# taz.de -- Kolumne Rollt bei mir: Gebt den Kindern das Kommando | |
> Ich mag Kinder, die mich nach meinem Rollstuhl fragen. So kommen wir ins | |
> Gespräch. Also liebe Eltern: Schleift sie doch nicht immer weg. | |
Bild: Zieht doch die Kinder nicht immer davon. Lernen kann man auch im Gespräch | |
„Jetzt schau da nicht so hin und komm mit“, sagt die Mutter und zerrt ihre | |
Tochter schnell in den Supermarkt – an mir vorbei. Kinder gucken immer und | |
überall hin, ihre Neugier ist grenzenlos. | |
Ich nehme es ihnen nicht übel, wenn sie mich und meinen Rollstuhl | |
anschauen. Sieht man ja nicht so oft in freier Wildbahn. Menschen mit | |
Behinderung werden in diesem Land nämlich noch viel zu häufig in | |
irgendwelchen Einrichtungen geparkt. | |
Kinder stellen sich neben mich und fragen dann: „Was hast du?“ Und dann | |
kann ich ihnen in Ruhe erklären, ‚was ich habe‘; einen Rollstuhl zum | |
Beispiel. Wir unterhalten uns, bis die Eltern heraneilen. | |
Diese ziehen ihre Schützlinge dann schnell vom Ort des Geschehens ab, | |
peinlich berührt packen sie die Hand ihres Kindes und reißen uns aus dem | |
Gespräch. Dabei war ich gerade dabei zu sagen: „Meine Beine funktionieren | |
nicht so wie deine, deshalb brauche ich diesen Rollstuhl.“ | |
## Superschlau | |
Kinder probieren auch gerne meine Krücken aus. Sie tun dann so, als hätten | |
sie sich ein Bein gebrochen und humpeln mit ihnen davon. Was daran so toll | |
ist, das Bein hinter sich her zu schleifen und dabei theatralisch zu | |
stöhnen, weiß ich nicht, aber sie werden sich schon etwas dabei denken. | |
Ein Mädchen sagte einmal zu mir: „Deine Krücken sind toll. Ich will die | |
auch haben.“ Dann überlegte sie kurz und sagte „Ach nee, dann wären meine | |
Beine auch krank. Das wäre doof.“ Ich hab schon Eltern gehört, die dann | |
superschlau einwarfen: „Kind, das nennt man Unterarmgehstützen“, aber ich | |
finde, dass das ein Wort für Scrabblespiele ist. | |
Schade, dass manche Eltern solche Situationen nicht zulassen. | |
Wahrscheinlich denken sie, mir sei es unangenehm, auf meine Behinderung | |
angesprochen zu werden. Natürlich gibt es dämliche Fragen, aber die wurden | |
mir bisher ausschließlich von Erwachsenen gestellt. | |
Eltern, die keine Fragen zulassen, verbauen ihren Kindern die Möglichkeit, | |
mit behinderten Menschen unbeschwert umzugehen. Genau jener Umgang, der den | |
Eltern meistens fehlt. | |
## Business as usual | |
Stinknormale Gespräche, Beziehungen und Begegnungen im Alltag wären schön. | |
Kinder haben diese Gabe, alles von Anfang leicht zu nehmen. Zu fragen, was | |
ihnen auf der Zunge liegt, die Antworten zu verarbeiten und dann ins | |
Business as usual umzuschalten. | |
Wenn es nach Kindern ginge, bräuchten wir dieses ganze Inklusionsdebatte | |
nicht. Dann bräuchten wir niemanden, der sagt, ‚Jetzt macht doch mal ein | |
inklusives Projekt in der Nachbarschaft. Irgendetwas mit Sport oder | |
Basteln. Und wenn ihr da noch 50 Prozent Behindertenquote habt, kriegt ihr | |
ein Teil eurer Investition vom Staat zurück‘. | |
Für Inklusion muss es hierzulande immer noch zu häufig finanzielle Anreize | |
und verordnete Quoten geben. Freiwillig machen es zu wenige. Was für eine | |
scheiß Kosten-Nutzen-Rechnung, wo es doch verdammt noch mal um Menschen | |
geht, um Menschen wie Du und Ich. Du und ich – und schon wäre die „Quote“ | |
geschafft. | |
Also, liebe Eltern, bleibt das nächste Mal einfach mit eurem Kind stehen. | |
Dann unterhalten wir uns nämlich schon zu dritt. | |
12 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Judyta Smykowski | |
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