach sofort wieder auf die | |
| Straße“, erzählt Haque wehmütig auf ihrem Sofa. Die Demonstrationen | |
| entwickeln sich zu Massenprotesten. Haque vernetzt die sogenannte | |
| Shabag-Bewegung mit Menschenrechtsorganisationen und bringt die Forderung | |
| nach mehr Säkularismus ein. | |
| In der Nacht auf den 15. Februar wird ein atheistischer Blogger von | |
| Islamisten ermordet, nachdem er religiösen Fundamentalismus kritisierte. | |
| Die Täter hacken mit Macheten auf ihn ein und durchtrennen schließlich | |
| seine Kehle. Ein großer Schock für die religionskritische Szene in | |
| Bangladesch. Auch Haque gerät nun in Schwierigkeiten. „Ich bekam Drohungen | |
| auf mein Handy, und Männer tauchten an der Rezeption des Hostels auf, in | |
| dem ich zu der Zeit wohnte.“ Sie setzt ihr Engagement dennoch fort. | |
| ## So viele Morde | |
| Vor allem das Thema Frauenrechte ist ihr wichtig, seit ihrer Kindheit hat | |
| sie Ungleichheiten erleben müssen. In der Schule war es für Mädchen | |
| Pflicht, lange Gewänder zu tragen, während die Jungen selbst über ihre | |
| Kleidung bestimmen konnten. „Ich war so eifersüchtig auf meine Freunde, | |
| doch die einzige Erklärung für diese Pflicht war, dass ich eine Frau bin.“ | |
| Neben ihrem Engagement auf der Straße bloggt Haque zu dieser Zeit über | |
| Frauenfeindlichkeit und Religionskritik. Gleichzeitig mobilisieren | |
| islamistische Gruppen zu Gegenprotesten, Zehntausende fordern die | |
| Todesstrafe für Atheisten. Die Regierung reagiert daraufhin mit | |
| Zugeständnissen und verschärft ein Gesetz, welches für die „Verletzung | |
| religiöser Gefühle“ künftig mehrjährige Haftstrafen vorsieht. | |
| Doch es kommt noch schlimmer: Im Februar 2015 wird der Blogger Avijit Roy | |
| tödlich verletzt, wieder stechen Islamisten mit Macheten zu. Roy hatte den | |
| Blog Mukto Mona gegründet, der sich selbst als „Plattform für Freidenker, | |
| Rationalisten, Skeptiker, Atheisten und Humanisten“ bezeichnet. Bis Mitte | |
| Mai sterben zwei weitere kritische Blogger. | |
| Shammi Haque wird nun auch von ihrer Familie aufgefordert, ihre Aktivitäten | |
| zu unterlassen. Und von Islamisten mit dem Tode bedroht: „Ich lebte nur | |
| noch von Tag zu Tag.“ | |
| Als im August ihr enger Freund Niloy Chattopadhyay in seiner Wohnung | |
| ermordet wird, wird ihr klar, dass auch sie das nächste Opfer werden | |
| könnte. „Ich bin damals sofort zu seinem Haus gefahren. Dort seinen | |
| blutüberströmten Körper zu sehen war die schlimmste Erfahrung meines | |
| Lebens.“ Schließlich wird die Gefahr konkret, als sie auf dem Weg in den | |
| Supermarkt verfolgt wird und sich gerade noch zurück in ihre Wohnung retten | |
| kann. | |
| Ab sofort wird Haque ständig von sechs Polizisten geschützt. Ihre | |
| Arbeitsstelle kündigt ihr, da sie nicht ständig belagert werden will. Auch | |
| die Universität teilt ihr mit, dass sie nicht mehr an Veranstaltungen | |
| teilnehmen könne. Als sie auch noch aus dem Hostel geschmissen wird, muss | |
| sie jeden Tag bei anderen Freunden übernachten. | |
| ## Das Leben retten | |
| Haque sieht sich gezwungen, das Land zu verlassen, und wendet sich an die | |
| deutsche Botschaft in Dhaka, die ihr ein Visum über ein Jahr ausstellt. | |
| Zwei Tage nach ihrer Ankunft in Deutschland wird Faisal Dipan ermordet, der | |
| religionskritische Bücher von Avijit Roy verlegte. „Das geschah direkt | |
| gegenüber meiner alten Wohnung. Ich konnte mein Leben gerade noch retten.“ | |
