# taz.de -- Kolumne „Rollt bei mir“: Debatte in der Dauerschleife | |
> Das neue Bundesgleichstellungsgesetz soll Menschen mit Behinderung | |
> besserstellen. Es gilt jedoch nur für Behörden – kein so spannender Ort. | |
Bild: … und deshalb wollen Menschen mit Behinderung auch nicht nur in Behörd… | |
Heute mal die Nachricht zuerst: Die [1][Novellierung des | |
Behindertengleichstellungsgesetzes] tritt in Kraft. Ab jetzt sind | |
Bundesbehörden verpflichtet, barrierefrei zu sein. | |
Das bedeutet, dass zum Beispiel physische Barrieren, aber auch jene in der | |
Kommunikation abgebaut werden sollen. Barrierefreiheit bedeutet nicht nur, | |
dass es überall Rampen gibt, sondern auch, dass andere Hilfen | |
bereitgestellt werden, die zum Beispiel gehörlose oder blinde Menschen | |
benötigen. Dazu gehören zugängliche Informationen in Gebärdensprache oder | |
Brailleschrift. | |
Die Privatwirtschaft ist von dem Gesetz ausgenommen. Komplett ausgenommen. | |
Im Klartext heißt das: kein Kino, keine Bar, kein Laden, keine Arztpraxis, | |
kein Theater MUSS barrierefrei zugänglich sein. Die Möglichkeiten für | |
Menschen mit Behinderung am öffentlichen Leben teilzunehmen sind also nicht | |
gerade besser geworden. | |
Was war noch gleich das Ziel der Inklusion und der von Deutschland 2009 | |
unterzeichneten UN-Behindertenrechtskonvention? Irgendwas mit strikter | |
Trennung von Personen mit und ohne Behinderung, wie es scheint. Bin mir da | |
aber nicht so sicher – ist schon so lange her. | |
Aber man muss immer das Beste aus allem machen. Deshalb habe ich mein Leben | |
dem erneuerten Gesetz angepasst und folgende barrierefreie Aktivitäten für | |
die Freizeit zusammengestellt: | |
1. Beim Jobcenter zum Weiterbildungskurs im Lama-Reiten anmelden. Stufenlos | |
erreichbare Lamas müssen die da ja jetzt haben. | |
2. Das Bundesministerium des Innern besuchen. De Maizière fragen, wie es | |
mit der Aufklärung der sogenannten NSA-Affäre läuft. | |
3. Bei der Deutschen Rentenversicherung anklopfen und mal fragen, wie viel | |
ich so kriege. | |
4. Beim Finanzamt den Jingle des Aufrufautomaten mitsingen, bis ich | |
rausgeschmissen werde. | |
5. Dann den Abend auf einer stufenlos zugänglichen Wiese (die Natur denkt | |
mit) ausklingen lassen. | |
## Weitreichend ist das Gesetz nicht | |
Ich hoffe, dass das erst mal genügt. Wenn mir wider Erwarten trotzdem | |
langweilig sein sollte, werde ich mir immer wieder die Bundestagsdebatte | |
zum neuen Bundesgleichstellungsgesetz im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung | |
anhören. Die war – sagen wir mal – witzig. | |
Besonders rührend fand ich die CSU-Frau Astrid Freudenstein, als sie sagte: | |
„Barrierefreiheit bedeutet nicht nur, dass ich ebenerdig in ein Gebäude | |
komme. Es bedeutet auch, dass sehbehinderte, gehörlose, seelisch und | |
geistig behinderte Menschen sämtliche Verkehrsmittel und Medien und ohne | |
fremde Hilfe erschließen können. Das Ideal der Barrierefreiheit ist | |
ausgesprochen weitreichend.“ | |
Da hat die gute Frau doch recht. Und weitreichend ist ein gutes Stichwort. | |
Weitreichend ist das Gesetz nämlich ganz und gar nicht. | |
Katrin Werner (Linke) brachte das Dilemma auf den Punkt: „Das Leben der | |
Menschen spielt sich nicht in Bundesbehörden ab, sondern in Wohnungen, | |
Kinos und Arztpraxen.“ | |
20 May 2016 | |
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[1] /Grossreformentwurf-fuer-Behinderte/!5299173 | |
## AUTOREN | |
Judyta Smykowski | |
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