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# taz.de -- Kolumne Rollt bei mir: Mein Feind, der Fahrstuhl
> Mein Leben wird diktiert von einem Gegenstand: dem Aufzug. Will er nicht
> so wie ich, dann kann mein Tag ganz schön durcheinandergeraten.
Bild: Ein alter Bekannter unserer Kolumnistin: der „Defekt“-Aufkleber der D…
Jeden Morgen und jeden Abend erlebe ich meinen persönlichen
Gernot-Hassknecht-Choleriker-Moment. Auf dem Weg zur Arbeit und zurück
nehme ich die S-Bahn. Um auf das Gleis zu kommen, gibt es zwei
Möglichkeiten: Treppe oder Fahrstuhl. Ich nehme natürlicherweise letzteres.
Die Spezies Fahrstuhl und ich sind keine guten Freunde. Man drückt auf den
Knopf, die Türen bleiben zu. Als würde der Lift mit hässlicher Fratze
sagen: „Du kommst nicht rein, ätsch bätsch“. RollstuhlfahrerInnen und
andere gehbehinderte Personen, Menschen mit Kinderwagen kommen an diesem
Punkt nicht oder nur schwer weiter. Egal wie eilig man es hat, egal welcher
Termin wartet, egal, ob man einen Zug bekommen muss. Das Leben diktiert von
einem Gegenstand. Ein entwürdigendes Gefühl.
Seit nicht allzu langer Zeit hängen bei einer Aufzugsstörung, wie es im
Bahnjargon heißt, bestimmte Zettel der Deutschen Bahn an den Türen der
Lifte. Auf ihnen steht ein Datum, an dem der Lift circa, vielleicht,
eventuell, mit ein wenig Glück wieder fährt.
Auf dem Zettel ist noch ein süßes Maskottchen zu sehen, dass sich für die
„Unannehmlichkeiten“ in Verbindung mit dem nicht fahrenden Fahrstuhl
entschuldigt. Ansonsten ist noch viel weiße Fläche übrig. Dieser Platz wird
ausgiebig von den DB-MitarbeiterInnen genutzt. Häufig steht man an dem Tag,
an dem der Lift wieder funktionieren sollte vor ihm und stellt fest, dass
das ursprüngliche Datum durchgestrichen und durch eine Kalenderwoche
ersetzt wurde. Dann heißt es wieder: Umwege in Kauf nehmen, weiter warten,
Zeit vergeuden.
## Zweites Hindernis: die Mitfahrenden
Nicht nur das Gerät an sich macht einem zu schaffen, auch die
MitfahrerInnen. Es gibt viele Amateure unter ihnen. Manche sind sehr
aufgeregt, wenn sie in den Lift einsteigen. Sie reden dem Lift gut zu, wenn
er nicht gleich startet, sie hauen lieber noch zwei Mal auf sämtliche
Knöpfe drauf, bis er endlich startet. Kurz bevor er fährt, verlieren sie
die Geduld und drücken auf den Tür-auf-Knopf und nehmen doch die Treppe.
Die verbliebenen InsassInnen dürfen derweil noch länger warten, bis er
endlich startet.
Trotz dieser Stressmomente für Nicht-Fahrstuhlprofis, scheint das Fahren an
sich einen so großen Reiz auszuüben, dass die Rolltreppe viel zu oft links
liegen gelassen wird. Von den Spontanfahrern werde ich dann noch ein
bisschen herumgeschoben, wie ein Einkaufswagen, der im Supermarkt den Weg
versperrt. Das leise Summen der Tetris-Melodie bewahrt mich in solchen
Momenten vor körperlichen Auseinandersetzungen.
Bei Fahrstühlen mit Zugang von zwei Seiten wird die Kabine von eben diesen
beiden Seiten eingerannt. Kurzerhand löst sich die Menschenschlange auf und
es wird sich fröhlich vorgedrängelt. Um nicht unverschämt zu wirken, ziehen
die Fahrgäste dann noch ihren Bauch ein, um mir zu signalisieren: „Ich mach
mich ja extra dünn“. Wenigstens ihre panischen Gesichter, wenn nach dem
Schließen der Tür die Kabine sich nicht sofort in Bewegung setzt,
entschädigt ein wenig für Rücksäcke und Hinterteile in meinem Gesicht.
12 Aug 2016
## AUTOREN
Judyta Smykowski
## TAGS
Rollt bei mir
Rollstuhlfahrer
Rollstuhl
Leben mit Behinderung
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