| Nun versucht Haque, ihren Aktivismus aus dem Exil fortzusetzen. Das Studium | |
| konnte sie online beenden, sie würde gern einen Master in | |
| Kommunikationswissenschaften machen. Am Valentinstag dieses Jahres fordert | |
| sie Paare auf, sich küssend in einem Park in Dhaka zu versammeln. Sie | |
| berichtet von korrupten Polizisten, die in der Vergangenheit | |
| händchenhaltenden Paaren ohne Gesetzesgrundlage angedroht hätten, sie | |
| festzunehmen. Auf Facebook verbreitet sie ihre Idee und bekommt auch hier | |
| massive Gegenwehr. Selbst säkulare Bangladescher behaupten, dass das | |
| öffentliche Küssen nicht zur bangladeschischen Kultur gehören dürfe. | |
| „Die Kultur muss bereit sein, sich zu verändern. Frauen durften früher | |
| nicht zur Schule gehen, das hat sich doch zum Glück auch geändert“, erklärt | |
| Haque. Da Islamisten Gewalt ankündigen, kommen nur wenige zu der | |
| Protestaktion. Man könnte deshalb sagen, dass Haque nicht erfolgreich war. | |
| Sie wirkt jedoch kämpferisch. „Meine Leistung ist es, dass alle möglichen | |
| Menschen über dieses Thema diskutiert haben!“ | |
| Als sie am Valentinstag ein Kussfoto mit ihrem Freund postet, erhält sie | |
| erneute Drohungen. Gegner erstellen ein gefälschtes Pornovideo, zudem | |
| kündigt ein Islamist eine Geldsammlung für einen Flug nach Deutschland an, | |
| um Haque dort zu vergewaltigen. | |
| ## Sehnsucht nach zu Hause | |
| Sie will sich davon nicht mehr einschüchtern lassen, hält stattdessen | |
| Kontakt zu den in Bangladesch verbliebenen Bloggern. Diese müssen sich | |
| verstecken, einige haben das Schreiben eingestellt, wieder andere haben | |
| sich öffentlich vom Atheismus distanziert. Inzwischen leben selbst ihre | |
| Unterstützer in Lebensgefahr. Der im April 2016 getötete Student Nazim | |
| Uddin Samad teilte auf Facebook lediglich die Ansichten von bekannten | |
| Bloggern. Auch er wurde brutal gelyncht. Der Innenminister reagiert | |
| daraufhin mit dem Hinweis, dass man sich ansehen müsse, „ob er anstößige | |
| Dinge in Blogs veröffentlicht hat“. | |
| Für Haque klingt das wie eine Rechtfertigung für die Morde. Sie kann nicht | |
| glauben, dass ihre Regierung nicht konsequenter gegen die Fundamentalisten | |
| vorgeht. Dennoch will sie nicht aufgeben und klingt keinesfalls resigniert, | |
| wenn sie betont, dass es „wenigstens eine große Debatte in der gesamten | |
| Gesellschaft“ über die Rolle der Religion gibt. | |
| So schnell wie möglich will Haque nach Bangladesch zurückkehren, sie | |
| vermisst ihre Familie und ihre Sprache. Obwohl die Aktivistin zur Exilantin | |
| wurde, gerät sie beim Erzählen über ihr Geburtsland ins Schwärmen. Doch | |
| momentan verschlechtert sich die Lage für Säkulare immer mehr. Ende April | |
| erstechen Islamisten den Gründer des einzigen Magazins für Lesben, Schwule, | |
| Bisexuelle und Transgender sowie einen seiner Mitarbeiter. Auch Übergriffe | |
| auf Hindus, Sufis, Schiiten, Christen und Angehörige der islamischen | |
| Minderheit der Ahmadiyya häufen sich. | |
| Ob Shammi Haque ihr persönliches Ziel jemals erreichen wird, ist unklar. | |
| „Bevor ich geboren wurde, war meine Identität Mensch. Dann galt ich als | |
| Frau und seit meiner Jugend wurde mir die Identität einer muslimischen Frau | |
| aufgedrängt. Jetzt kämpfe ich dafür, meine erste Identität | |
| zurückzugewinnen.“ | |
| 17 May 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Frederik Schindler | |
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